Psychologin erklärt, wie Mädchen zu brutalen Schlägerinnen werden

Zwei 13-jährige Mädchen haben in Rastatt ein 14-jähriges Mädchen krankenhausreif geschlagen. Mit einem unfassbaren Maß an Brutalität, die man Mädchen gar nicht zutraut. Eine Psychologin erklärt, wie es zu Gewaltausbrüchen bei Mädchen kommen kann.

Zwei 13-jährige Mädchen, die ein am Boden liegendes 14-jähriges Mädchen mit den Füßen gegen Kopf und Bauch treten. Ein Video dieser unfassbar brutalen Tat, das von Umstehenden gefilmt wurde, kursiert gerade im Internet. Die Tat ereignete sich im baden-württembergischen Rastatt an einem Bahnhof. Wie die „Bild“-Zeitung berichtet, wurde das Opfer schwerverletzt ins Krankenhaus gebracht. Die Täterinnen seien polizeibekannt und mutmaßlich für andere Schlägereien, die sich am vergangenen Wochenende ereignet haben, verantwortlich, schreibt das Blatt weiter.

Jugendliche, die gewalttätig werden, haben selbst Gewalt erlebt

Doch wie kommt es dazu, dass ausgerechnet Mädchen derartig gewalttätig agieren? „Es gibt eine einfache Regel: Gewalt führt zu Gewalt“, erklärt die Psychologin Evelyn Heinemann im Gespräch mit Focus online. Im Rahmen eines Forschungsprojekts zur Entstehung von Gewaltbereitschaft hat Heinemann selbst schon mit jugendlichen Straftätern gearbeitet. Auch war sie schon als Lehrerin an einer Sonderschule für verhaltensauffällige Kinder tätig. „In der Regel haben Jugendliche, die gewalttätig werden, selbst Gewalt erlebt. Durch die Eltern, oder durch ihr Milieu“, erläutert Heinemann weiter.

Gewalt und Gangs, um Angst zu bewältigen

Auch Angst spiele bei der Entstehung von Gewalt eine große Rolle. „Die Angst, die man erlebt, wenn man zum Beispiel als Kind Gewalt erfährt, wird dadurch bewältigt, indem man anderen diese Angst zufügt und dann selbst der Stärkere ist und nicht mehr der Schwächere“, führt die inzwischen pensionierten Psychologin aus.

Diese Art von Angstbewältigung führe auch dazu, sich mit anderen zusammenzuschließen: „Wenn man Angst hat, dass man das noch einmal erlebt, muss man immer versuchen, der Stärkere zu sein. Und deshalb suchen sich Betroffene häufig Gangs, in denen sie sich mit anderen zusammentun.“ Im Falle von Rastatt sei es eben eine Mädchen-Gang gewesen, was eher die Ausnahme sei.

Frauen leben Gewalt eher gegen sich selbst aus

Denn laut Heinemann sei Gewalt eher ein männliches Phänomen: „Frauen fügen sich die Gewalt eher selbst zu, ritzen sich oder haben Autoaggressionen“, sagt sie. Letztendlich seien es aber die gleichen Mechanismen, die dahintersteckten: „Diese Menschen schützen sich im Grunde selbst, hatten vielleicht gewalttätige Eltern, haben sicher selbst Gewalt erlebt, manchmal auch sexualisierte Gewalt,“ so die Psychologin.

Gewalt geht weiter, wenn jungen Menschen keine Grenzen gesetzt werden

Dass dies mutmaßlich laut „Bild“ auch nicht der erste Gewaltakt der Täterinnen von Rastatt war, verwundert Heinemann nicht. „Dem voraus geht oft ein aggressives Verhalten in der Schule, Beleidigungen gegen Lehrer oder Prügeleien mit anderen Schülern.“ Offensichtlich sei auf ihre Gewalttaten aber bisher zu spät oder nicht angemessen reagiert worden, kritisiert Heinemann. Die ersten Signale seien wohl ignoriert worden: „Aber wenn diesen jungen Menschen keine Grenzen gesetzt werden, denken sie, es geht immer so weiter“, mahnt sie.

Gespräche und klare Grenzen, um Gewalt zu durchbrechen

Heinemann, die zuletzt auch an der Johannes Gutenberg Universität Mainz gelehrt hat, ist davon überzeugt, dass die Ursache für Gewalt aber fast immer die gleiche ist. „Alle Forschungen zu Gewalt haben dokumentiert, dass Gewalt zu Gewalt führt.“ Ein Automatismus sei es aber dennoch nicht, da es auch Menschen gäbe, die selbst Gewalt erlebt hätten und selbst nicht gewalttätig werden.

Genau aus diesem Grund sei es auch möglich Gewaltbereitschaft bzw. Gewalttätigkeit zu durchbrechen, „indem man Verständnis und Gespräche anbietet, aber auch gleichzeitig klare Grenzen setzt und eine Möglichkeit zur Wiedergutmachung schafft“, sagt Heinemann. Es müsse daher keine sadistische Strafe sein, aber eine Möglichkeit wäre beispielsweise ein sozialer Dienst. „Die Mädchen könnten vielleicht ein Jahr lang im Altersheim helfen oder Ähnliches.“

Erwachsene hätten gemeinsam in Rastatt einschreiten können

Befremdlich am Fall Rastatt ist auch der Umstand, dass der Vorgang gefilmt worden ist, aber niemand eingegriffen hat und dem Opfer zu Hilfe kam. „Es ist erschreckend, dass kein Erwachsener eingeschritten ist und gesagt hat: „Stopp! Du kannst hier nicht dieses Kind verprügeln“, sagt Heinemann. Man müsse sicher nicht alleine eingreifen, aber Erwachsene hätten gemeinsam einschreiten können.

Polizei leitet erst Ermittlungen ein

Laut „Bild“ hat die Staatsanwaltschaft bereits erste Schritte veranlasst. „Wir haben jetzt Ermittlungen eingeleitet u.a. wegen gefährlicher Körperverletzung, unterlassener Hilfeleistung und Verletzung von Persönlichkeitsrechten, weil die Tat gefilmt wurde.“

Bereits im vergangenen November gab es zwei solche Angriffe. Auch darin prügelten zwei Mädchen enthemmt auf eine 14-Jährige ein. Auch in diesen Fällen griff niemand ein. Alle Fälle haben gemeinsam, dass nicht mal der Notruf gewählt wurde.

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