Interview zum Coronavirus
Onmeda: Herr Prof. Dr. Schmidt-Chanasit, das neue Coronavirus hat Deutschland mittlerweile erreicht. Rechnen Sie damit, dass es sich von Bayern aus weiter ausbreiten wird?
Prof. Dr. Jonas Schmidt-Chanasit: Nach allen Daten, die uns vorliegen, gehen wir nicht davon aus, dass es einen Massenausbruch geben wird. Der Fall wurde ja schnell diagnostiziert und isoliert.
Ist Deutschland gut vorbereitet?
Schmidt-Chanasit: Deutschland ist sehr gut vorbereitet, das zeigt ja gerade dieser Fall. Da wurde so schnell gehandelt – mehr kann man zum jetzigen Zeitpunkt nicht machen.
Für wie gefährlich halten Sie das Virus?
Schmidt-Chanasit: Zum jetzigen Zeitpunkt deutet alles darauf hin, dass wir uns in einem ähnlichen Bereich bewegen wie bei der Influenza, also der echten Grippe. Man muss natürlich ganz genau beobachten, wie sich die Situation weiterentwickelt. Es kann immer zu Veränderungen kommen. Aber derzeit müssen wir uns in Deutschland keine Sorgen machen. Alle Maßnahmen, die ergriffen werden konnten, wurden ergriffen.
Warum gibt es dann so viel Aufregung um das neue Virus? In China wurden immerhin ganze Städte abgeriegelt.
Schmidt-Chanasit: Die Situation in China kann man mit der in Deutschland überhaupt nicht vergleichen. In China haben wir tausende infizierte Personen und auch einige Todesfälle. Die tun natürlich alles, was in ihrer Macht steht, um das einzudämmen. Und natürlich ist so ein scheinbar neues Virus immer besorgniserregend für die Bevölkerung. Wir versuchen dann, Vergleiche heranzuziehen.
Was für Vergleiche?
Schmidt-Chanasit: Jedes Jahr sterben bis zu 650 000 Menschen weltweit und in Deutschland bis zu 20 000 allein an der Influenza. Verglichen damit ist es nicht besonders dramatisch, was wir gerade in China sehen. Aber es ist natürlich wichtig, wachsam zu bleiben.
Besorgniserregend ist derzeit also vor allem die Tatsache, dass wir noch nicht viel darüber wissen?
Schmidt-Chanasit: Richtig. Denn das macht eine Einschätzung schwierig. Aber nach allem, was wir bisher wissen, macht das Virus nicht den Eindruck, dass es besonders gefährlich ist. Wir scheinen uns nicht im Bereich von SARS zu bewegen mit einer Sterblichkeit von 10 Prozent oder von MERS, wo fast 30 Prozent aller Patienten versterben. Davon sind wir noch ein weites Stück entfernt.
Sie sagten gerade „scheinbar neues Virus“ – ist es denn gar nicht neu?
Schmidt-Chanasit: So ein Virus entsteht ja nicht plötzlich wie durch Fingerschnippen. Das gibt es vermutlich schon lange in der Tierwelt. Nur es hat das Virus jetzt geschafft, auf den Menschen überzugehen. Und dann bemerken wir es.
Und das passiert durch Mutationen?
Schmidt-Chanasit: Ja, das kann man sich so erklären, dass bestimmte Mutationen aufgetreten sind und zur Folge hatten, dass sich das Virus auf den Menschen und insbesondere auch von Mensch zu Mensch übertragen kann. Das liegt nahe, denn Viren mutieren ja immer. Insbesondere RNA-Viren wie das Coronavirus. Das ist nichts Besonderes und passiert regelmäßig. Die meisten Mutationen führen allerdings nicht zu einer Veränderung der Eigenschaften wie in diesem Fall.
Wo sehen Sie jetzt das größte Risiko?
Schmidt-Chanasit: Die entscheidenden Fragen, die wir hoffentlich bald beantworten können, sind erstens: Wie setzt sich das Virus jetzt außerhalb von China fort in den Regionen, die von der Infrastruktur nicht so gut aufgestellt sind? Und zweitens: Wie ansteckend sind Infizierte, die sich in der Inkubationszeit befinden und noch keine Symptome zeigen?
Was könnte schlimmstenfalls passieren?
Schmidt-Chanasit: Wenn es sich bewahrheiten sollte, dass Menschen ohne Symptome das Virus übertragen können, wird man den Ausbruch nicht mehr eindämmen können. Und falls es zu einem Ausbruch in einem Entwicklungsland kommt, wird es schwierig, weil es dort nicht die Ressourcen gibt, um die Infektion zu bekämpfen. Es wird deshalb entscheidend sein, was in Ländern wie Laos oder Kambodscha passiert. Wir können eigentlich glücklich sein, dass es in China passiert ist, das die notwendigen Maßnahmen ergreifen kann.
Welche Menschen sind besonders gefährdet?
Alle Daten deuten darauf hin, dass von schweren Infektionen hauptsächlich immunschwache und ältere Personen betroffen sind.
Wie kann ich mich vor einer Infektion schützen?
Mit den normalen Maßnahmen, die man auch gegen eine Erkältung oder Influenza ergreifen würde: Regelmäßig die Hände waschen und von Erkrankten mindestens 1,5 Meter Abstand halten. Denn wir gehen davon aus, dass sich das Virus durch eine Tröpfcheninfektion überträgt. Also zum Beispiel durch Niesen und Husten. Auch ein Mundschutz kann Sinn machen, wenn er richtig benutzt wird, also die Nase richtig abgedeckt ist, die richtige Seite verwendet wird und er eng am Gesicht sitzt. Aber nur wegen des Coronavirus in Deutschland mit einem Mundschutz herumzulaufen, halte ich für übertrieben. Wir haben ganz andere Probleme: Die Influenzasaison hat begonnen und verursacht derzeit viel mehr Infektionen.
Angenommen jemand wird in Deutschland positiv auf das Virus getestet – wie ist der Ablauf?
Schmidt-Chanasit: Die Person wird isoliert und es geht eine Meldung ans Gesundheitsamt raus. Sie wird nicht auf eine Sonderisolierstation kommen wie bei Ebola, sondern ganz einfach in ein normales Krankenhauszimmer. Dann schaut man: Mit wem hatte derjenige Kontakt? Wo hat er sich infiziert?
Ist die Suche nach einem Medikament sinnvoll?
Schmidt-Chanasit: Ja. Insbesondere, wenn man ein Medikament gegen eine andere Viruserkrankung hat, das schon auf dem Markt ist. Vielleicht hat das eine Wirksamkeit, die sich auf das Coronavirus übertragen lässt. Das ist durchaus vorstellbar und wäre gut, weil man dann ganz schnell ein Medikament hätte. Aber dazu gibt es noch keine Daten.
Quellen
Gespräch mit Prof. Dr. med. Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin am 28.1.2020
Online-Informationen des Robert-Koch-Instituts: www.rki.de (Abrufdatum: 28.1.2020)
Burden of disease. Online-Information der Weltgesundheitsorganisation WHO: www.who.int (Abrufdatum 28.1.2020)
28.01.2019
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