Lange galten Schnelltests als Corona-Tests zweiter Wahl, jetzt sollen sie den Alltag plötzlich sicherer machen

In Deutschland soll künftig mehr auf das Coronavirus getestet werden. Das Mittel der Wahl: Antigen-Schnelltests. Ab März sollen diese Tests in Deutschland für alle kostenlos zur Verfügung stehen, das kündigte Gesundheitsminister Jens Spahn am Dienstag an. Die Tests, sagte er, könnten den Alltag sicherer machen.

Plötzlich sind Schnelltests ein Weg zurück in die Freiheit, raus aus dem Lockdown. Eben die Tests, von denen man seit Markteinführung weiß: Zu 100 Prozent zuverlässig sind sie nicht. Antigen-Schnelltests sind weit nicht so empfindlich wie PCR-Tests, oft genug sind die Ergebnisse falsch. Die schnellen Helfer sind zwar recht zuverlässig, wenn es darum geht, eine Corona-Infektion bei Menschen zu erkennen, die zum Moment des Tests hochansteckend sind, also viel Virus in sich tragen. Aber bei geringerer Viruslast zum Beispiel zu Beginn der Inkubationszeit können negative Ergebnisse trügen und falsche Sicherheit suggerieren. Wer Montagmorgen noch negativ war, kann Mittwochmittag schon positiv sein. Antigen-Schnelltests sind daher nicht mehr als eine Momentaufnahme.

Geringe Auslastung


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Bund bezahlt die Gratis-Tests

Und trotzdem: Spahn setzt auf die Tests als probates Mittel bei der Pandemiebekämpfung, die Finanzierung der Gratis-Tests übernimmt der Bund. Durchgeführt werden sollen die Tests zunächst ausschließlich von geschultem Personal. Sie könnten, so sein Vorschlag, in Testzentren, Praxen und Apotheken durchgeführt werden. Theoretisch können die Apotheker schon länger auch solche Corona-Schnelltests durchführen. Aber nur die wenigsten bieten das an. Die Apothekerkammer in Schleswig-Holstein schätzt, dass maximal 20 Prozent der Apotheken die Tests anbieten, der "NDR" berichtete.

Und auch jetzt rennt Spahn mit seinem Vorschlag bei den Apothekern nicht gerade offene Türen ein. Frank Jaschkowski ist Geschäftsführer der Apothekerkammer, er hält Spahns Pläne für "nicht leistbar". Gegenüber dem "NDR" erklärte er: "Das ist letztendlich auch eine Personalfrage, denn die Mitarbeiterinnen in einer Apotheke sind in erster Linie zur Versorgung der Patienten mit Arzneimitteln da. Wenn parallel dazu noch getestet werden soll, stoßen sie an ihre Grenzen oder gehen darüber hinaus. Nebenbei stemmen lässt sich sowas leider nicht."

Wissenschaftler Clemens Fuest und Melanie Brinkmann


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Was bringt die Test-Offensive?

Unabhängig von der Frage, wie umsetzbar Spahns Pläne sind, stellt sich eine weitere. Was bringt die Schnelltest-Offensive? Denn selbst wenn die Tests fachgerecht durchgeführt werden, ihr Fehlerpotenzial ist groß. Erst Mitte Januar hatten Wissenschaftler des Nationalen Forschungsnetzwerks der Universitätsmedizin in einem Positionspapier davor gewarnt, sich allzu sehr auf die Tests zu verlassen, geschweige denn, aufgrund der Ergebnisse weniger vorsichtig zu sein. Sie beriefen sich dabei auf Studien, die den Schluss zuließen, dass die Tests weit weniger sicher seien, als von den Herstellern angegeben.

So prüften unter anderem zwei Münchner Unikliniken, wie sicher die Verfahren sind. 859 Abstriche wurden analysiert, die zuvor von geschultem Personal entnommen worden waren. Das Ergebnis war ernüchternd. Nur sechs von zehn Covid-19-Infektionen wurden erkannt, zu falsch-positiven Ergebnissen kam es in zwei von 100 Fällen, wie Oliver Keppler, der Chef der Virologie am Max-Pettenkofer-Institut der Ludwig Maximilian-Universität in München gegenüber der "Pharmazeutischen Zeitung" erläuterte. Es sei nicht so, dass "eine Infektion durch das negative Ergebnis eines Schnelltests zuverlässig ausgeschlossen werden könnte. Bei weitem nicht", sagte er. 

Jedes positive Schnelltest-Ergebnis muss immer mit einem PCR-Test bestätigt werden. Der ist zwar kostspieliger als ein Antigen-Schnelltest und es dauert länger, bis das Ergebnis aus dem Labor vorliegt – das aber gilt dann als sehr sicher. Anders als Antigentests, die eine Infektion aufgrund bestimmter Virusproteine nachweisen, werden beim PCR-Test selbst Spuren von Erbmaterial des Erregers aufgespürt.

Antigen-Tests geben keine komplette Sicherheit

Antigentests sind alles andere als perfekt. Sie können, nimmt man es genau, nur ein Hinweisgeber sein, ob eine Corona-Infektion vorliegen könnte. Und das im Best-Case, also wenn genügend Virus im Körper ist und der Test fachlich sauber durchgeführt wurde. Eine falsche Probeentnahme hat direkten Einfluss auf das Testergebnis. Wiegen sich Getestete aber mit einem falschen Negativ-Ergebnis in Sicherheit, können sie schnell zur Virusschleuder werden. Abstandhalten und Maske tragen bleiben daher wichtig, auch bei negativem Testergebnis. 

Trotzdem sagte Spahn: "Diese Testmöglichkeiten können zu einem sicheren Alltag beitragen". Und kündigte sogleich an, dass auch Laien-Selbsttests "nach ihrer bald erwarteten Zulassung durch das Bundesamt für Arzneimittel für alle zugänglich" sein sollen. In Österreich ist man Deutschland einen Schritt voraus. Dort soll sich jeder Österreicher ab März fünf Gratis-Schnelltests in den Apotheken holen und sich dann in Heimregie testen können. In Österreich hat man die Gratis-Schnelltests schon längst zur Alltagssache gemacht. Wer dort einen negativen Coronatest vorlegen kann, darf zum Frisör, zur Arbeit pendeln, in die Schule gehen. Seit Beginn des Jahres hat sich die Zahl der durchgeführten Tests landesweit verdreifacht auf derzeit 12 Millionen.

Erlaubt ist der Kauf solcher Corona-Schnelltests für den Hausgebrauch auch in Deutschland schon seit Februar. Zu kaufen gibt es sie aber noch nicht. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte rechnet Anfang März mit solchen ersten Sonderzulassungen. Dabei handelt es sich unter anderem um Spuck- und Gurgeltests. Der Vorteil: Die Probeentnahme ist simpler als bei den Abstrich-Tests. Die Virusbestandteile werden im Speichel nachgewiesen. Allerdings ist auch bei dieser Antigen-Testvariante die Aussagekraft begrenzt.

Jeder zusätzliche Test ein Gewinn

Warum also jetzt der breitflächige Einsatz? Schnelltests allein sind keine Heilsbringer. Aber regelmäßige Tests, selbst wenn der Test nicht hundertprozentig zuverlässig ist, sind besser als keine Tests. Natürlich unter der Prämisse, dass sie mit Bedacht durchgeführt und interpretiert werden. Und auch wenn nicht alle Infektionen durch Schnelltests entdeckt werden, jede einzelne nachgewiesene Infektion ist ein Gewinn im Kampf gegen das Coronavirus.

Der Harvard-Wissenschaftler Michael Mina ist ein großer Verfechter von Antigen-Schnelltests. Er sieht in ihnen ein großes Potenzial. Bereits im November sprach er sich im "Time"-Magazine für einen großflächigen Einsatz aus. Würde sich die Hälfte der Bevölkerung alle vier Tage selbst auf das Coronavirus testen, könnte bereits eine Art "Herden-Effekt" erreicht werden, der jenem durch einen Impfstoff gleiche, so Mina damals.

"Den Selbsttests kommt eine zentrale Rolle bei der Bekämpfung der Pandemie zu", meinte Bärbel Bas, SPD-Fraktionsvize. Sie machte am Dienstag Druck und drängte auf einen schnellen Einsatz dieser Tests. Schließlich seien diese auch ein Mittel, "um damit schrittweise Öffnungen des gesellschaftlichen Lebens wieder möglich zu machen".

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