Können gezielte Ansteckungen die Pandemie stoppen? Die WHO hat eine klare Meinung

Kann die gezielte oder ungezielte Durchseuchung der Bevölkerung mit Sars-CoV-2 die Coronavirus-Pandemie stoppen? Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat sich ausführlich mit der Frage der Herdenimmunität durch massenhafte Ansteckungen auseinandergesetzt – und kam zu einem eindeutigen Ergebnis: "Sie ist wissenschaftlich und ethisch problematisch", stellte WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus am Montag bei einem Pressebriefing fest.

Durchseuchung mit dem Coronavirus „keine Option“

Die Herdenimmunität durch Infektionen sei niemals in der Geschichte des Gesundheitswesens als Strategie zur Reaktion auf einen Krankheitsausbruch oder gar eine Pandemie eingesetzt worden, erklärte der Biologe und Immunologe, und komme daher auch nicht für die Bekämpfung des Coronavirus infrage – vor allem aus dreierlei Gründen:

Herdenimmunität sollte dem WHO-Generaldirektor zufolge nur durch gezielte Impfungen in einer Population aufgebaut werden. So liege die nötige Impfrate bei Masern bei etwa 95 Prozent, die von Polio bei 80 Prozent. Ab diesen Werten wird den Erregern quasi die "Nahrung" entzogen, da das Virus sich nicht mehr unter den geimpften Personen ausbreiten kann. Wo die Rate für Sars-Cov-2 liegen würde, ist noch nicht abschließend erforscht. In der wissenschaftlichen Diskussion ist ein Wert um die 70 Prozent. Doch ohnehin: Einen wirksamen und sicheren Impfstoff gibt es noch nicht.

Wenn Herdenimmunität, dann nur durch Impfungen

Für Tedros steht daher zur Frage einer Durchseuchung der Bevölkerung fest: "Herdenimmunität wird erreicht, indem Menschen vor einem Virus geschützt werden, nicht indem sie diesem ausgesetzt werden."

Wie der Schutz vor dem Coronavirus aussieht, sei bekannt. Tedros nannte eine Reihe von Empfehlungen der WHO, unter anderem die Isolation Infizierter, viele Tests, Kontaktnachverfolgungen, Abstandhalten, Hygiene, Masken, Vermeiden von Menschenmassen, Apps. "Es gibt viele Dinge, die Länder tun können und tun, um die Übertragung zu kontrollieren und Leben zu retten." Die Durchseuchung der Bevölkerung gehört nach Auffassung der WHO nicht dazu.

Das Thema Herdenimmunität wurde unter anderem im Juli auch auf einer Veranstaltung des Science Media Centers von mehreren deutschen Wissenschaftlern öffentlich diskutiert. Dort stellte beispielsweise André Karch, stellvertretender Institutsdirektor Epidemiologie und Sozialmedizin und Leiter der Klinischen Epidemiologie am Universitätsklinikum Münster, fest, dass " ein völlig stabiles Herdenimmunitätsgeschehen gar nicht vorstellbar" sei: "Solange wir davon ausgehen müssen, dass die Immunität nach einer Infektion im Individuum für einen bestimmten Zeitraum vorhanden ist, müssen wir uns eigentlich auch nicht tiefergehend mit Herdenimmunität durch natürliche Infektion beschäftigen."

Auch Schweden erreichte keine Herdenimmunität

Ebenfalls im Juli appellierten etliche schwedische Mediziner und Forscher: "Schweden hoffte, dass die Herdenimmunität Covid-19 eindämmen würde. Tut nicht, was wir getan haben. Es funktioniert nicht." Das Land hatte einen eher laxen Kurs im Kampf gegen das Coronavirus eingeschlagen – allerdings um den Preis einer hohen Sterblichkeitsrate (lesen Sie hier mehr dazu). Eine umfassende Herdenimmunität ist jedoch auch dort nach wie vor nicht erreicht.

Auch das Robert Koch-Institut erklärte im Juli unter Verweis auf eine US-amerikanische Untersuchung, "dass noch in keinem Land die erhoffte Herdenimmunität auch nur annähernd erreicht ist" – die gezielte oder ungezielte Durchseuchung der Bevölkerung in Deutschland ist für die Bundesregierung ohnehin keine Option.

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