Die Corona-Zahlen sind kaum aussagekräftig und eine neue Omikronvariante ist auf dem Vormarsch – ein Überblick

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Die Corona-Sommerwelle ist einer Flaute gewichen und die prognostizierte Herbstwelle derzeit noch nicht in Sicht. Und kürzlich verkündete der US-Präsident die Corona-Pandemie für beendet. Da erstaunt es kaum, dass das Virus derzeit nicht mehr als vereinzelte Randmeldungen wert ist. Hinzu kommt, dass die Geschehnisse in der Ukraine, die Atomdrohungen aus Russland und die explodierenden Energiepreise Corona die medialen Plätze streitig machen.

Trotzdem lohnt ein Blick auf die aktuelle Situation, denn die Bundesregierung hat ein neues Infektionsschutzgesetz verabschiedet, um auf den Ernstfall vorbereitet zu sein. Und Experten erwarten neue besorgniserregende Varianten. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur aktuellen Lage.

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Wie entwickelt sich das Infektionsgeschehen in Deutschland derzeit?

Am Sonntag lag die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner bei knapp 300 und damit niedriger als tags zuvor. Die Zahlen schwanken zwar von Wochentag zu Wochentag, bewegen sich aber auf einem ähnlichen Niveau. Die Gesundheitsämter in Deutschland meldeten dem RKI zuletzt 46.964 Corona-Neuinfektionen (Vorwoche: 36.613) und 90 Todesfälle (Vorwoche: 88) innerhalb eines Tages.

Trotzdem mahnt das RKI davor, die Lage zu unterschätzen. Das Bild des aktuellen Infektionsgeschehens ist wegen des rückläufigen Interesses an Coronatests und der eher unregelmäßigen Ergebnisübermittlung der Gesundheitsämter unvollständig. Positive Testergebnisse werden selten nachgemeldet und PCR-Tests insgesamt weniger häufig durchgeführt. Um in die Statistik des RKI aufgenommen zu werden, reicht ein positiver Schnell- oder Bürgertest allerdings nicht aus. Schon seit Wochen gehen Experten deshalb davon aus, dass die erfassten Fallzahlen deutlich höher ausfallen als angegeben.

Wird das Oktoberfest zum neuen Pandemietreiber?

Das ist derzeit noch nicht ganz klar. Während der Feierlichkeiten untersuchen Wissenschaftler aus München täglich Proben aus dem Abwasser des Oktoberfestes auf Bestandteile des Coronavirus. Die Viruskonzentration ähnele der im Stadtgebiet, heißt es von der Abteilung für Infektions- und Tropenmedizin am LMU Klinikum München. Die Forscher schließen eine Wiesn-Welle jedoch nicht komplett aus. Diese könne sich nämlich aufgrund der Inkubationszeit von fünf Tagen verzögert abzeichnen.

Gleichzeitig räumen die Forscher ein, dass das Abwasser der Wiesn im Vergleich zu dem städtischen Abwasser durch sehr viel Spülwasser, die vorwiegende Urin- statt Stuhlabgabe und Regenfälle stark verdünnt ist. Das erschwert die Analyse der Proben. Weil die Gäste auch in der Stadt München unterwegs sind, untersuchen die Forscher auch die städtischen Abwässer.

Neben der Virenlast führten die Wissenschaftler Sequenzierungen durch, um die genetische Zusammensetzung der Viren zu beobachten – und auch mögliche neue Varianten schnell zu entdecken.

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Gibt es schon eine neue Virusvariante?

Alpha, Delta und nun Omikron: Dass das Coronavirus mindestens seit Pandemiebeginn mutiert, ist mittlerweile wissenschaftlicher Konsens. Doch weder ist jede Variante gleich gefährlich, noch muss jede Mutation eine dramatische Wendung im Pandemiegeschehen bedeuten. Behörden und Experten unterscheiden zwischen zu beobachtenden Varianten (Variant of Interest) und besorgniserregenden Varianten (Variants of Concern). Aktuell machen im Nachbarland Österreich Meldungen über eine neue Omikronvariante mit dem Namen BA.2.75.2 oder BJ.1 die Runde.

Warum ist BA.2.75.2 relevant?

Weltweit sollen bisher 70 Infektionen mit der neuen Virusvariante gemeldet worden sein – die meisten von ihnen in Indien. Auch in den USA ist die Variante bereits aufgetreten. In diesem Herbst könnte sie noch an Bedeutung gewinnen. Vor allem deshalb, weil sie "einen Rekord an Mutationen aufweist", wie Ulrich Elling, Molekularbiologe am Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, gegenüber dem österreichischen "Standard" erklärt.

Bei der neuen Virusvariante handelt es sich um eine Mutante der BA.2-Variante, die 31 Mutationen am Spike-Protein – der Andockstelle des Virus – aufweist. Bei BA.2.75.2 sollen es 13 zusätzliche Mutationen sein. Zum Vergleich: BA.5 hat fünf zusätzliche, bei Delta waren es insgesamt lediglich acht.

Warum könnte die Variante problematisch werden?

Österreichische Wissenschaftler befürchten eine besser Immunflucht der neuen Subvariante. Denn die Mutationen finden sich genau an jenen Stellen, an denen sich die Antikörper gegen das Virus binden. Dadurch fällte es den Antikörpern schwerer, die Coronavariante zu erkennen und zu bekämpfen. Wegen dem zunehmenden Immunschutz in der Bevölkerung durch Infektionen und Impfung war es aber nur noch eine Frage der Zeit, bis sich das Virus entsprechend weiterentwickelt, um "überleben" zu können.

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Was bedeutet die neue Variante für den Herbst und Winter?

Wie gefährlich die neue Subvariante ist, muss sich erst noch zeigen. Elling verweist zwar darauf, dass das Virus seine Infektiösität einbüßen könnte. In Indien werde diese Erwartung allerdings nicht erfüllt. Dort breitet sich das Virus schnell aus. "Wir müssen dabei bedenken, dass Omikron durch etliche Mutationen immer wieder an Infektiosität gewonnen hat. BA.2.75.2 wird jedenfalls noch um einiges ansteckender sein als die Ursprungsvariante aus Wuhan", sagt Elling. Um herauszufinden, was BA.2.75.2 wirklich für das Infektionsgeschehen bedeutet, müsse man in nächster Zeit die Wachstumszunahme beobachten.

Wird sich BA.2.75.2 auch in Deutschland durchsetzen?

Das ist derzeit schwer zu beantworten. "Wir sind in einer Phase, wo wir sehr, sehr viele neue Untervarianten sehen, einen Sumpf neuer Untervarianten", sagt der Virologe Björn Meyer vom Institut für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene der Universität Magdeburg dem "Spiegel". Viele von ihnen haben sich so weit entwickelt, um den Schutz durch vorhergehende Infektionen oder Impfungen umgehen zu können. Deshalb macht es am Ende möglicherweise keinen Unterschied, welche Variante dominiert. Unklar bleibt zunächst auch, wie scher die Krankheitsverläufe bei einer Infektion mit den entsprechenden Subvarianten ausfallen werden.

Wie kann man sich trotzdem vor den neuen Varianten schützen?

Wissenschaftler gehen davon aus, dass auch im kommenden Winter wieder viele Menschen an Corona erkranken. Um die Bevölkerung vor einer Infektion zu schützen raten sie deshalb zu einer neuen Strategie bei der Impfstoff- und Medikamentenentwicklung. Neue Impfstoffe müststen so entwickelt werden, dass sie auch gegen verschiedene Varianten und Subtypen wirken.

Quellen: Robert Koch-Institut, "Der Standard", "New York Times", BioRxiv1, BioRxiv2, mit Material von DPA und AFP

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