Warum Arzneimittel-Flohmärkte Blödsinn sind

#DerApotheker ist empört: In seiner aktuellen DAZ-Kolumne widmet er sich der Idee des Präsidenten der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, auf Arzneimittel-Flohmärkten notfalls auch abgelaufene Medikamente untereinander zu tauschen, die aktuell knapp sind. Sein Fazit: Der Vorschlag mag gut gemeint sein, ist aber aus vielen Gründen Blödsinn.

Ein alter Mann betritt die Apotheke und hält eine Mülltüte mit abgelaufenen Arzneimitteln in der Hand und möchte sie dem Apotheker überreichen.

Kunde: Guten Tag, Herr Apotheker, ich möchte meine abgelaufenen Arzneimittel bei Ihnen zur Entsorgung abgeben.

Apotheker: Guten Tag, leider nehmen wir keine abgelaufenen Arzneimittel an, aber haben Sie denn nicht mitbekommen, dass Sie die nun auf dem Flohmarkt an Ihre Nachbarn verkaufen können?

Ginge es nach dem Präsidenten der Bundesärztekammer, Arzt Klaus Reinhardt, würden wir solche Gespräche tatsächlich in der Apotheke führen.

Was war passiert?

Aufgrund der äußerst belastenden Arzneimittelknappheit, die gerade während einer heftigen Infektionswelle herrscht, und unter der hauptsächlich die Kinder zu leiden haben, schlug Reinhard doch tatsächlich Folgendes im Tagesspiegel vor: „Jetzt hilft nur Solidarität. Wer gesund ist, muss vorrätige Arznei an Kranke abgeben. Wir brauchen so was wie Flohmärkte für Medikamente in der Nachbarschaft.“

Mehr zum Thema

Arzneimittellieferengpässe

Ärztepräsident bringt „Arzneimittel-Flohmärkte“ ins Spiel

Apothekerschaft schockiert

„Arzneimittel gehören in Apotheken, nicht auf den Flohmarkt“

Flohmärkte für Medikamente. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Flohmärkte für Medikamente. Aber hey, das war noch nicht alles: Der gute Mann schlägt außerdem noch vor, dass die Arzneimittel, die dann (ohne Verschreibung) von Laien an andere Laien abgegeben werden sollen, ruhig auch schon ein paar Monate abgelaufen sein dürfen. Was soll’s.

Verschreibungspflicht und Verfalldaten

Mal abgesehen von den offensichtlichen Problemen wie der Verschreibungspflicht für manche Arzneimittel und dass ein Verfalldatum seinen Grund hat, frage ich mich, wer während einer Arzneimittelknappheit sein dringend benötigtes Arzneimittel verkaufen sollte, das er vielleicht später selbst nicht mehr bekommt?

Mein Kind hat gerade kein Fieber, also verkaufe ich die angebrochene Flasche Ibuprofen weiter. Ernsthaft? Wenn wir eines während der Pandemie gelernt haben, dann dass die wenigsten Rücksicht auf die Gesundheit anderer nehmen. Und ganz ehrlich, eine Knappheit von dringend benötigten Arzneimitteln, die man auf dem Flohmarkt verkaufen möchte, führt unweigerlich zu höheren Preisen – auf dem Flohmarkt bzw. dem Schwarzmarkt.

Das wiederum sorgt dafür, dass Menschen Arzneimittel kaufen, die sie gar nicht benötigen, um damit Profit zu machen. Verbessert das die Arzneimittelknappheit in den Apotheken? I don’t think so.

Antibiotika auf dem Flohmarkt? Hallo Resistenzen!

Aber nicht nur Ibu-Säfte für die Kleinen sind Mangelware, sondern leider auch wichtige Antibiotikasäfte. Man stelle sich nun vor, Eltern fangen an, wild untereinander Antibiotikasäfte zu verkaufen, die vielleicht schon seit Wochen in ihren Kühlschränken stehen. „Irmela, dir geht’s doch schon besser. Den Rest des Safts lassen wir im Kühlschrank stehen, bis ihn jemand kaufen will.“ Hallo Resistenzen.

Sind wir ehrlich, die Infektionswelle, die uns momentan überrollt, wäre mit großer Sicherheit nicht so schlimm gewesen, hätte man konsequent Masken getragen. Aber die Immunschuld !!!!1!1

Das Prinzip der Immunschuld ist Unsinn! Aber was weiß ich schon. Andere scheinen eh alles besser zu wissen.

Abkehr von der Maskenpflicht verschärft das Problem

In Bayern glaubt man sogar, dass es sinnvoll sei, vor dem Winter die Maskenpflicht im öffentlichen Personennahverkehr sowie die Corona-Isolationspflicht aufzuheben, zusammen mit drei weiteren Bundesländern. Tja, ich würde sagen, dann braucht man sich nicht unbedingt zu wundern, wenn jetzt alle krank sind. Ob mit Corona, RSV oder was sonst noch alles da draußen rumschwirrt.

Abgesehen davon sind diese Lockerungen auch gar nicht nötig, wenn man sich einfach nicht mehr testet bzw. dort, wo es eine Maskenpflicht gibt, einfach keine mehr trägt. Kontrolliert ja eh keiner.

Auch Reinhardt hat zu den Isolationspflichten eine eigene Meinung, die er gegenüber der Rheinischen Post (15. November 2022) kundtat: „Isolationspflichten sind weitreichende freiheitseinschränkende Maßnahmen, die zum jetzigen Zeitpunkt unverhältnismäßig sind.“

„Zum jetzigen Zeitpunkt“, also vor rund einem Monat. Nun gut. Man erntet, was man sät, und ich bin mir sicher, dass wir noch nicht mal annähernd alles geerntet haben. Danke FDP.

Lieferengpässe bedeuten riesigen Aufwand in den Apotheken

So macht die Arbeit in der Apotheke auch nicht wirklich Spaß, wenn man ständig in verzweifelte Gesichter blicken muss, weil man aktuell nicht die Möglichkeit hat, an Ibuprofen- und Antibiotika-Säfte zu kommen. Und wie wir alle wissen, sind das momentan ja noch nicht mal die einzigen Lieferengpässe. Für fast jedes Rezept, das ich derzeit bearbeite, brauche ich länger, weil ich erstmal Arzneimittel finden muss, die aut idem sind und die ich überhaupt herbekomme. Der Anteil der Rezepte, die eine Sonder-PZN erhalten, nimmt gefühlt von Tag zu Tag zu.

Dass etwas passieren muss, ist klar. Die Frage ist nur: was? Ein Arzneimittel-Flohmarkt ist vielleicht gut gemeint, aber aus vielen Gründen Blödsinn. Die Forderung mancher, dass wir einfach alles in der Rezeptur herstellen, ist auch ziemlich weit an der Realität vorbei. Klar kann man Ibu-Säfte herstellen. Einige tun das ja auch. Aber mehr kranke Menschen heißt nun mal auch vollere Apotheken – vollere Apotheken, mit weniger Mitarbeitern, weil immer gerade eine Kollegin oder ein Kollege krank ist. Wie soll man da auch noch ständig jemanden für die Rezeptur abstellen können?

Hope for the best but expect the worst.

In Liebe,

#DerApotheker

Quelle: Den ganzen Artikel lesen