Geburten in der Coronakrise: "Er hat mich im Krankenhaus abgegeben wie eine Jacke an der Garderobe"

Als Ann-Kathrin H. ins Handy brüllt, dass ihr Freund sich sofort auf den Weg ins Krankenhaus machen soll, hat sie bereits Presswehen. „Komm, komm schnell!“, schreit sie und drückt der Hebamme, die neben ihr im Kreißsaal steht, das Telefon in die Hand. Die mahnt den Vater des Kindes auch noch einmal zur Eile, legt auf und sagt zu der werdenden Mutter: „Das schafft er nicht mehr rechtzeitig.“

Ann-Kathrin H. hat ihr erstes Kind mitten in der Coronakrise zur Welt gebracht. An die Szenen, die sich in der Nacht zum 1. Mai im baden-württembergischen Ortenau-Klinikum abspielten, erinnert sich die 29-Jährige noch genau, sie empfand sie als traumatisch. „Als die Hebamme gesagt hat, dass mein Freund es nicht schaffen würde, hat mein Unterbewusstsein offenbar komplett blockiert“, erzählt sie. „Ich hatte einen Geburtsstillstand, die Herztöne meiner Tochter gingen runter, meine Herztöne auch.“ Gleichzeitig habe sie panische Angst bekommen, dass ihr Freund in der Aufregung einen Unfall bauen könnte.

Hochschwanger ins Ungewisse

Fünf Stunden zuvor war bei der jungen Frau die Geburt eingeleitet worden. Sie war bereits eine Woche über dem errechneten Geburtstermin. Der Vater des Babys fuhr sie am Abend ins Krankenhaus, es war der 30. April, ein Donnerstag. Dann fuhr er wieder nach Hause.

Das Ortenau-Klinikum in Lahr lässt aufgrund der Corona-Hygienemaßnahmen Besuche nur zwischen 15 und 18 Uhr zu, auch Familienzimmer stehen derzeit nicht zur Verfügung. In den Kreißsaal dürfen die Partnerinnen und Partner zwar dazukommen, bei der Einleitung der Geburt aber durfte Ann-Kathrins Freund nicht dabei sein. „Er musste mich im Krankenhaus abgeben wie eine Jacke an der Garderobe“, erzählt sie. „Hochschwanger ins Ungewisse zu gehen und sich vom Papa zu verabschieden, der ja zur Hälfte an dem Kind beteiligt ist, das hat mich einfach nur überfordert.“ Sie weinte.

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Allein im Wehensturm

Bereits 20 Minuten nach der Einleitung setzten die Wehen ein, so erinnert sich die junge Frau. Sie war alleine in einem Zimmer, wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. „Ich habe mich nicht getraut, die Schwestern zu rufen, kam mir vor, als wäre ich überempfindlich“, sagt sie. Dabei habe sie starke Schmerzen gehabt, ohne Pause. Die Einleitungsmedikamente hatten offenbar einen Wehensturm ausgelöst, bei dem die Wehen zu häufig oder zu schmerzhaft auftreten. Als sie das Gefühl gehabt habe, es nicht mehr auszuhalten, ging sie in den Kreißsaal.

Doch noch zwei Mal wurde sie zurück aufs Zimmer geschickt, sie sei noch nicht so weit, hieß es. „Ich habe immer wieder gefragt, ob ich endlich meinen Freund anrufen dürfe“, sagt sie. Nein, habe es geheißen, noch nicht. Also wieder zurück aufs sterile Zimmer. Alleine. Über WhatsApp versuchte sie, ihrem Freund mitzuteilen, dass alles in Ordnung sei. „Für ihn war das die Hölle, zu Hause ausharren zu müssen“, sagt sie.

Als Ann-Kathrin sich zum dritten Mal in den Kreißsaal schleppte, ließ sie sich nicht mehr abwimmeln. „Ich habe geweint wie ein kleines Kind und habe denen gesagt, ich kann nicht mehr“, sagt sie. Die Fruchtblase platzte, ihr Muttermund war bei der Untersuchung bereits drei Zentimeter geöffnet, jetzt gehe es doch schnell, habe die Hebamme gesagt. „Ich wollte nicht mehr alleine sein, ich habe mich so ausgeliefert gefühlt, alles war neu“, sagt sie.

Rund zwei Stunden später durfte ihr Freund letztlich mit im Kreißsaal sein und seine Tochter in Empfang nehmen. Als Ann-Kathrin geschwächt auf ihr Zimmer zurückgeschoben wurde, musste er wieder gehen. Im Mai, als die Corona-Pandemie in Deutschland gerade auf dem Höhepunkt war, gab es noch ein absolutes Besuchsverbot auf der Station. Vier Tage verbrachte Ann-Kathrin alleine mit ihrem Baby. Dann durfte sie nach Hause.






Inzwischen ist der Shutdown vorüber, doch in vielen Kliniken gelten immer noch strenge Besucherregeln auf den Geburtsstationen. Gerade auf Stationen mit sensiblen Personengruppen, wie etwa Neugeborenen, müssen besondere Hygienevorschriften eingehalten werden, um Infektionen mit Sars-CoV-2 zu vermeiden. Doch welchen Sinn hat es, die im gleichen Haushalt lebenden Lebenspartnerinnen oder -partner der werdenden Mütter während der Geburt auszuschließen – ihnen den Zugang zum Kreißsaal jedoch zu gestatten?

„Die allgemeinen Regeln für Krankenhäuser werden auf Landesebene gemacht“, sagt ein Sprecher der Deutschen Krankenhausgesellschaft. „Doch jedes Krankenhaus kann noch einmal individuell die Vorgaben verschärfen.“

Das Vorgehen der Kliniken scheint dabei teilweise wahllos: Während in einigen Krankenhäusern die Väter oder Begleitpersonen von Anfang an bei der Schwangeren bleiben dürfen, halten es andere sehr strikt. Ein Grund dafür kann sein, dass die Klinik bereits schlechte Erfahrungen mit Corona gemacht hat, wie etwa das Klinikum Links der Weser in Bremen.

„Wir hatten relativ am Anfang von Corona einen Ausbruch in unserer Geburtsklinik“, sagt eine Sprecherin. Im Frühjahr sei ein Vater unwissentlich Corona-positiv gewesen. „Er hat seine Frau bei der Geburt begleitet und ist auch am nächsten Tag wieder gekommen.“ Drei Mitarbeiterinnen wurden infiziert.

Das Krankenhaus ist eines der größten der Stadt, rund 3000 Kinder werden dort jährlich geboren. Die Klinik versorgt auch Risikoschwangere, es gibt viele Frühgeborene, die besonders vor Infektionen geschützt werden müssen. „Wenn auf der Entbindungsstation viele Mitarbeiter wegen einer Corona-Infektion ausfallen, haben wir ein großes Problem“, sagt die Sprecherin. Daher lasse man weder während der Geburtseinleitung noch auf der Wochenbettstation Partnerinnen oder Partner zu.

Möglichst großer Schutz für das Krankenhauspersonal

Doch auch die Mütter könnten ja Corona haben und andere anstecken. „Wenn es sich einrichten lässt, werden alle Schwangeren bei der Aufnahme auf Corona getestet“, erklärt die Klinik-Sprecherin. „Das Personal trägt FFP2-Masken.“ Könnten nicht auch die Väter getestet werden und Masken tragen? „Wir versuchen überall, das Risiko so gering wie möglich zu halten, aber es gibt nunmal keinen Katalog, in dem steht, was richtig und was falsch ist.“

Rund 16.000 Mitarbeiter des medizinischen Personals haben sich in Deutschland dem aktuellen Lagebericht des Robert Koch-Instituts (RKI) zufolge bisher mit dem Virus infiziert. Größere Ausbrüche in Krankenhäusern und anderen medizinischen Einrichtungen sind fatal: Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausfallen, können die Patienten nicht mehr angemessen behandelt werden. Zudem handelt es sich bei stationär behandelten Patientinnen und Patienten häufig um sensible Gruppen, die ein erhöhtes Risiko für schwere Corona-Verläufe haben. Dennoch: Kann man es werdenden Müttern zumuten, die Geburt ohne eine Vertrauensperson überstehen zu müssen?

„Manche Frauen fühlen sich während der Geburt sehr einsam und allein“, sagt Kathrin Vorbrink. Die 55-Jährige arbeitet seit 35 Jahren als Hebamme und hat die neuen Besuchsregelungen auf den Geburtsstationen mit Sorge beobachtet. „Man möchte sich als Paar ja auch mal absprechen können, ob etwa eine Einleitung oder ein Kaiserschnitt notwendig ist oder nicht.“ Da seien in letzter Zeit sehr viele Tränen bei den Frauen geflossen, weil sie sich mit diesen Entscheidungen alleine gelassen fühlten. Für viele sei diese Situation sehr belastend.

Dass nach der Entbindung auf der Wochenstation Besuch meist verboten oder nur sehr eingeschränkt zugelassen ist, sieht Vorbrink jedoch als positiven Effekt: „Da ist das Wochenbett auch mal ein Wochenbett und Mutter und Kind können sich in Ruhe kennenlernen, ohne die ganze Zeit von Besuch gestresst zu werden“, sagt sie. „Das ist eine Ruhe auf der Station, es ist herrlich. Das kann ruhig so bleiben“, sagt Vorbrink.

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Auch Ann-Kathrin H. empfand die Ruhe im Wochenbett als angenehm. „Ich habe es genossen, einfach so oben ohne stillen zu können“, sagt sie. „Außerdem war ich total fertig von der schweren Geburt, ich wollte nicht, dass mich jemand so sieht oder ich mich zurechtmachen muss.“

Als sie entlassen wurde, musste sie in der Klinikverwaltung noch einige Papiere abholen. Eine Schwester brachte ihre Tochter in der Zwischenzeit nach draußen. „Ich saß also drinnen, musste eine Nummer ziehen und warten und gleichzeitig wusste ich nicht, ob sie das richtige Kind dem richtigen Papa gibt“, erzählt sie. Eigentlich habe sie immer ein Foto davon machen wollen, wie der Papa mit dem Maxi-Cosi aus dem Krankenhaus kommt. „Jetzt war ich in dem Moment nicht einmal dabei, und als ich herauskam, stand der Papa mit dem Baby da wie mit einem rohen Ei, völlig überfordert – er hatte sie ja auch nur ganz kurz nach der Geburt gesehen und die ersten Tage verpasst.“

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