Ein Mann ließ sich wohl fast 90 Mal gegen Corona impfen. Wie gefährlich ist das?

Monatelang zog er durch Sachsen, von Impfzentrum zu Impfzentrum, von Spritze zu Spritze – und ließ sich gegen Corona impfen, immer und immer wieder. Bis zu dreimal täglich. 87 Mal klappte es, dann flog er auf. Jetzt ermittelt die Polizei. Es war wohl nicht die Sorge um die eigene Gesundheit, sondern der Ruf des schnöden Mammons, der den 60-Jährigen antrieb. Es besteht der Verdacht, dass der Mann gefälschte Impfausweise mit den echten Chargennummern an Dritte verkauft und sich unter anderem der Urkundenfälschung schuldig gemacht hat. Fast 90 Impfdosen, 90 Immunreaktionen – was macht das mit dem Körper? Der stern hat bei Expert:innen nachgefragt.

Gefährlich oder nicht, das ist eine Frage, die sich in diesem Fall nicht so leicht beantworten lässt. Schließlich gebe es nicht viele Menschen, die sich so oft impfen lassen, wie Forscherin Anahita Fathi vom Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) in Hamburg diplomatisch formuliert. Anders ausgedrückt: Es gibt keine wissenschaftlichen Daten, die sicher beantworten könnten, wie gefährlich solche Vielfachimpfungen sind. Was man aber weiß, ist, dass oft wiederholte Impfungen "theoretisch – besonders wenn sie in zu kurzen Abständen oder in zu hohen Dosierungen gegeben werden – zu einer starken Stimulation des Immunsystems führen [können], was erhöhte Nebenwirkungen zur Folge haben kann", erklärt sie dem stern.

Corona-Experte


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87 Corona-Impfungen, 87-facher Schutz?

Bis zu drei Impfdosen täglich ließ sich der Mann verabreichen. So ist es laut Berichten im System der sächsischen Impfzentren dokumentiert. Bekannt ist laut Polizei auch, dass der Mann mit verschiedenen Vakzinen geimpft wurde. Wie der 60-Jährige die Impfungen vertrug, ist hingegen nicht bekannt. Immunologe Carsten Watzl geht aber davon aus, dass der Mann "nicht nach jeder Impfung unter schweren Impfreaktionen zu kämpfen hatte, sonst hätte er das wohl nicht gemacht". Hinsichtlich anderer Nebenwirkungen sind laut Watzl zwei Szenarien denkbar. Szenario 1: Neben der Impfung müssen noch weitere Bedingungen wie genetische Faktoren, Umwelteinflüsse oder Vorerkrankungen vorliegen, damit Nebenwirkungen wie beispielsweise eine Myokarditis auftreten. Ob das bei Corona-Impfungen der Fall ist, ist laut Watzl noch nicht klar. Wäre es aber so, "dann würden bei Abwesenheit dieser Faktoren auch 100 Impfungen kein Risiko für eine solche Nebenwirkung darstellen". Szenario 2: Der Zufall spielt eine Rolle. "Dann ist die Wahrscheinlichkeit einer Nebenwirkung bei vielen Impfungen natürlich auch entsprechend erhöht", so Watzl zum stern.

Kann die Vielimpferei vielleicht sogar positive Effekte auf die Gesundheit haben? Ist, wer sich 87 Mal hat impfen lassen, auch 87 Mal so gut gegen das Virus geschützt? Nein. "Bezüglich der Immunreaktion gibt es etwas wie eine 'immunologische Erschöpfung‘, wenn zum Beispiel bei einer chronischen Virusinfektion die gleichen Immunzellen immer und immer wieder stimuliert werden. Dann hören diese irgendwann auf richtig zu funktionieren", erklärt der Immunologe. Es sei zumindest möglich, dass so etwas auch bei extrem häufiger Impfung auftreten kann. Watzl führt aus: "Es könnte also sein, dass die Immunität bei diesem Mann sogar schlechter ist als bei einem normal 3-fach geimpften." Im Zusammenhang mit den aktuell diskutierten vierten Impfungen ordnet Watzl aber ein: "Bei der 4. Impfung (und auch bei weiteren Impfungen mit genügend Abstand) [kann] so eine Erschöpfung nicht auftreten."

Dem Vielimpfer droht eine Haftstrafe

Bereits im vergangenen Sommer hatte der Magdeburger mit seinen Streifzügen durch die Impfzentren begonnen, erst Anfang März flog er als Wiederholungstäter auf, wie eine Sprecherin der Polizeidirektion Leipzig am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur mitteilte. Demnach sei er schon am Vortag zum Impfen dort gewesen und wiedererkannt worden. Mehrere Blanko-Impfausweise und die Krankenkarte des Mannes seien sichergestellt, ein Strafverfahren eingeleitet worden. Da der Mann sich immer mit richtigen Namen und Daten registriert habe, ist im System nachweisbar, wie oft er sich den Piks abgeholt hat. Ob sich die massenhaften Impfungen aber auch im Körper nachweisen lassen, das ist fraglich. Bei Immungesunden könne man durch eine Antikörperbestimmung in der Regel die erfolgte Impfung nachweisen, erklärt Anahita Fathi, "wie oft eine Person geimpft wurde kann man aber nicht nachweisen". Das sieht auch Watzl so: "Das Problem ist, das Vergleichswerte fehlen."

Gegen den Mann wird jetzt wegen unbefugten Ausstellens von Impfausweisen und Urkundenfälschung ermittelt. Es droht eine Gefängnisstrafe. Man müsse davon ausgehen, sagte der Medizinrechtler Hennig Lorenz dem "MDR",  dass der Täter sehr geplant vorgegangen sei und mit dem Verkauf der Impfausweise auch eine beträchtliche kriminelle Energie an den Tag gelegt habe. Durch den Verkauf komme auch "gewerbsmäßiger Betrug in Betracht". Er erklärte: "Sollte das Gericht zur Überzeugung gelangen, dass eine Gewerbsmäßigkeit vorliegt, dann ist eine Mindestfreiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren zu erwarten. Eine Geldstrafe würde dann ausscheiden."

Quellen: Freie Presse, MDR, DPA

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