Inzidenz bei Kindern kratzt an 400: Zeigt der Norden, was bald in ganz Deutschland droht?

Während die Infektionszahlen im Norden Deutschlands einst die bundesweit niedrigsten waren, wendet sich das Blatt nun. Die beiden höchsten Inzidenzen liegen in Schleswig-Holstein. Dort, wo die Schulen gerade wieder geöffnet haben. Virologe Friedemann Weber erklärt, was das für Deutschland bedeutet.

Während die Sommerferien in Bayern und Baden-Württemberg kürzlich erst begonnen haben, sind sie im Norden Deutschlands bereits wieder vorüber. Zahlreiche Schüler besuchen dort seit Anfang August wieder den Unterricht, in Präsenz.

Dass das womöglich Auswirkungen auf das Infektionsgeschehen hat, zeigt der Blick auf die Inzidenzen in Schleswig-Holstein. Im Norden, der längere Zeit die niedrigsten Infektionszahlen in Deutschland hatte, verzeichnen mittlerweile zwei Städte aktuell die höchsten Corona-Inzidenzen unter den deutschen Kreisen und kreisfreien Städten. Kiel führte nach den Zahlen vom Freitag mit 107,4 die Negativliste an, vor Flensburg mit 90,9. Zudem stand das Land mit 47,8 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen auf Platz drei nach Hamburg und Berlin.

Inzidenz bei Kindern in Kiel bei 375,8

Auffallend ist, dass vor allem die Inzidenz bei den Jüngeren stark angestiegen ist, genauer gesagt, bei den Schülern. In Kiel etwa liegt die Inzidenz bei den fünf- bis 14-Jährigen am Donnerstag bei 375,8. Tags zuvor lag sie sogar bei 391,1. Auch die nahegelegenen Kreise Flensburg und Neumünster verzeichnen in dieser Altersgruppe einen Wert von mehr als 200, das zeigt die Plattform „semohr“ von Entwickler und Datenspezialist Sebastian Mohr. Er gehört zu den wissenschaftlichen Mitarbeitern der Forschungsgruppe um Physikerin Viola Priesemann, die unter anderem Modellierungen für den Verlauf der Corona-Pandemie aufstellt. Zeigt der Norden, was bald in ganz Deutschland droht? Zeigt der Norden, was bald in ganz Deutschland droht? Surftipp: Alle Neuigkeiten zur Corona-Pandemie finden Sie im News-Ticker von FOCUS Online

„Vor einem Jahr wäre das höchste Alarmstufe gewesen“, sagte der Kieler Infektionsmediziner Helmut Fickenscher am Mittwoch zu den gegenwärtigen Inzidenzen im Norden. Mittlerweile gebe es aber eine beachtliche Impfquote, die Zahl der schweren Erkrankungen sei gering und es gebe kaum weitere Todesfälle. Als Gründe für die stark gestiegenen Zahlen nannte Fickenscher zum einen, dass sich bestimmte Personengruppen nicht an Abstandsregeln hielten. Zum anderen aber auch, die Rückkehr vieler Menschen aus dem Urlaub und den mit zahlreichen Tests verbundenen frühen Beginn des neuen Schuljahres. Dieses Phänomen könne bald in ganz Deutschland auftreten.

Denn spätestens im September öffnen auch im Süden die Schulen wieder. Heißt das, der Norden liefert uns gerade einen bitteren Vorgeschmack auf das, was bald in ganz Deutschland passiert?

Virologe: Könnte in ganz Deutschland passieren

„Genau das heißt es“, erklärt Virologe Friedemann Weber auf Nachfrage von FOCUS Online. „In einer Gruppe, in der erst sehr wenige geimpft sind, wird sich das Coronavirus über kurz oder lang durchsetzen. Vor allem angesichts der Delta-Variante, die ja als deutlich ansteckender als der Wildtyp gilt, müssen wir uns darauf einstellen, dass das in ganz Deutschland passieren könnte.“

Zur Person

Friedemann Weber ist Professor für Virologie und leitet als Direktor das entsprechende Institut an der Justus-Liebig-Universität in Gießen. Dort forscht er unter anderem zu Corona- und Influenzaviren.

In der Regel erkranken Kinder nicht so schwer an Covid-19 wie Erwachsene, sie haben seltener schwere Verläufe. „Wir können also noch nicht abschließend bewerten, wie ‚schlimm‘ eine so hohe Inzidenz wie etwa in Kiel bei Kindern ist. Aber ich als Virologe fühle mich extrem unwohl, wenn ein so aggressives Virus so viele Menschen ansteckt. Wir wissen, dass dieser Erreger im schlimmsten Fall das Gehirn schädigen kann, so wie auch viele andere Organe. Das Virus in dieser Altersgruppe also einfach durchlaufen zu lassen, es einfach so auf die Kinder loszulassen, wäre verantwortungslos.“

Regelmäßige Tests könnten Infektionsketten brechen

Die Risikoabwägung müsse politisch entschieden werden. „Wir können natürlich nicht ewig Homeschooling machen. Und natürlich können wir auch nicht einfach alle Kinder unter 12 Jahren impfen, solange es dafür noch keine Zulassung gibt. Aber ich hoffe sehr, dass die Empfehlung für diejenigen, für die der Impfstoff zugelassen ist, auch bald ausgesprochen wird. Meine Kinder sind etwa schon geimpft.“Sie sind die wirksamste Waffe im Kampf gegen die Pandemie: Impfstoffe. Sie schützen Geimpften vor schweren bis tödlichen Covid-19-Verläufen und dämmen die Ausbreitung des Virus ein. Aber immer noch gibt es viele Fragen. Wir geben Antworten. Hier geht es zum Überblick

Davon abgesehen betont Weber, wie wichtig die weiteren Maßnahmen sind, die in Schulen ergriffen werden können. „Eine gute Belüftung, etwa durch Luftfilter, könnte die Infektionsgefahr deutlich herabsetzen. Auch Masken und Abstand sind wichtig. Und, nicht zu vergessen: regelmäßige Tests.“

Diese seien laut Weber entscheidend, um Infektionsketten zu erkennen und zu durchbrechen. In den meisten Schulen testen sich die Kinder zwei Mal die Woche. „Ich kann mir vorstellen, dass das auch trotz der schnelleren Delta-Variante ausreichend ist. Wenn ein Virus durch eine Klasse geht, findet man das mit zwei Tests in der Woche. Wichtig ist nur, dass sie regelmäßig durchgeführt werden.“

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