Warum viel mehr Menschen einen Erste-Hilfe-Kurs für die Seele brauchen
Früher habe sie sich oft nicht getraut, Menschen auf ihre Probleme anzusprechen – heute fühle sie sich dazu verpflichtet. Die Lehrerin Argaalem Berhane hat einen Erste-Hilfe-Kurs für die Psyche absolviert und berichtet hier, wie das Programm ihren Alltag verändert hat.
Argaalem Berhane arbeitet als Förderschullehrerin mit Schülerinnen und Schülern, die eine geistige Behinderung haben. Im Sommer hat sie sich zur MHFA-Ersthelferin ausbilden lassen. MHFA steht für Mental Health First Aid – es handelt sich dabei um einen Erste-Hilfe-Kurs für psychische Erkrankungen. Teilnehmer*innen werden in einem 12-stündigen Kurs darin geschult, psychische Probleme zu erkennen – und den Betroffenen zu helfen. Hier berichtet Argaalem Berhane, wie der Kurs ihren Alltag verändert hat:
Als eine gute Freundin mir von der Ersthelfer-Ausbildung erzählt hat, hab ich gleich gedacht: Das ergibt Sinn. Es gibt einen Erste-Hilfe-Kurs für die körperliche Gesundheit – und warum gab es bislang keinen Kurs für die psychische Gesundheit? Deshalb habe ich mich dafür entschieden und den Kurs im Sommer absolviert.
Ich habe immer schon versucht, für die Menschen in meinem privaten und beruflichen Umfeld da zu sein. Ich habe zugehört und Trost gespendet. Aber in vielen Fällen wusste ich nicht, wie ich sie am besten aktiv unterstützen konnte.
Erste Hilfe: Es ist meine Pflicht, zu helfen
Heute fühle ich mich kompetenter und sicherer, wenn es darum geht, einen betroffenen Menschen zu unterstützen. Ich habe einen groben Überblick über verschiedene psychische Erkrankungen erlangt und weiß jetzt, an welchen Anzeichen ich diese erkennen kann und wie ich betroffene Menschen ansprechen und sie an professionelle Hilfen (u.a. Ärztinnen und Ärzte, Beratungsstellen) vermitteln, beziehungsweise sie in diesem Prozess begleiten kann.
Noch etwas hat sich verändert: Seit der Ersthelfer-Ausbildung bin ich sensibilisierter bezüglich psychischer Gesundheit und habe auch ein anderes Verantwortungsgefühl gegenüber betroffenen Menschen entwickelt. Vor der Ausbildung wollte ich niemandem zu nahe treten. Heute weiß ich, wie ich die betroffene Person ansprechen und gleichzeitig ihre Grenzen wahren kann.
Alle sehen es, aber keiner macht was
Denn oft ist es so: Viele Menschen sehen, dass es einer Person nicht gut geht – aber keiner traut sich, sie anzusprechen. Alle sehen es, alle ahnen etwas, aber keiner unternimmt etwas. Durch die Auseinandersetzung mit dem Thema psychische Erkrankungen, habe ich die Hemmung verloren, jemanden anzusprechen, wenn ich erkenne, dass es dieser Person nicht gut geht. Ich habe festgestellt, dass die meisten Betroffenen erleichtert sind, wenn man sie direkt anspricht.
Auch für mich als Lehrerin ist diese Ausbildung und dieses Wissen wertvoll. Wir haben zwar eine Schulsozialarbeiterin an unserer Schule, jedoch ist das eine Person für hunderte Schülerinnen und Schüler. Als Lehrkraft bin ich eine weitere Bezugsperson für die Schülerinnen und Schüler und damit auch mögliche Ansprechpartnerin für Sorgen und Probleme.
Aber nicht nur in Bezug auf betroffene Menschen hat die Ausbildung meinen Alltag verändert, sondern auch in Bezug auf mein eigenes Leben. Mir ist nochmals bewusst geworden, wie wichtig es ist, auf mich selbst zu achten. Mich selbst zu fragen, wie geht es mir gerade? Habe ich gerade die Ressourcen einem anderen Menschen zu helfen? Kann ich das gerade leisten?
Stress ist Hauptursache für psychische Erkrankungen
Was mir durch den Kurs wieder bewusst wurde, ist, dass Stress einer der Hauptursachen für psychische Erkrankungen ist. Und wie viele Menschen sind heutzutage gestresst und überfordert von ihrem Alltag? Es ist wichtig, dass wir alle in unserer Gesellschaft über psychische Gesundheit offen sprechen, ein Bewusstsein dafür entwickeln und präventiv etwas tun, um psychisch gesund zu bleiben.
Deshalb ist es wichtig, dass viele Menschen eine Ersthelfer-Ausbildung für psychische Gesundheit machen, um das Thema psychische Erkrankung zu enttabuisieren und zu entstigmatisieren. Das würde vielleicht dazu beitragen, dass wir alle achtsamer mit uns selbst umgehen und sich betroffene Menschen trauen sich frühzeitig Hilfe zu holen.
Ich wünsche mir, dass die Ersthelfer-Ausbildung ähnlich wie der Erste-Hilfe-Kurs für alle verpflichtend ist, insbesondere für Menschen im sozialen Bereich (wie Lehrerkräfte, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Pädagoginnen und Pädagogen, medizinisches Personal etc.).
Über MHFA Ersthelfer
Das Mental Health First Aid Programm wurde in Australien an der University of Melbourne entwickelt. Inzwischen haben mehr als sechs Millionen Menschen weltweit eine MHFA-Ausbildung absolviert. Das in Deutschland von der Beisheim Stiftung geförderte Programm zielt darauf ab, Menschen zu befähigen, psychische Probleme zu erkennen und betroffene Personen zu unterstützen und auch in Krisensituationen angemessen zu reagieren.
Sie möchten mehr über MHFA-Ersthelfer wissen oder sich für einen Kurs anmelden? Hier finden Sie umfassende Informationen, sowie die nächsten freien Kurs-Termine.
Mehr Information zum Umgang mit mentalen Problemen finden Sie in unserem Themen-Special „Mental gesund“
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