Virologe warnt vor BA.4 und BA.5: „Leider sehr ansteckend und eventuell auch pathogener“

Über Deutschland rollt gerade eine neue Corona-Welle. Grund dafür sind die Omikron-Subvarianten BA.4 und BA.5. Nun gibt es erste Hinweise, dass diese nicht nur ansteckender, sondern auch pathogener sein könnten: Denn sie lösen möglicherweise schwerere Krankheitsverläufe als BA.2 aus.

Hohe Infektionszahlen, aber vorwiegend milde Verläufe – Omikron schien fast das Ende der Pandemie einzuläuten. Doch immer wieder tauchen neue Omikron-Sublinien auf, die noch ansteckender sind. Nachdem BA.2 in den vergangenen Monaten dominierend war, steigt nun der Anteil von BA.4 und insbesondere BA.5 stark an.

BA.4- und BA.5-Anteile verdoppeln sich gerade wöchentlich

Laut aktuellem Wochenbericht des Robert-Koch-Instituts verdoppelt sich der Anteil von BA.4 und insbesondere BA.5 am Infektionsgeschehen gerade wöchentlich in Deutschland: 4,2 Prozent aller Infektionen gehen bereits auf BA.4 zurück und fast 24 Prozent auf BA.5. Der Anteil von BA.2 dagegen sank mittlerweile auf 70 Prozent – ein paar Wochen zuvor lag der Anteil noch bei über 90 Prozent. Das zeigt also, dass die neuen Varianten deutlich ansteckender sind als BA.2. Hinweise, dass sie auch schwerere Krankheitsverläufe und auch mehr Todesfälle verursachen, gäbe es aber laut RKI-Bericht noch nicht.

Sublinien BA.4 und BA.5 dringen effizienter in die menschlichen Zellen ein

Anders sieht das aber der Mediziner Jan Hartmann. „Es gibt immer mehr Hinweise, dass [der] intrinsische Schweregrad von BA.4 /.5 sich wieder in Richtung Delta bewegt“, schreibt der Mediziner auf Twitter. Ein Grund für weniger schwere Verläufe beispielsweise der BA.1-Variante sei mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass das Virus seinen bevorzugten Eintrittsweg in die Zelle verändert hatte, schreibt er weiter.

Statt „endomaler Fusion“ stünde wieder ein Eintrittsweg des Virus in die Zelle mittels der Enzyme ACE2 und TMPRSS2 im Vordergrund. Das führe sehr wahrscheinlich unter anderem zu einem stärkerem Lungenbefall, schreibt Hartmann. „Es sei wie ein virales Yo-Yo“ kommentierte der Wissenschaftler Stuart Turville, Associate Professor an der Universität von New South Wales diese erneute Veränderung, wie das Virus in die Zelle eindringt.

Studie aus Japan deutet ebenfalls auf stärkere Pathogenität von BA.4 und BA.5 hin

Dass BA.4 und BA.5 möglicherweise auch wieder zu schwereren Verläufen führen könnten, darauf weist auch eine vieldiskutierte Preprint-Studie aus Japan hin, die Ende Mai veröffentlicht wurde. Demnach zeigten Infektionsexperimente mit Hamstern, dass BA.4 und BA.5 pathogener seien als BA.2.

Eine weiteres Ergebnis der Studie ist ebenfalls besorgniserregend: Demnach nützt eine durchgemachte Infektion mit BA.1 oder BA.2 wenig gegen diese beiden neuen Sublinien. „Neutralisationsexperimente zeigten, dass die durch BA.1- und BA.2-Infektionen induzierte Immunität weniger wirksam gegen BA.4/5 ist“, heißt es darin. Menschen, die also eine Infektion mit BA.1 und BA.2 durchgemacht haben, sind dadurch deutlich weniger vor einer Infektion mit BA.4 oder BA.5 geschützt.

Omikron-Subvarianten führen zu mehr Durchbruchsinfektionen bei Geimpften

Auf eine weitere Konsequenz, die sich durch diese veränderten Subvarianten ergibt, weist eine amerikanische Preprint-Studie hin, die ebenfalls Ende Mai veröffentlicht wurde. „Dass die neuartigen Omikron-Untervarianten zusätzliche Mutationen in ihren Spike-Proteinen tragen, gibt Anlass zur Sorge, dass sie neutralisierenden Antikörpern weiter entgehen könnten, wodurch die Wirksamkeit unserer Covid-19-Impfstoffe und therapeutischen monoklonalen Wirkstoffe weiter beeinträchtigt wird“, heißt es darin.

Systematische Analysen hätten gezeigt, dass BA.4/5, die bereits in den USA und Südafrika dominieren, gegenüber Seren von geimpften und geboosterten Personen wesentlich resistenter seien als beispielsweise BA.2 und daher eher zu Durchbruchsinfektionen führten. Wer geimpft und geboostert ist, hat daher noch weniger Abwehr gegen die neuen Sublinien als es gegen BA.2 der Fall ist.

Virologe Friedemann Weber: Zunahme von Todesfällen in Deutschland möglich

Dass also BA.4 und BA.5 nicht zu unterschätzen sind, bestätigt auch Friedemann Weber vom Institut für Virologie an der Universität Gießen angesichts der aktuell schnell ansteigenden Fallzahlen in Deutschland. „Nach bisherigen Daten sind diese beiden Varianten, die nun dominant werden, leider sehr ansteckend und eventuell auch pathogener“, sagt er gegenüber FOCUS Online. „Es ist also durchaus möglich, dass der momentane Anstieg noch eine Weile anhält und auch zu einer Zunahme an Todesfällen führt – so wie es in Portugal zu beobachten ist“, führt Weber weiter aus. Gerade Portugal erlebte trotz hoher Impfquote in den vergangenen Wochen eine starken Infektionsanstieg.

Dennoch geht Weber nicht davon aus, dass die Situation durch BA.5 auf das Niveau eskaliert, das es vor der Impfung gab:. „Wir haben dank Impfungen und auch wegen vorheriger Infektionen eine gewisse Populationsimmunität und sind deshalb weit von den Größenordnungen entfernt, die es im Winter 2020/21 gab“, erläutert er.

Dass es angesichts der ansteigenden Infektionszahlen in Deutschland noch diesen Sommer zu einer Überlastung des Gesundheitssystems kommen könnte, glaubt Weber daher nicht. „Zu Einschränkungen aufgrund von Personalausfällen oder lokalen Ausbrüchen könnte es aber durchaus kommen“, schränkt er ein.

Virologin Sandra Ciesek: BA.5 könnte wegen Mutationen pathogener sein

Auch die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek räumt ein, dass gerade BA.5 wegen der Mutationen an den Schlüsselstellen des Spike-Proteins potentiell gefährlicher sein könnte, da es dadurch Lungenzellen besser infizieren kann. „Ich halte es für möglich, dass BA.5 wieder etwas pathogener sein könnte, aber das ist abschließend nicht geklärt“, sagt Ciesek im neuesten NDR-Podcast.

Allerdings könne man aufgrund der durch Impfungen und durchgemachten Infektionen veränderten Immunität in der Bevölkerung nur schwer vergleichen, ob die Sublinie tatsächlich kränker macht als Alpha oder Delta. Und selbst wenn BA.5 wieder mehr schwerere Erkrankungen hervorrufen sollte, könnte das Virus dennoch weniger Schaden anrichten als noch vor zwei Jahren, als es noch keine Impfungen, antiviralen Medikamente und monoklonalen Antikörper gab, so die Virologin. Der Anstieg der Todesfälle in Portugal könnte eventuell damit zusammenhängen, dass viele ältere Patienten, deren Booster schon länger zurück liegt, noch keinen weiteren erhalten hätten, heißt es weiter beim Podcast.

Virologin Ulrike Protzer: Mehr Ansteckungen bedeuten mehr Krankenhausfälle

Die Virologin Ulrike Protzer von der Technischen Universität München gibt trotz der besorgniserregenden Lage, die BA.5 mit steigenden Hospitalisierungsraten und Todesfällen in Portugal verursacht hat, Entwarnung. „Wenn ich viele Ansteckungen habe, werde ich immer auch Patienten haben, die ins Krankenhaus kommen und ich werde immer auch schwerere Verläufe haben“, sagte sie gegenüber dem Bayerischen Rundfunk. Dieser Effekt sei erwartbar, wenn neue Varianten wie BA.5, die noch ansteckender sind, auftreten.

Ob bei diesen Omikron-Sublinien tatsächlich eine höhere Pathogenität vorliege und sie uns schwerer erkranken lassen, könne man aber noch nicht sagen, meint Protzer. Die neue Variante erinnere uns aber daran, dass wir im Herbst ein vernünftiges Infektionsschutzgesetz brauchen mit klaren Kennzahlen, wann man Maßnahmen einführen müsse und wann nicht, so die Expertin.

Die Gefahr von flächendeckenden Lockdowns und gar Schulschließungen sieht sie dennoch nicht. „Dass wir wieder zurückkommen in eine Situation wie wir sie am Anfang der Pandemie hatten, das wird nicht mehr passieren, weil in der Breite das Immunsystem gut vorbereitet ist“, so die Virologin.

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