Kurz nach Olympia-Start explodieren Delta-Zahlen in Tokio – schuld sind nicht nur Sportler
Die Corona-Infektionen im Olympia-Tokio steigen rapide an. Einwohner halten sich nicht an das Zuschauerverbot, Sportler nicht an Hygiene-Regeln. Hinzu kommt der Corona-Frust der Bevökerung. Die Zahl der täglichen Neuinfektionen ist nun höher als je zuvor.
Die Welt blickt gerade nach Japan. Auf Schwimmer, Dressureiter und Kanuten. Dort finden aktuell die Olympischen Spiele 2020 statt. Mit einem Jahr Verspätung, wegen Corona.
Doch Corona ist auch 2021 noch da. Auch bei Olympia. Insgesamt 193 Fälle meldeten die offiziellen Behörden bereits in Zusammenhang mit der Sportveranstaltung. 20 davon waren Athleten, darunter auch der deutsche Radsportler Simon Geschke. Doch die Zahlen steigen nicht nur in den Stadien, sondern im ganzen Land.
Infektionszahlen in Tokio auf neuem Rekordhoch
Besonders betroffen ist die Hauptstadt. Fünf Tage nach dem Start der Olympischen Spiele meldet Tokio mit 3177 einen neuen Rekordstand bei den Neuinfektionen. Am Vortag waren es noch 2848 gewesen. Beide Werte übersteigen den bis dahin höchsten Wert vom 7. Januar mit 2520 Fällen. Tokio befindet sich im mittlerweile vierten Corona-Notstand, nachdem die Delta-Variante des Virus eine fünfte Infektionswelle ausgelöst hatte.
Und auch im Rest von Japan steigen die Infektionszahlen an. Neben der Olympia-Stadt Tokio breitet sich das Virus ebenfalls in den beiden Nachbarpräfekturen Chiba und Kanagawa stark aus. Landesweit kletterte die Zahl der registrierten Infektionen am Mittwoch erstmals binnen eines Tages über die Marke von 9000 Fällen auf 9576. Der bisherige Rekord lag bei rund 8000 Fällen im Januar. Acht Patienten, darunter sechs in Tokio, starben innerhalb von 24 Stunden. Man sei besorgt über die zunehmende Zahl an Patienten in ernster Verfassung, sagte die Gouverneurin der Olympia-Stadt Tokio am Dienstag vor Veröffentlichung der neuen Rekordzahl an Infektionen in ihrer Stadt.
Viele Zuschauer halten sich nicht an Verbote
Dass die Zahlen stark steigen, dazu trägt auch das Verhalten vieler Japaner bei: Im Vorfeld der Spiele hätte sich zwar noch eine Mehrheit der Bevölkerung gegen die Spiele ausgesprochen. Doch jetzt, da Olympia begonnen hat, würden manche denken, „es mache keinen Sinn, zu protestieren. Jetzt könne man die Spiele auch unterstützen“, erklärt Politikwissenschaftler Koichi Nakano. „Das ist ein sehr typisch japanisches Denken.“
Hinzu komme, dass praktisch sämtliche Fernsehstationen in Folge des massiven Einflusses der japanischen Werbeagentur Dentsu, die als exklusiver Marketingpartner der Spiele auch die Werbe-Slots vergebe, von den Olympischen Spiele vereinnahmt worden seien. Es sei in ihrem Interesse, die Bürger durch Dauerberieselung für Olympia zu gewinnen.
Zuschauer sind bei den Olympischen Spielen zwar verboten. Das geschürte Interesse an den Spielen führe aber dazu, dass viele Bürger ungeachtet aller Appelle der Regierung nicht zu Hause blieben, sondern wie bei den Radrennen so nah wie möglich etwas mitbekommen wollten, meint Wissenschaftler Koichi Nakano. So hatten sich auch zur Eröffnungsfeier Hunderte dicht gedrängt vor dem Stadion eingefunden und sich das Feuerwerk angeschaut, obwohl sie nicht ins Stadion hineindurften.
Sportler müssen zu Hygienemaßnahmen ermahnt werden
Doch nicht nur unter den Zuschauern gibt es Probleme. Nach Umarmungen und Verstößen gegen das Maskengebot bei Medaillenzeremonien im Schwimmen mussten die Olympia-Organisatoren auch Sportler bereits an die Hygienevorgaben erinnern. „Wir bitten und ermahnen jeden, die Regeln zu beachten, wer auch immer man ist“, sagte etwa Mark Adams, Sprecher des Internationalen Olympische Komitee (IOC).
Nach der 4 x 100-Meter-Freistilstaffel der Frauen hatten die Teams aus Australien, Kanada und den USA auf dem Podium keine Maske getragen und wurden bei Umarmungen gesehen. Ähnliche Szenen gab es bei der Siegerehrung nach den 400 Meter Lagen der Männer. Swen Pförtner/dpa Olympische Spiele in Tokio: Nicht alle Sportler tragen ordnungsgemäß ihre Masken.
Abnehmen dürfen Medaillengewinner ihre Masken dem Reglement entsprechend nur noch für Fotos, etwa nach dem Abspielen der Nationalhymne für den Sieger, wenn die Athleten auf ihrem jeweiligen Treppchen Abstand voneinander halten. Ein gemeinsames Posieren für ein Gruppenfoto auf dem obersten Podest sei für 30 Sekunden erlaubt. Das allerdings wieder nur mit Maske. Man wolle „den Athleten ein Pressefoto ermöglichen, das sie mit freiem Gesicht und mit ihren Emotionen während dieses einzigartigen Moments in ihrer Karriere zeigt“, teilte das IOC mit. „Und ebenso gemeinsam mit den anderen Medaillengewinnern die Leistung zu feiern.“
Daran, die Spiele wegen der rasant steigenden Corona-Fallzahlen abzubrechen, denkt die japanische Regierung jedoch keineswegs. Der wegen seiner Corona-Politik in der Kritik stehende Regierungschef Yoshihide Suga erklärte laut Medienberichten zur Frage, ob die Spiele abgebrochen werden könnten, dass er darüber „nicht besorgt“ sei. Experten befürchten jedoch, dass das Schlimmste noch bevorsteht. Sie hatten schon vor Beginn der Wettkämpfe gewarnt, die Neuinfektionen könnten Anfang August und damit noch während der Spiele in Tokio auf über 3000 Fälle pro Tag ansteigen. Die Lage könne „kritisch“ werden, hieß es. Nun liegt die Zahl schon Ende Juli bei über 3000.
Experten machen Olympia indirekt verantwortlich für Infektionsanstieg
Verantwortlich für den starken Infektionsanstieg macht die japanische Regierung die Olympischen Spiele allerdings nur indirekt. In der Kritik stehen vor allem jüngere Menschen. Ihnen wird vorgeworfen, nachts nach Schließung der Restaurants und Geschäfte noch auf den Straßen unterwegs zu sein und das Virus mit seiner Delta-Variante zu verbreiten. Restaurants und Bars dürfen keinen Alkohol ausschenken und sind angehalten, um 20 Uhr zu schließen. Viele junge Japaner trinken Alkohol daher auf der Straße.
Tokios Gouverneurin Yuriko Koike rief sie dazu auf, sich impfen zu lassen, möglichst zu Hause zu bleiben und die Maßnahmen gegen eine Ausbreitung des Virus zu befolgen. „Die Aktivitäten junger Menschen sind der Schlüssel (um die Infektionen einzudämmen)“, sagte die Gouverneurin. Während die Mehrheit der älteren Menschen inzwischen geimpft sei und die Infektionen unter ihnen deutlich gesunken seien, seien die Infektionen unter den überwiegend nicht geimpften jungen Menschen am Steigen, erklärte Koike. Sie sind die wirksamste Waffe im Kampf gegen die Pandemie: Impfstoffe. Sie schützen Geimpften vor schweren bis tödlichen Covid-19-Verläufen und dämmen die Ausbreitung des Virus ein. Aber immer noch gibt es viele Fragen. Wir geben Antworten. Hier geht es zum Überblick
Bislang sind etwa 25 Prozent der japanischen Gesamtbevölkerung vollständig geimpft. Bei den Älteren liegt die Impfquote den Behörden nach bei gut 68 Prozent. Während einige Jüngere noch warten, bis sie mit der Impfung an der Reihe sind, stehen viele andere Impfungen skeptisch gegenüber. Dafür werden zum Teil Gerüchte und Falschinformationen über die Sicherheit der Impfstoffe verantwortlich gemacht.
Deshalb seien nicht die Olympia-Teilnehmer das Hauptproblem, sagte Politikwissenschaftler Koichi Nakano von der Sophia University in Tokio. Vielmehr sei es der Umstand, dass die Spiele überhaupt stattfänden zu einem Zeitpunkt, da die Bevölkerung über den immer wieder verlängerten Notstand „frustriert“ sei. „Die Leute werden ungeduldig und hören nicht mehr auf die Regierung.“
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