Inside Flow vereint Asanas mit modernen Beats – und hinterfragt die alten Yoga-Traditionen

Anmutig und leichtfüßig sehen die Yogis beim Inside Flow aus. Elegant, fast tänzerisch, fließen sie von einer Pose in die nächste. Jede Bewegung, jeder Atemzug ist perfekt auf die Musik abgestimmt. Es sind Balladen von Lewis Capaldi, poppige Hits von Miley Cyrus oder Beat von DJ Sol Rising, die im Hintergrund laufen. Keine Mantren auf Sanskrit, kein Om und statt dem "Namste" gibt es am Ende manchmal ein High Five. Der moderne Yoga-Stil, den Young Ho Kim ins Leben gerufen hat, findet weltweit Zehntausende Anhänger. Vor allem in Asien zählt Inside Flow zu den beliebtesten Yoga-Arten. "Dort sind die Menschen deutlich offener, während die Gesellschaft in Deutschland Neuem gegenüber eher skeptisch ist", berichtet der Yogalehrer aus Frankfurt im Gespräch mit dem stern. Seit mehr als 20 Jahren reist er um die Welt, um zu unterrichten, auszubilden und sein innovatives Konzept zu verbreiten.

Die Essenz des Yoga: „Menschen im Herzen zu berühren“

Inside Flow ist eine Art Weiterentwicklung des klassischen Vinyasa Flow und zugleich eine Unterkategorie des Inside Yoga, eine von Young Ho Kim begründete Philosophie, die altbekannte Yoga-Traditionen in Frage stellt. Dafür musste der Gründer aber zunächst sich selbst hinterfragen. Bevor er zum Yoga fand, erkämpfte er sich einen schwarzen Gürtel im Taekwondo und war ein glühender Verfechter der Kampfsport-Traditionen. "Jeder, der Taekwondo macht, musste meiner Meinung nach Koreanisch sprechen und die Flagge begrüßen, wenn er die Halle betritt", erinnert er sich. Bis er sich eines Tages fragte, ob diese Regeln zielführend seien und der Sportler die Übungen besser ausführt, wenn er sie korrekt ausspricht. Das gleiche Mindset sei ihm im Yoga begegnet. "Da wollte ich nicht mehr mitmachen", sagt der 47-Jährige.

Deshalb geht es beim Inside Yoga um Evolution statt Tradition. Darum, "die Flammen zu erhalten und weiterzuentwickeln – und nicht darum, die Asche anzubeten". Die stetige Weiterentwicklung ist einer der drei Säulen, auf denen Young Ho Kims Philosophie aufbaut. Man sei nicht gegen die Tradition, im Gegenteil sei es weiterhin wichtig, das "zu lernen, was unsere Lehrer uns beigebracht haben". Jedoch nicht mit der Idee von erleuchteten und allwissenden Gurus. Man wolle auf dem Stand der Wissenschaft bleiben, die vor allem in puncto Anatomie immer wieder neue Erkenntnisse liefert. Deshalb werden zum Beispiel die Inhalte der Yogalehrerausbildung jährlich aktualisiert. Nichtdestortrotz bleibt die Essenz des Yoga dieselbe: "Menschen im Herzen zu berühren und glücklicher zu machen. So ehren wir die Tradition."

Beim Inside Flow bewegt man sich mit dem Beat

Um die Menschen im Herzen zu berühren, setzt Young Ho Kim auf Musik, die zweite Säule seines Yoga-Stils. Inside Yoga begreift Musik als "Tor zur Seele" und "Sprache des Herzens". Musik ist zwar seit vielen Jahren Bestandteil des Yoga, beschränkt sich aber klassischerweise auf Klanginstrumente, Harmonien, Mantren und gemeinsames Singen ("Chanting" genannt). Young Ho Kim spielt in seinen Stunden hingegen Popmusik. Lieder, "die uns einfach berühren, ohne uralte Fremdsprache oder religiöse Texte". In der spirituellen und sehr traditionsbehafteten Ecke der Yoga-Szene stößt dieses Konzept auf Ablehnung. Es sei zu weit entfernt vom ursprünglichen Yoga und Popmusik sei eine Ablenkung, heißt es immer wieder. "Die richtige Musik zur richtigen Zeit ist keine Ablenkung, sondern kann das Bewusstsein für den Moment verstärken“, meint der Inside Yoga-Gründer. Aus diesem Gedanken entstand der heute beliebte Inside Flow.

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Im Mittelpunkt der Yoga-Stunden steht eine Choreografie aus Asanas, die die Schüler schrittweise erlernen. "Der größte Unterschied zwischen Tanz und Inside Flow ist, dass wir uns bewegen, um besser zu atmen", erläutert Young Ho Kim. Deshalb überschneiden sich die Beats, die man von ein bis acht durchzählt, mit der Atmung. Die ersten vier Zählzeiten gehen mit einer expandierenden Bewegung und dem Einatmen einher. Auf die zweiten vier Zählzeiten folgt eine Kontraktionsbewegung, synchron zum Ausatmen.

Dieses Grundwissen vermittelt der Lehrer am Anfang der Stunde. "Dann fangen wir mit einfachen Posen an und bauen langsam die Sequenz auf, die immer komplexer und länger wird", erklärt der 47-Jährige. Dieser Teil ähnele einer gewöhnlichen Vinyasa Flow-Klasse. Sobald die gesamte Choreografie steht, spielt der Lehrer den Haupt-Song der Stunde ab. "Zufälligerweise passen dann die gesamten Bewegungen perfekt auf das Lied", sagt Young Ho Kim.

Jeder soll eine persönliche Verbindung zur Musik spüren 

Darüber hinaus gehe es darum, die "Energie der Musik zu verkörpern". Dafür gibt es den Stroytelling-Part. "Ich erkläre den Song und stelle eine persönliche Verbindung her, indem ich eine eigene Geschichte erzähle: Was beutet das Lied für mich und was kann es für dich bedeuten?" Indem der Lehrer sich zuerst öffnet und seine Geschichte preisgibt, sollen die Schüler sich angesprochen und motiviert fühlen, eine eigene Verbindung zu dem Lied zu entwickeln. Mit der persönlichen Bedeutung im Hinterkopf wird die Choreografie aus Asanas zur Musik drei bis fünf Mal wiederholt. "Da fängt die Stunde an, magisch zu werden", findet Young Ho Kim. Denn dabei sollen Musik, Yoga, Bewegung, Atmen und Herz in Einklang kommen.

Da die einzelnen Haltungen in der Stunde nicht ausführlich erklärt werden, seien Kenntnisse über die grundlegenden Yoga-Haltungen hilfreich. "Aber wir haben viele neue Bewegungen drin, die man im klassischen Yoga gar nicht macht", erklärt der 47-Jährige. Deshalb eigne sich Inside Flow eigentlich für jeden, der sich gerne zur Musik bewegt. Obwohl die Sequenzen wunderbar anmutig aussehen, fordert der Yoga-Stil sowohl den Körper als auch den Geist. Um die gewünschte Leichtigkeit in die Bewegungen zu bringen, muss der Körper permanent angespannt sein – "Lightness through Engagement" nennt es der Inside Flow-Gründer. Damit will er einem seiner Meinung nach großen Missverständnis in der Yoga-Szene entgegenwirken. "Es wird immer gesagt, man solle loslassen, um leichter zu werden. Aber wenn man loslässt, wird man träge." Eine echte Leichtigkeit erreiche man hingegen durch Anspannung.

Der Guru ist kein erleuchteter Meister, sondern ein Reisebegleiter

Auch mental erfordert Inside Flow jede Menge Aufmerksamkeit. "Du musst dir die Sequenz merken, du musst on beat bleiben und dich gleichzeitig mit deiner emotionalen Seite verbinden", zählt der Yogalehrer auf. Man sei praktisch gezwungen, mit den Gedanken im Hier und Jetzt zu bleiben, wodurch man automatisch in einen Flow-Zustand versetzt werde. "Dadurch produziert das Gehirn Serotonin und Oxytocin. Diese Glückshormone sind direkt nach der ersten Stunde spürbar", erklärt Young Ho Kim. Bei regelmäßiger Praxis komme man schneller in den Flow-Zustand und erlebe diesen noch tiefer.

Langfristig verbessere Inside Flow aufgrund des Zusammenspiels von Atmen, Musik und stetigem Bewegungsfluss das eigene Körpergefühl. In einer normalen Stunde sei man sehr auf Asanas fixiert und halte die Posen für eine gewisse Zeit. "Das machen wir nicht. Wir haben keinen Stillstand, wir nehmen den Begriff 'Flow' wortwörtlich", so der Yogalehrer. Die Praxis sei nicht ziel-, sondern prozessorientiert: "Wie du dahin kommst, ist wichtiger, als dass du dahin kommst." Eine Lehre, die sich von der Yoga-Matte in den Alltag übertragen lasse.

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Eine weitere Lehre aus Young Ho Kims Philosophie – und die dritte Säule seines Yoga-Konzepts – lautet "all you need is inside". Der namensgebende Slogan steht dafür, "dass der größte Guru, der ultimativer Lehrer bereits in dir steckt", erläutert er. Die Instruktionen des Yogalehrers sieht er als eine Art Navigation oder Coaching-Programm. Die Schüler sollen lernen, auf ihren eigenen Körper zu hören. Fühlt es sich für mich gut an? Was sagt mein innerer Lehrer? Denn im Inside Yoga sei der Guru "nicht jemand, der von oben das Licht schenkt, sondern ein Kumpel, der ein bisschen mehr Erfahrung hat – oder einen Reisebegleiter, der uns mit einer Taschenlampe auf dem Weg begleitet."

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