Viele Tote nach Corona-Impfung? Die AfD-Schockzahlen im Faktencheck

Die AfD berichtet von einer Übersterblichkeit und führt es auf die Corona-Impfungen zurück. Das Statement sorgt in den sozialen Netzwerken für Aufregung. Doch Experten widersprechen. Ein Faktencheck.

„Skandal“, heißt es im Facebook-Video zur AfD-Pressekonferenz von Montag. Und: „Viermal so viele unerwartete Todesfälle seit Beginn der Corona-Impfungen.“ Der gesundheitspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Martin Sichert, hält eine Grafik in die Kamera, die einen sprunghaften Anstieg der „plötzlichen und unerwarteten Todesfälle“ im Jahr 2021 abbilden soll. Sichert bezieht sich auf Daten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).

Die KBV sammelt Daten darüber, wie oft niedergelassene Ärzte bestimmte Diagnosecodes abrechnen. Konkret geht es in diesem Fall um die Codes R.96.0 für „Plötzlich eingetretener Tod“, R96.1 „Todeseintritt innerhalb von weniger als 24 Stunden nach Beginn der Symptome“, R98 „Tod ohne Anwesenheit anderer Personen“ und R99 „Sonstige ungenau oder nicht näher bezeichnete Todesursachen“.

Die Grafik haben wir hier nachgebaut, der Anstieg scheint tatsächlich enorm. Doch aus den herangezogenen Daten lässt sich kein Anstieg bestimmter Todesursachen ablesen. Dass es auf den ersten Blick dennoch so wirkt, sei eine Folge der Datenauswertung, schreibt das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (ZI), das die Daten der Kassenärzte erforscht.

  
 

Experte: „Entbehrt jeder Grundlage“

„Die Aufregung um möglicherweise gestiegene Todesfälle 2021 entbehrt jeder Grundlage“, teilte der Vorstandsvorsitzende des ZI, Dominik von Stillfried, mit. Der scheinbare Anstieg sei „eine logische Konsequenz der Datenauswahl und methodisch als Kohorten-Effekt bekannt“, so von Stillfried. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Martin Sichert habe Abrechnungsdaten der KBV für bestimmte Gruppen von Versicherten angefordert – und zwar nach folgendem Auswahlkriterium: Versicherte, die im Jahr 2021 einen Arzt besucht haben.

Diese Versicherten konnten in den Jahren davor gar nicht für Diagnosecodes zur Abrechnung eines Todesfalls sorgen. Aus einem ganz einfachen Grund: Sie lebten ja noch – und besuchten eben erst 2021 einen Arzt, der dies bei der Krankenkasse abrechnete. Dass dennoch in den KBV-Daten Codierungen für Todesfälle in den Jahren vor 2021 in einigen Fällen vorkommen, könne nur an einem „Fehler bei der Eingabe oder Übertragung“ liegen, so ZI-Vorstand von Stillfried.

Vergleich mit allen Versicherten zeigt: Es gibt keinen Ausschlag im Jahr 2021

Um tatsächlich einen aussagekräftigen Vergleich ziehen zu können, müsste sich der Datensatz auf die Grundgesamtheit aller gesetzlich Versicherten beziehen. Einen solchen Vergleich hat das ZI nun selbst veröffentlicht: Er zeigt für die Jahre 2012 bis 2022 „keine Auffälligkeiten für die einzelnen von der AfD hervorgehobenen Diagnoseschlüssel“. Soll heißen: Ärztliche Abrechnungen wie etwa für einen plötzlichen Herztod seien über die Jahre nicht auffällig angestiegen.

  
 

Auch KBV-Vorstand Andreas Gassen weist Sicherts falsche Deutung der Ärzte-Daten zurück: Diskussionen und Debatten müssten sein, aber nicht, indem in Zahlen etwas hineininterpretiert werde, was sie nicht hergäben.

Keine Belege, dass Übersterblichkeit auf Impfungen zurückgeht

Derzeit beobachtet das Statistische Bundesamt tatsächlich wieder eine erhöhte Übersterblichkeit. Diese könne nicht mehr vorrangig mit Corona-Todesfällen erklärt werden. Zu weiteren Ursachen legt sich die Behörde aber nicht fest und verweist auf erst später vorliegende Ergebnisse der Todesursachenstatistik.

Keine Belege gibt es für die Behauptung, dass die derzeit wieder gestiegene Übersterblichkeit auf Impfungen zurückgehen könnte. Im Gegenteil: Die Impfung trägt dazu bei, Todesfälle zu verhindern. An der Einschätzung ihrer Sicherheit hat das zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI) nichts geändert. Nach Erkenntnissen der Medizin ist das Risiko einer Nebenwirkung äußerst gering.

Dennoch lässt sich festhalten: Auch nach drei Jahren Pandemie ist die Corona-Datenlage in Deutschland mäßig und undurchsichtig. Ein Versäumnis, das längst gelöst gehört. Auch um über potenzielle Impfnebenwirkungen aufzuklären.

 

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