Wirkt Biontech schlechter gegen Delta-Variante? Das Problem mit den Daten aus Israel

Wirkt der Biontech-Impfstoff gegen die Delta-Variante schwächer als bisher angenommen? Daten aus Israel sollen darauf hindeuten. Allerdings ist ihre Aussagekraft bisher umstritten.

Dem israelischen Gesundheitsministerium zufolge soll der Schutz vor einer Corona-Infektion durch eine Biontech-Impfung nur etwa 39 Prozent betragen. Der Schutz vor schweren Erkrankungen liege aber weiterhin bei 91 Prozent, Hospitalisierungen würden zu 88 Prozent durch eine doppelte Gabe des Impfstoffs verhindert, wie israelische Medium, unter anderem das Portal "Ynet", berichten.

Von 5,2 Millionen doppelt Geimpften seien zwischen Mitte Juni und Mitte Juli 5770 Menschen in Israel an Covid-19 erkrankt. Insgesamt seien mehr als eine Million Tests durchgeführt worden. Von den positiv getesteten Geimpften sind 495 Menschen ins Krankenhaus gekommen, 334 erkrankten schwer und 123 Infizierte starben.

Daten mit Vorsicht betrachten

Ist der Impfstoff gegen die Delta-Variante also deutlich weniger wirksam? Die Erkenntnisse aus Israel sind mit Vorsicht zu betrachten. Das israelische Medium "Haaretz" berichtet, dass die Daten verzerrt sein könnten, weil viele Tests auf das Coronavirus in Israel in Hot Spots und insbesondere unter älteren Menschen durchgeführt worden seien. Nur in geringer Zahl seien junge Geimpfte getestet worden. Es fehlt eine „methodisch einwandfreie Publikation“, erklärte auch SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach auf Facebook. Daher können die Daten noch nicht als zuverlässig gelten.

Zudem kommen weitere Studien zu gegensätzlichen Ergebnissen. So haben Wissenschaftler erst kürzlich im renommierten "New England Journal of Medicine" beschrieben, dass zwei Dosen des Biontech-Impfstoffs effektiv auch vor der Delta-Variante schützen. Demnach wirkte eine einmalige Impfdosis zwar nur zu etwa 30 Prozent. Unter den mit Comirnaty doppelt geimpften Briten gab es allerdings 88 Prozent weniger symptomatische Infektionen als in der Kontrollgruppe.

Trotzdem stellt sich aufgrund der Hinweise aus Israel erneut die Frage, ob eine dritte Impfung notwendig sein könnte.

Eine bereits zuvor erschienene, weitere Studie aus Israel hatte gezeigt, dass bestimmte Gruppen trotz Impfung weiterhin gefährdet sind, einen schweren Verlauf zu erleiden. Die Wissenschaftler um Tal Brosh-Nissimov vom Universitätsklinikum in der Stadt Ashdod berichteten von insgesamt 152 vollständig geimpften Personen, die wegen ihrer Covid-Erkrankung im Krankenhaus behandelt werden mussten. 38 Patienten mussten künstlich beatmet werden, 34 starben in Folge ihrer Infektion. Die Sterberate war den Forschern zufolge demnach ähnlich hoch wie bei ungeimpften Patienten.

Was dabei auffällt: Das Durchschnittsalter der Personen lag bei 71 Jahren. Zudem hatten viele der Patienten Vorerkrankungen, welche das Risiko für einen schweren Covid-Verlauf erhöhen.

Darunter:

  • Bluthochdruck: 71 Prozent
  • Diabetes: 48 Prozent
  • Herzinsuffizienz: 27 Prozent
  • Krebs: 24 Prozent
  • Lungenerkrankungen: 24 Prozent
  • Niereninsuffizienz: 24 Prozent
  • Demenz: 19 Prozent  

Insgesamt 40 Prozent der Patienten war laut den Forschern immungeschwächt, weil sie etwa durch eine Organtransplantation oder Krebstherapie Medikamente einnehmen mussten. Der Vergleich mit früheren Beobachtungsstudien von ungeimpften Patienten zeige, dass die hospitalisierten in der Regel jünger waren und zudem seltener Vorerkrankungen hatten. Daraus schließen die Forscher, dass die Impfstoffe bei älteren Menschen und Vorerkrankten generell schlechter wirken. Dafür gibt es zwei Erklärungen. Alle Neuigkeiten zur Corona-Impfung finden Sie im News-Ticker von FOCUS Online

1. Das Immunsystem von Älteren und Vorerkrankten reagiert schlechter

Zwar sollten die Impfstoffe laut Zulassungsstudien vollständig von einem schweren Verlauf, also einer Hospitalisierung schützen. Das Problem liegt allerdings in den Daten dieser Untersuchungen. Zwar sind Zulassungsstudien so zusammengesetzt, dass sie möglichst unterschiedliche Geschlechter und Altersgruppen miteinbeziehen. Allerdings tauchen etwa Menschen mit einem geschwächten Immunsystem nicht darin auf – für sie wäre das Risiko einer solchen Studie zu hoch. Gleichzeitig ist aber auch ihr Risiko, nach einer Infektion mit Sars-CoV-2 einen schweren Verlauf zu erleiden, erhöht.

Dass die Impfstoffe bei alten Menschen, Krebskranken oder Organtransplantierten nach ersten Studien nicht wirken wie erhofft, hat also weniger mit dem Impfstoff als mit dem Immunsystem oder der medikamentösen Einstellung der Betroffenen zu tun. „Es gibt inzwischen mehrere Studien, die zeigen, dass die Impfung gegen Covid-19 bei Menschen, deren Immunsystem medikamentös gebremst wird, nicht so gut wirkt wie bei anderen“, erklärt etwa Thomas Mertens, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (Stiko) bereits im Juni.

„Abhängig vom Ausmaß der Immunsuppression und den verwendeten Medikamenten ist die Immunantwort sogar trotz vollständiger Impfung deutlich schlechter oder fällt ganz aus“, sagte Mertens. Der Stiko-Chef geht deshalb davon aus, dass etliche Menschen trotz vollständiger Impfung keinen wirksamen Corona-Immunschutz aufgebaut haben. Gerade in diesen Gruppen kann es also vermehrt zu schweren Verläufen trotz vollständiger Impfung kommen.

2. Die Impfwirkung lässt nach sechs Monaten nach

Ein weiterer Aspekt, der die schweren Verläufe in Israel erklärt: Der Zeitfaktor. Denn die Reduktion um 42, beziehungsweise 60 Prozent bezieht sich auf die früh Geimpften. Es sind also vor allem die Menschen aus Risikogruppen, die zu Beginn der Impfkampagne ihre erste und zweite Dosis erhalten haben. Bei ihnen nimmt die Impfwirkung also womöglich schon wieder ab. Mehrere Berichte aus Israel stellen demnach eine langfristige Schutzwirkung der Corona-Vakzine infrage.

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