Von der eigenen Oma zur Welt gebracht

Anastasia Ontou hat in ihrem Leben drei Kinder zur Welt gebracht. Ihre Tochter Konstantina, da war sie 23 Jahre alt. Ihren Sohn Labros, vier Jahre später. Und ihre Enkelin Maria Anastasia, mit 67.

Ein sommerlicher Tag in Larisa, mit dem Auto 355 Kilometer nördlich von Athen: Eben ist Maria Anastasia noch durch das Wohnzimmer gesaust, vorbei an dem goldenen Sofa und der gold-weißen Tapete. Müde liegt die Zweieinhalbjährige nun auf dem Schoß ihrer Großmutter. Die kleinen Füße in den mit rosa Maschen verzierten Schuhen schweben in der Luft, der rote Haarreif sitzt ein wenig schief. Dann schläft sie ein, in Anastasias von der Sonne gegerbten Armen. Minuten später trägt ihre Mama Konstantina sie in das Zimmerchen, wo ein Heer aus rosa Stofftieren auf sie wartet.

Ihren ersten Namen hat Maria Anastasia von der Heiligen Jungfrau, zu der ihre Mutter Konstantina, 46, jahrelang für ihre Existenz gebetet hat. Den zweiten von ihrer Großmutter, die das Wunder ermöglicht hat. Es gibt ein Sprichwort in Griechenland: „Das Kind meines Kindes ist doppelt mein Kind.“ Großeltern, so besagt es, würden alles für ihr Enkelkind tun. Auf wenige mag das so zutreffen wie auf Anastasia.

Anastasia Ontou, 70, hat die befruchtete Eizelle ihrer Tochter Konstantina, 46, ausgetragen

Während in Ländern wie der Schweiz, Deutschland oder Österreich Leihmutterschaft verboten ist, ist sie in Griechenland gesetzlich klar geregelt, verankert im Familienrecht, in Artikel 1458 des Zivilgesetzbuchs. Tradition hat sie unter Familienangehörigen. Schwestern, Cousinen, Mütter können dort das Kind ihrer unfruchtbaren Verwandten gebären – so wie im Falle der Ontous.

Konstantina ist 37 Jahre alt, als sie zwei künstliche Befruchtungen versucht, beide erfolglos. Fünf Jahre hat sie vorher bereits mit ihrem Partner probiert, auf natürlichem Weg ein Kind zu bekommen. Ein neuer Arzt führt fünf weitere künstliche Befruchtungen durch, in nur sieben Monaten. Nie wird sie schwanger, aber während der Periode verliert sie immer mehr Blut. Ihr Körper ist erschöpft von der dauerhaften Hormoneinnahme.

Mit 42 Jahren hört sie von Dr. Pantos, einem erfahrenen Fertilitätsarzt in Athen. Das Myom, das er entdeckt, ist zwar klein, aber sitzt wie eine Spirale, es macht eine Schwangerschaft unmöglich. Und noch schlimmer: Konstantina hat Krebs. Dr. Pantos muss ihren Uterus entfernen. Wegen Konstantinas Alter und der Erkrankung ist eine Adoption beinahe aussichtslos. Für ein eigenes Kind gibt es nur noch eine Lösung: die Leihmutterschaft. Wie bei vielen anderen steht sie am Ende eines langen Leidenswegs.

Medizinier Konstantinos Pantos

Ist eine Frau unter 50 und kann auf natürlichem Weg keine Kinder kriegen, ist es ihr in Griechenland erlaubt, eine Leihmutter dafür zu beauftragen. Vor Eintritt der Schwangerschaft wird per Gerichtsantrag festgelegt, dass die Wunschmutter als Mutter gilt – und nicht die Frau, die das Kind austrägt. Verfügt die Antragstellerin über keine eigene Eizelle, kann jene einer dritten Frau eingesetzt werden.

Vor der Gebärmutterentfernung hat Konstantina sechs Embryonen – ihre Eizellen, befruchtet mit dem Samen ihres Manns – einfrieren lassen. Über Bekannte findet sie drei Frauen, die diese austragen könnten: zwei Griechinnen und eine Albanerin.

Obwohl die Frauen laut Gesetz kein Honorar verlangen dürften, fordern sie zwischen 30.000 und 50.000 Euro. Da sagt Konstantinas Mutter Anastasia: „Ich kann die Leihmutter sein.“ Die Tochter denkt: ihr Alter! Der Schwiegersohn: ihre Gesundheit! Aber Dr. Pantos sagt: „Theoretisch ist es möglich.“ Denn wichtig sei nicht das Alter des Uterus, sondern das der Eizelle.

Die Genesis-Klinik von Dr. Konstantinos Pantos in Athen

„Genesis Athens Clinic“ hat Konstantinos Pantos, 62, seine Praxis genannt, sie liegt unweit der Kifisias Avenue, einer verkehrsstarken Straße im Großraum Athen. An einem Donnerstagvormittag rauscht geschäftiges Personal an geduldigen Patienten vorbei. Ab und an auch ein Arzt in Hemd und Jeanshose: Pantos. 2002, als das Gesetz für künstliche Befruchtung verabschiedet wurde, hat er die Klinik gegründet, zwei Jahre später ging sie in Betrieb. „Seither haben wir über 40.000 Babys gezeugt“, sagt er. Jedes einzelne mithilfe künstlicher Befruchtung.

Davon erzählen die vielen Babyfotos an den Wänden. Und kleine und große Heiligenbilder, die überall in der Klinik verteilt sind. Pantos‘ Büro gleicht einer Kapelle, dabei ist er nicht besonders gläubig. „Es sind Geschenke von hoffenden Paaren und dankbaren Eltern“, sagt er. Die Rezession, die Griechenlands Wirtschaft in den vergangenen Jahren bestimmte, hat die Genesis Athens Clinic nicht getroffen. 2010 zählte sie 35 Angestellte, mittlerweile sind es 125. Auch die Eingriffe werden mehr: 6.673 In-Vitro-Fertilisations-Zyklen allein im Jahr 2018. Ein Drittel davon sind heute Babys.

„Jede Frau, egal ob mit oder ohne Mann, hat ein Recht auf ein eigenes Kind“, sagt Pantos, selbst Vater von acht Kindern. „Solange die ethischen und gesetzlichen Bedingungen gegeben sind.“ Dafür, dass er diese Bedingungen bis zu ihren Grenzen ausschöpft, wird er von seinen Patientinnen verehrt.

Babyfotos von ehemaligen Patientinnen an den Wänden in der Genesis-Klinik von Konstantinos Pantos

Nachdem die Wahl auf Anastasia, Konstantinas Mutter, als Leihmutter fällt, muss sie Körper und Psyche ein Jahr lang verschiedenen Tests unterziehen. Sie ist gesund, biologisch nicht älter als 60 Jahre. Und erst mit 58 in die Menopause eingetreten, daher kann Pantos mit Hormonen einen künstlichen Zyklus erzeugen.

Beim ersten Versuch setzen die Ärzte drei Embryonen ein. Es klappt nicht. Sie probieren es mit den anderen drei. Eines überlebt. Anastasia ist schwanger, mit 66. Sie ist laut Pantos die älteste Leihmutter der Welt.

Jede Woche muss sie nun zum Arzt in Larisa, alle paar Wochen zu Pantos nach Athen. Die Schwangerschaft verläuft zunächst problemlos, nur Tomaten schmecken Anastasia nicht mehr. Den Bauch sieht man kaum, weil sie eine kräftige Frau ist.

Die Hände von drei Generationen: Anastasia Ontou mit Tochter Konstantina und Enkelin Maria Anastasia

In der 31. Woche aber sorgen sich Pantos und sein Team um die Gebärende. Herzprobleme. Sie entscheiden, das Baby per Kaiserschnitt zu holen. Am 20. Dezember 2016 wird Maria Anastasia um 7 Uhr früh in einer Privatklinik in Athen geboren. Sie wiegt 1.200 Gramm, ist 39 Zentimeter groß. Die erste, die sie in den Armen hält, ist ihre Mutter Konstantina.

In manchen Fragen des Familienrechts könnte man Griechenland durchaus als eher konservativ bezeichnen. Alleinerziehende dürfen nicht adoptieren, die Ehe unter Homosexuellen ist verboten. Aber das Land ist ein Pionier in der medizinisch assistierten Reproduktion geworden, weil es einen fortschrittlichen institutionellen Rahmen geschaffen hat, den Gesetze klar regeln.

Dimitra Papadopoulou-Klamaris, Professorin an der Juristischen Fakultät der Universität von Athen, war eine von neun Professoren, die das Justizministerium Anfang der 2000er Jahre damit beauftragt hat, einen Gesetzentwurf für die Regelung von künstlicher Befruchtung zu schaffen. Die Juristen hörten Experten an: Biologen, Ärzte, Soziologen, Psychologen, Vertreter der orthodoxen Kirche, eine Ethikkommission. Vierzehn Monate trafen sie sich dafür alle zwei Wochen.

Professorin Dimitra Papadopoulou-Klamaris: „Essenziell war der altruistische Gedanke“

„In den Gesprächen haben wir beschlossen, auch einen gesetzlichen Rahmen für die Leihmutterschaft zu schaffen“, sagt Papadopoulou-Klamaris, die seit den Neunzigerjahren Vorlesungen zur rechtlichen Regelung von künstlicher Befruchtung hält. Vorher war Leihmutterschaft nicht reguliert, aber innerhalb von Familien ab und an praktiziert. Eine Frau trug beispielsweise die befruchtete Eizelle ihrer unfruchtbaren Schwester aus, die das Kind nach der Geburt adoptieren musste.

Das griechische Parlament diskutierte die Leihmutterschaft kritisch, erzählt die Juristin. Trotzdem stimmten die Abgeordneten im ersten Anlauf für das Gesetz 3089/2002. Und drei Jahre später auch für das Gesetz 3305/2005, das unter anderem die Rechte und Pflichten der IVF-Zentren regelt. Neben der Klinik von Pantos gibt es mittlerweile um die 60 im ganzen Land.

Anfangs schrieb das Gesetz den griechischen Wohnsitz sowohl der künftigen Eltern als auch der Leihmutter vor. Seit 2014 ist er nur noch für eine der beteiligten Parteien verpflichtend. Das ermöglicht das Verfahren auch ausländischen Paaren.

Embryonen im Reagenzglas unter der Lupe

Die Öffnung passt zu einer Entwicklung: Griechenland wird zunehmend zum Ziel für Medizintourismus, es gibt bereits einen griechischen Medizintourismusrat, auch Pantos ist Teil davon. Beliebt sei das Land aus drei Gründen, sagt er: Wegen der medizinischen Entwicklung, der vergleichsweise niedrigen Kosten und der gesetzlichen Lage, die auch Eizellenspenden oder Präimplantations-Diagnostiken möglich macht.

An der Gesetzesänderung von 2014 war Papadopoulou-Klamaris nicht beteiligt. Sie sagt: „Essenziell für uns in der Gesetzgebungskommission von 2001 war der altruistische Gedanke – aber der ist nur bei Familienangehörigen oder engen Freunden gegeben.“

Eine Untersuchung der 173 Leihmutterschaften, die zwischen 2005 und 2015 vor dem Athener Gericht in erster Instanz genehmigt wurden, zeigt, dass in 113 Fällen die Leihmütter keine Griechinnen, sondern im Lande lebende Ausländerinnen aus Polen, Georgien, Bulgarien waren. 19 verband zuvor ein Angestelltenverhältnis mit der Antragstellerin. 52 gaben an, freundschaftliche Beziehungen zu pflegen. Lediglich 39 der Fälle betrafen Familien wie die Ontous.

Am Kinderbett: Oma und Enkelin

Im Dezember 2016 wird Anastasia zur Schlagzeile in griechischen Medien. Auf den Bildern, die Fotografen noch im Krankenhausbett von ihr machen, sieht sie älter aus als heute, die grauen Haare trägt sie damals schon kurz. Ihr fortgeschrittenes Alter ist auch Streitpunkt in der medizinischen Fachwelt, es kommt daher zur Einführung einer Altersgrenze: Leihmütter dürfen seither nicht jünger als 25 und nicht älter als 45 Jahre sein.

In ihrem Heimatdorf aber wird Anastasia gefeiert, der Bürgermeister überreicht ihr eine Urkunde „Zu Ehren der heldenhaften Großmutter“. Die Nachbarinnen schenken ihr das Bild eines Engels. „Ich würde es immer wieder für meine Familie tun“, sagt Anastasia. Sie hat nicht nur ihrer Tochter den größten Wunsch erfüllt, sondern auch sich selbst: ihr erstes Enkelkind. „In Griechenland bedeutet Kinderlosigkeit ein großes Pech“, sagt die Juristin Papadopoulou-Klamaris. Also werde oft alles akzeptiert, um das zu verhindern.

Nach der Entbindung erholt sich Oma Anastasia schnell, fünf Tage bleibt sie im Krankenhaus. Das Baby kommt für zwei Monate in den Brutkasten. Am 20. Februar darf Mama Konstantina Maria Anastasia endlich mit nach Hause nehmen. Dort hält Oma Anastasia die Kleine zum ersten Mal in den Armen.

Drei Generationen

Nichts an ihr erinnert heute an das zerbrechliche Geschöpf von damals, Maria Anastasia ist ein aktives, gesundes Mädchen. Ein Wirbelwind, der alles nachplappere, was er höre, sagt die Mutter und lacht. In ihrer Tochter erkennt sie zu allererst ihren Ehemann. Die beiden haben die gleichen mandelförmigen Augen, die gleiche weiße Haut, die dunklen, glatten Haare.

Dass sie sie nicht selbst zur Welt gebracht hat, sondern ihre Oma, will Konstantina Maria Anastasia nicht verschweigen. Aber vorerst erzählt sie ihr davon in Form eines Märchens: „Es war einmal eine Ente, die wollte gern Küken kriegen, aber es war ihr nicht möglich. Also half ihr ihre Mutter dabei.“ Maria Anastasia hört die Geschichte gern, am liebsten abends vor dem Schlafengehen.

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