Mein liebes Tagebuch

Das Theaterprogramm im heißen August! Sommerkomödie eines Digitalisierungsfachmanns: „Wir haben zu viele Apotheken in Deutschland!“ Viel Digitalgeschwurbel, aber auch Anregendes: Weg von der rein packungsbezogenen Vergütung. Ein Zukunftsdrama aus den BMG-Studios: Lauterbach und sein Dispensierrecht-Coup – Paxlovid aus Ärztehand zertrümmert Apothekenprivileg. Science-Fiction-Knaller der ABDA: ARMIN für alle – jetzt erst recht, trotz nörgelnder Ärzte. Und ein gefährliches experimentelles Kammerspiel: Was ist Rezeptur und wenn ja, wie viel? Ein Spiel mit dem Feuer, das Teile von Rezeptur und Defektur sublimieren könnte. Viel Spaß in diesem Theater!

1. August 2022

Wenn ein Gesundheitsökonom und Digitalisierungsfachmann mit einem Schulterzucken die steile These raushaut „Wir haben zu viele Apotheken in Deutschland“, dann hat das natürlich superguten sommerlichen Unterhaltungswert. Okay, aber so ganz können wir das leider nicht mit einem Schulterzucken abtun, mein liebes Tagebuch. Denn der Herr Professor David Matusiewicz ist ja nicht irgendwer, der nur mal so eben etwas daher plaudert, sondern – und davon gehen wir aus – sich seine Gedanken zu dem Thema gemacht hat. Und weiß, wovon er spricht. Und auch in der Politik gehört wird. Ja, Digitalisierung ist zwar seine Welt, aber der Apothekenwelt scheint er nicht so nahe zu stehen. Den 3D-Druck von Arzneimitteln, von dem er schwärmt, gibt es doch schon, nur so richtig kommt der wohl nicht in die Puschen und wird es wohl auch lange nicht angesichts der Komplexizität und Vielfalt vieler Arzneistoffe. Und im Gegensatz zu seiner Prognose wird die Arzneiversorgung der Bevölkerung in Zukunft sicher noch eine ganz lange Weile damit auskommen (müssen), dass wir „Packungen über den HV-Tisch schieben“. Wenn der Wissenschaftler von der digitalen Transformation, vom digitalen Wandel, parliert und meint, viele Apotheken werden das nicht überstehen, dann ist mir das erstmal zu abstrakt und klingt nach Digital-Geschwurbel. Kennt er den Digitalisierungsgrad, die Bereitschaft der Apotheken, die Digitalisierung zu nutzen und davon zu profitieren? So schlecht waren und sind viele  Apotheken bisher gar nicht aufgestellt. Natürlich hat er Recht, wenn er sagt, dass eine Apotheke, die sich gegen das E-Rezept sträubt, keine Zukunftschance hat. Richtig ist wohl auch, dass die digitale Entwicklungsphase exponentiell verläuft, dass auch ein Teil des Rx-Geschäfts in den Internet-Versandhandel abwandert und dass Daten und Datenprofile der Kunden Gold wert sind. Und klar, die Telepharmazie wird nicht ein Privileg der Vor-Ort-Apotheke sein, sondern auch Versandhäuser werden Chatrooms einrichten und auf telepharmazeutische Services setzen. Immerhin, der Gesundheitsökonom räumt ein, dass auch im digitalen Raum Platz für das Angebot der Präsenzapotheken sein wird – denn das Vertrauen der Kundinnen und Kunden zur Apotheke vor Ort ist größer als das der Menschen im Internet. Es kommt allerdings darauf an, dass die Apotheke dieses Vertrauen mitnimmt in die digitale Welt, sprich gute digitale Services anbietet. Mein liebes Tagebuch, ich denke, das wird möglich sein. Wir sollten aber nicht lange damit warten und solche Entwicklungen intensivieren. Wenn Matusiewicz sagt, dass die Taktik der Apothekerschaft in den vergangenen Jahren eher war, das Internet schlecht zu machen als selbst zu gestalten, dann mag das auch mit Blick auf unsere Berufsvertretung zum Teil zutreffen. Es gibt im Lande aber viele Pharmazeutinnen und Pharmazeuten, die bereit sind, die Chancen der Digitalisierung zu sehen und bereits auf dem Weg sind. Schade, dass Matusiewicz seine anregenden Diskussionsgedanken mit dem flapsigen Satz „Wir haben ohnehin zu viele Apotheken in Deutschland“ in Misskredit bringt. Sind gut 18.000 Apotheken in Deutschland wirklich zu viel? Wie stark soll denn seiner Meinung nach die flächendeckende Arzneimittelversorgung ausgedünnt werden, was will er den Bürgerinnen und Bürgern denn zumuten, vor allem auf dem Land?

Mit den Matusiewicz-Thesen hat sich auch DAZ.online-Chefredakteurin Julia Borsch auseinandergesetzt. Ihr Fazit: Die Politik wäre gut beraten, nicht dem Mantra der Ökonomen zu unterliegen, dass es ohnehin zu viele Apotheken gibt und den Markt dem freien Spiel der Kräfte zu überlassen, sondern genau hinzusehen und gegebenenfalls regulierend einzugreifen. Sich möglichst digital aufzustellen, sei zwar positiv, sollte aber in Bereichen der Daseinsvorsorge kein Überlebenskriterium für Apotheken sein.

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