Vermiest uns die neue Corona-Variante „Arcturus“ den Sommer?
Die ganze Welt muss sich ernsthaft Sorgen machen – so dramatisch warnte ein indischer Forscher vor der Corona-Variante XBB.1.16. Sie trägt auch den Namen „Arcturus“. Ist die Aufregung überhaupt berechtigt? Wie gefährlich ist sie wirklich? FOCUS online hat nachgefragt.
Sie ist benannt nach dem hellsten Stern des Nordhimmels: Arcturus, die neue Omikron-Untervariante XBB.1.16. Allerdings verfinstern sich die Mienen einiger Forscher mit ihrem Auftauchen. Denn diese Variante hat in Indien innerhalb von 14 Tagen die Infektionszahlen um 281 Prozent ansteigen lassen – auch die Todeszahlen seien im gleichen Zeitraum um 17 Prozent gestiegen.
„Die ganze Welt muss sich ernsthaft Sorgen machen“
Das twitterte der indische Experte Vipin Vashishta , Kinderarzt sowie Forscher am Mangla Hospital and Research Center im indischen Bijnor und Mitglied der WHO-Vakzin-Gruppe. Der Experte warnte in seiner Nachricht: „Alle Augen sollten auf Indien gerichtet sein! Wenn es XBB.1.16 alias #Arcturus gelingen könnte, die ‚robuste‘ Bevölkerungsimmunität von Indern zu durchbrechen, die dem Ansturm von Varianten wie BA.2.75, BA.5, BQs, XBB.1.5 erfolgreich widerstanden haben, dann muss sich die ganze Welt ernsthaft Sorgen machen!“
Mehr zur Omikron-Variante
Wie dramatisch ist die Lage tatsächlich und wie bedrohlich ist die neue Omikron-Variante für die Menschen in Deutschland? Experten beantworten für FOCUS online die wichtigsten Fragen:
Wie berechtigt ist die Aufmerksamkeit, die XBB.1.16 erfährt?
Sebastian Budde/BIPS/dpa Bremer Epidemiologe Hajo Zeeb Das Monitoring auf neue Varianten – jetzt Arcturus als aktuelles Beispiel – sei essenziell, um weiter schnell auf Veränderungen der Corona Pandemie reagieren zu können. Das erklärt Hajo Zeeb, Leiter der Abteilung Prävention und Evaluation, Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS) auf Nachfrage und ergänzt: „Da es ein globales Geschehen ist und bleibt, kann man nur zustimmen, wenn der Blick dorthin geht, wo sich neue Varianten ausbreiten oder gefunden werden, wie jetzt in Indien.“
Zur Person
Hajo Zeeb leitet seit Januar 2010 die Abteilung Prävention und Evaluation am Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS. Ein besonderes Interesse des Professors gilt der Evidenzbasierung in Public Health.
Welche Gefahr geht von Arcturus aus?
Bisher sei noch wenig bekannt darüber, wie stark sich die Veränderungen der Omikron-Variante auswirken – etwa, was ihre krankmachende Fähigkeit angeht oder wie sehr sie die Immunabwehr austrickst. Noch sei Arcturus deshalb keine Bedrohung. Zeeb sagt: „Es ist absolut nicht klar, inwiefern die vorhandene Immunität ausreicht, beziehungsweise umgangen wird, aber Aufmerksamkeit ist essenziell.“ Letztlich wüssten wir inzwischen genau, wie schnell eine Ausbreitung geschehen könne.
JLU / Rolf K. Wegst Friedemann Weber, Direktor des Instituts für Virologie an der Universität Gießen. Genau der Aspekt, wie gut unser Immunsystem Arcturus abwehren kann, wird mitentscheiden, wie gefährlich die Variante sich entwickelt. „XBB.1.16 hat noch einmal eine Reihe weiterer Änderungen im Genom, die nicht nur das Spike-Protein betreffen, sondern auch das sogenannte ORF9b-Gen, welches an der Unterdrückung der Interferon-Antwort beteiligt ist“, erläutert Friedemann Weber, Leiter des Instituts für Virologie der Universität Gießen, die biologischen Details. Interferone sind Botenstoffe, welche von infizierten Zellen produziert werden, um andere Zellen vor der Infektion zu warnen und Gegenmaßnahmen einzuleiten. Sars-CoV-2 hat allerdings eine ganze Reihe dieser sogenannten Interferon-Antagonisten, und ORF9b gehörte bisher nicht zu den stärksten Vertretern.
Zur Person
Friedemann Weber ist Professor für Virologie und leitet als Direktor das entsprechende Institut an der Justus-Liebig-Universität in Gießen. Dort forscht er unter anderem zu Corona- und Influenzaviren.
Daher lautet Webers Fazit: „Ich erwarte nicht, dass die beiden XBB.1.16-spezifischen Mutationen in ORF9b dies radikal ändern würden. Zusammen mit den neuen Spike-Mutationen zeigt das, dass XBB.1.16 sicher Potenzial hat, vorhandener Immunität ein Stück weit davonzulaufen.“
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Welches Potential hat Arcturus, die Pandemie in Deutschland in eine neue Phase zu führen?
privat Prof. Dr. Timo Ulrichs, Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologe (Berlin) „Es wäre durchaus vorstellbar, dass eine solche neue Untervariante uns noch einmal in die Verlängerung der Pandemie zwingen könnte“, mahnt Timo Ulrichs. Aber die Jahreszeit spielt uns hier in die Karten: „Wir gehen in Europa gerade in den Frühling, so dass eine großflächige Ausbreitung eher schwerer wäre als zu Beginn der Herbst-/Wintersaison.“
Zur Person
Timo Ulrichs ist Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologe. Er arbeitet am Institut für globale Gesundheit als Studiengangsleiter für internationale Not- und Katastrophenhilfe. Außerdem war er als Referent am Bundesministerium für Gesundheit tätig und dort unter anderem zuständig für den Seuchenschutz und die Influenzapandemieplanung.
Selbst wenn die Pandemie durch Arcturus noch einmal aufflammen könnte, sieht Ulrichs dem gelassen entgegen. „Sollte die Pandemie noch einmal eine neue Runde machen, wären wir durch die bereits erreichte Grundimmunisierung der Bevölkerung besser aufgestellt als in der Frühphase der Pandemie“, sagt er. Auch wenn weitere Krisen dafür sorgten, dass ihre Bekämpfung womöglich schwerer und aufwendiger würde als bisher.
Inwiefern ist ein entspannter Sommer in Gefahr?
Die erwähnten Unterschiede von Arcturus zu bisherigen Varianten seien graduell, erläutert Virologe Weber. Er gehe also eher davon aus, dass XBB.1.16 eventuell die Corona-Saison verlängern könnte, nicht aber, dass eine neue große Welle auf uns zukomme. Sein Resümee: „Auch wenn man solche Varianten immer im Blick behalten sollte, ein entspannter Sommer sollte deswegen nicht gefährdet sein.“
Ähnlich sieht der Epidemiologe Zeeb die aktuelle Corona-Lage: „Die Prognose für den Sommer bleibt aber – aus meiner Sicht – erstmal weiterhin gut, da die Zirkulation des Virus insgesamt weniger sein wird.“ Aber Änderungen bei diesen Aussichten seien leider immer möglich.
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Wer sollte sich jetzt (ein weiteres Mal) impfen lassen?
Risikogruppen empfiehlt Ulrichs vorsorglich eine Impfung mit den neuen omikronspezifischen Impfstoffen. Der Experte betont: „Das wäre für alle Risikogruppen prophylaktisch zu empfehlen, sofern noch nicht geschehen.“
Dem stimmen die anderen beiden Experten ebenfalls zu. Die Empfehlungen hierzu ändern sich derzeit nicht. Es sei sehr gut, ergänzt Zeeb, den Schutz aktuell zu halten, besonders für Ältere und Menschen mit Vorerkrankungen.
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