Krank nach Vogelattacke

Die 41-jährige Patientin sitzt mit schweren Beschwerden beim Hausarzt. Plötzlich hat sie hohes Fieber bekommen, zusätzlich leidet sie unter Kopf- und Gliederschmerzen. Auch ihre Lymphknoten links am Hals tun stark weh. Jede Kopfbewegung ist mit Schmerzen verbunden.

Der Mediziner verschreibt ihr Schmerzmittel und Fiebersenker. Eine Blutuntersuchung gibt keinen Aufschluss darüber, was die Beschwerden verursacht. Der Arzt nimmt an, dass die Patientin unter einer von Viren verursachten Hirnhautentzündung leidet. Diese ist im Gegensatz zu einer von Bakterien ausgelösten Hirnhautentzündung kein medizinischer Notfall, sondern heilt meist von selbst wieder ab.

Ungewöhnliches Erlebnis beim Joggen

Die Frau erzählt von einem ungewöhnlichen Erlebnis, das sich sechs Tage zuvor ereignete: Beim Joggen im Schweizer Kanton Aargau griff sie ein Mäusebussard von hinten an. An ihrem linken Hinterkopf bildete sich danach eine Beule. Die Stelle ist inzwischen verkrustet, sie hatte also eine Kratzverletzung. Ein Zusammenhang mit ihren aktuellen Beschwerden scheint jedoch unwahrscheinlich.

Ihr Zustand bessert sich leider nicht. Drei Tage später wird sie in ein regionales Krankenhaus in der Schweiz eingeliefert. Die Ärzte dort untersuchen die Frau und stellen die Verdachtsdiagnose, dass ein Infekt der oberen Atemwege ihre Beschwerden verursacht. Außerdem dokumentieren sie, dass die Lymphknoten hinterm linken Ohr deutlich angeschwollen sind. Erneut erhält die Frau Schmerzmittel. Außerdem sollen Entzündungshemmer die Symptome abklingen lassen.

Fünf Tage später wird sie aus dem Krankenhaus entlassen – nicht, weil sie beschwerdefrei ist, sondern auf ihren Wunsch. Noch wochenlang nimmt sie Schmerzmittel und Entzündungshemmer, ohne gesund zu werden. Gut drei Wochen nach dem Termin beim Hausarzt wird sie schließlich in die Infektiologie-Abteilung des Kantonsspitals Baden überwiesen, denn es geht ihr weiterhin schlecht.

Dort stellen die Ärzte fest, dass die Frau 40 Grad Fieber hat und unter Muskelschmerzen leidet. Am Hinterkopf sehen sie eine kleine verkrustete Stelle, die auf den Bussard-Angriff zurückzuführen ist. Die in der Nähe liegenden Lymphknoten sind immer noch geschwollen.

Die Experten vermuten, dass die Patientin an einer Krankheit leidet, die Menschen vergleichsweise selten trifft: Tularämie, auch als Hasenpest bekannt. Ausgelöst wird sie von Bakterien der Art Francisella tularensis. Sie versuchen, die Erreger in einer Blutkultur der Patientin nachzuweisen. Das gelingt zwar nicht. Es ist jedoch auch bekannt, dass das Anzüchten von F. tularensis in Kulturen im Labor häufiger misslingt. Trotzdem können die Ärzte ihren Verdacht bestätigten, denn im Blut der Frau finden sich zahlreiche Antikörper gegen den Hasenpest-Erreger.

Abszess an den Lymphknoten

Die Patientin erhält jetzt Antibiotika, um die Bakterien zu bekämpfen. Langsam klingt ihr Fieber ab und sie fühlt sich wieder besser. Doch die Lymphknoten, bei denen sich inzwischen ein eitriger Abszess gebildet hat, sind weiterhin ein Problem. Die Ärzte müssen zum Messer greifen, um den Eiter abfließen zu lassen. Danach heilen auch die Lymphknoten ab.

Seltene Erkrankung beim Menschen

Im „Schweizer Archiv für Tierheilkunde“ beschreibt ein Team von Infektiologen und Veterinären um Felix Ehrensperger den ungewöhnlichen Fall. Die Hasenpest befällt vor allem – wie der Name verrät – Feldhasen, ebenso sind Kaninchen und Nagetiere hochempfänglich, schreiben die Experten. Katzen, Hunde, Schafe, Rinder, Pferde, Vögel – und Menschen – erkrankten nicht so leicht. In Deutschland werden dem Robert Koch-Institut pro Jahr etwa 20 bis 30 Tularämie-Fälle bei Menschen gemeldet. Das Institut geht von einer hohen Dunkelziffer aus.

Die Krankheit kann beim Kontakt mit infizierten Tieren auf den Menschen übertragen werden, auch Jäger und Metzger können sich beim Häuten anstecken. Ebenso sind Übertragungen durch belastete Lebensmittel, Wasser oder Staub (etwa bei Heuarbeiten) oder durch Zeckenbisse bekannt. Von Mensch zu Mensch wird die Krankheit nach heutigem Kenntnisstand nicht übertragen.

Der Bussard hatte möglicherweise Bakterien an den Krallen, weil er infizierte Nagetiere erbeutet hatte. Denn von einer Übertragung durch Greifvögel wurde noch nie berichtet, heißt es im Fallbericht. Es wäre jedoch auch möglich, dass der Bussard mit Tularämie infiziert war.

Wenn Mäusebussarde Menschen angreifen, dann in der Regel, weil sie ihre Jungvögel schützen wollen. Jogger oder Spaziergänger können dabei – ohne dass sie den Vogel-Nachwuchs überhaupt wahrnehmen – zum Ziel werden. An der Stelle, an der die Patientin angegriffen wurde, attackierte ein Bussard später drei weitere Jogger. Bei einem der Betroffenen wurde tatsächlich auch eine Tularämie diagnostiziert.

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