Mega-Studie aus Oxford: Wer kein Fleisch isst, hat instabilere Knochen
Wer sich fleischfrei oder gar rein pflanzlich ernährt, nimmt häufig zu wenig Kalzium zu sich. Zudem kann es zu einem Proteinmangel kommen. Das könnte laut britischen Forschern Auswirkungen auf die Belastbarkeit der Knochen haben.
Veganer, Vegetarier und Pescetarier haben laut Wissenschaftlern ein höheres Risiko, Knochenbrüche zu erleiden als Menschen, die Fleisch essen. Das geht aus einer groß angelegten Kohortenstudie britischer Forscher hervor. Ihre Studienergebnisse veröffentlichen sie im Fachblatt „BMC Medicine“.
Das Team um Ernährungsepidemiologin Tommy Tong vom Nuffield Department of Population Health der Universität Oxford hatte untersucht, wie sich eine rein pflanzliche oder fleischlose Ernährung auf den Körper auswirkt. „Dies ist die erste umfassende Studie zu den Risiken von totalen und ortsspezifischen Frakturen bei Menschen verschiedener Ernährungsgruppen“, erklärt die Studienautorin.
Die beteiligten Forscher der Universitäten Oxford und Bristol hatten dazu die Daten von insgesamt 54.898 Menschen analysiert, rund drei Viertel davon waren Frauen. Davon aßen 29.380 Fleisch, 8037 Fisch, aber kein Fleisch, 15.499 waren Vegetarier und 1982 Veganer. Sie wurden durchschnittlich über 18 Jahre lang kontinuierlich beobachtet. Die ersten Probanden wurden bereits im Jahr 1993 in die Kohortenstudie aufgenommen.
Insgesamt traten während des Studienzeitraums 3941 Frakturen auf, darunter 566 Arm-, 889 Handgelenk-, 945 Hüft-, 366 Bein-, 520 Knöchel- und 467 Frakturen an Schlüsselbein, Rippen und Wirbel.
Wer sich fleischfrei ernährt, hat häufig einen Kalzium- oder Proteinmangel
Bei der Analyse dieser Daten stellten die Forscher fest: Die Menschen, die sich vegan ernährten, hatten ein um 43 Prozent höheres Risiko für Frakturen als Menschen, die Fleisch aßen. Bei den Hüftfrakturen war der Unterschied laut Studienautorin Tong am größten: Das Risiko für Veganer war um das 2,3 fache höher als bei den Fleischessern. Auch Vegetarier und Pescetarier hatten ein erhöhtes Risiko.
Im Rahmen der Untersuchung konnten die Autoren zwar nicht eindeutig zwischen Frakturen unterscheiden, die durch eine schlechtere Knochengesundheit verursacht wurden (etwa Frakturen aufgrund eines Sturzes aus der Standhöhe oder weniger), und solchen, die durch Unfälle verursacht wurden. Damit konnten sie also nicht mit Sicherheit feststellen, ob die vermehrten Knochenbrüche unmittelbar durch eine bestimmte Ernährung verschuldet waren.
Aber sie gehen davon aus, dass die Versorgung des Körpers mit Proteinen und Kalzium eine Schlüsselkomponente ist und dafür sorgt, dass die Knochen bei Menschen, die kein Fleisch essen, im Allgemeinen weniger stabil sind.
Niedriger BMI könnte für Frakturen verantwortlich sein
Die Analyse zeigte auch, dass Veganer nicht nur weniger Kalzium und Eiweiß zu sich nahmen als Fleischesser, sondern im Durchschnitt auch einen niedrigeren BMI hatten. Eine weitere mögliche Erklärung für die höhere Anfälligkeit für Brüche.
Studienautorin Tong erläutert: „Frühere Studien haben gezeigt, dass ein niedriger BMI mit einem höheren Risiko für Hüftfrakturen im Zusammenhang steht und eine niedrige Aufnahme von Kalzium und Protein mit einer schlechteren Knochengesundheit in Verbindung gebracht wurde.“
Darüber hinaus schließen die Wissenschaftler nicht aus, dass den vegan und vegetarisch lebenden Personen neben Protein und Kalzium weitere Nährstoffe fehlen. Auch ein möglicherweise vorhandener Mangel an Vitamin D oder B12 könnte die vermehrten Knochenbrüche erklären.
Forscher raten nicht von veganer Ernährung ab
Auf der anderen Seite könne eine ausgewogene und überwiegend pflanzliche Ernährung jedoch auch zu einem verbesserten Nährstoffgehalt führen. Zudem sei sie mit einem geringeren Risiko für Herzkrankheiten verbunden. Deshalb sprechen sich die Wissenschaftler auch nicht grundsätzlich gegen eine rein pflanzliche Ernährung aus.
Studienleiteirn Tong rät stattdessen: „Die Menschen sollten die Vorteile und Risiken ihrer Ernährung berücksichtigen und sicherstellen, dass sie über ausreichende Kalzium- und Eiweißwerte verfügen.“ Wer sich fleischfrei ernährt, sollte die Nährstoffe also supplementieren. Zudem sollte jeder auf einen gesunden BMI achten, also weder unter- noch übergewichtig sein.
Weitere Untersuchungen nötig
Insgesamt betonen die Autoren die Bedeutung weiterer Forschung bezüglich des Einflusses der Ernährung auf die Knochenstabilität: Da die Studie überwiegend weiße europäische Teilnehmer umfasste, könnten die jetzt veröffentlichten Ergebnisse nicht auf andere Bevölkerungs- oder ethnische Gruppen übertragen werden. Dort könnte es Unterschiede in der Knochenmineraldichte und hinsichtlich des Frakturrisikos geben. Dafür fehlten bislang Studien mit Teilnehmern aus verschiedenen, auch nichteuropäischen Bevölkerungsgruppen. Um mögliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern auszumachen, sollten künftig zudem Teilnehmergruppen mit einem höheren Männeranteil untersucht werden.
Frühere Studie zeigte: Fleischesser erleiden seltener Schlaganfälle
Die Oxford-Ernährungsepidemiologin Tammy Tong hatte sich in der Vergangenheit bereits mit weiteren Aspekten der fleischfreien Ernährung befasst. So analysierte sie mit ihrem Forscherteam etwa im vergangenen Jahr, dass Fleischesser zwar ein um 22 Prozent höheres Risiko für Herzinfarkte hatten. Stattdessen erlitten Veganer, Vegetarier und Pescetarier allerdings vermehrt Schlaganfälle. Ihr Risiko war um 20 Prozent höher als das von Fleischessern. Eine eindeutige Erklärung dafür lieferte die Studie, welche 2019 im Fachblatt "The BMJ" erschienen war, damals nicht.
Tong vermutete jedoch auch hier einen Nährstoffmangel. „Es gibt einige Hinweise darauf, dass ein sehr niedriger Cholesterinspiegel mit einem geringfügig höheren Risiko für einen Schlaganfall verbunden sein könnte.“
Die Studie erntete damals nicht nur Zuspruch, sondern auch Kritik. So erklärte etwa der britische Kardiologe Malcom Finlay: „Mir scheint es, als habe man den Fakt, dass Vegetarier sehr viel gesünder leben als Fleischesser, verzweifelt korrigieren wollen.“
Während die Studie zeigen mag, dass das Risiko eines Schlaganfalls bei Vegetariern nicht so gering ist wie erwartet, sei das Gesamtrisiko, eine schwerwiegende Herz-Kreislauf-Erkrankung zu erleiden, laut dem Kardiologen noch immer sehr viel geringer als bei Fleischessern.
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