Psychologin zeigt die Vor- und Nachteile eines Dankbarkeitstagebuchs auf

Laut Robert Koch Institut (RKI) erkranken rund 20 von 100 Menschen in ihrem Leben mindestens einmal an einer Depression oder einer chronisch depressiven Verstimmung. Und in Deutschland zeichnet sich das ab. Mit 9,2 Prozent ist der Anteil der depressiven Symptomatik hier höher als im EU-Durchschnitt – der liegt bei 6,6 Prozent. Nur in Luxemburg, Schweden und Portugal zeigt sich häufiger eine depressive Symptomatik bei der Bevölkerung. Durch Achtsamkeitsmethoden, wie zum Beispiel das Führen eines Dankbarkeitstagebuches, möchten Menschen ihre Zufriedenheit fördern. Ob das geht, verrät Dipl.-Psychologin Christine Geschke im stern-Interview.

Dankbarkeitstagebuch: Das sagt die Psychologin dazu

Geschke ist Beraterin und Therapeutin in Hamburg. Sie studierte Psychologie und Neurologie. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Klinischen Psychologie und Kognitiven Neurowissenschaften. Die Therapeutin mit eigener Praxis in Hamburg-Eppendorf weiß, wie Menschen Signale aus der Umwelt wahrnehmen und weiterverarbeiten. Sie weiß auch, wer lieber die Finger von Dankbarkeitstagebüchern lassen sollte.

Frau Geschke, wir kennen alle diese miesen Tage: Sie beginnen mit einem ungünstigen Missgeschick, wie zum Beispiel verschüttetem Kaffee. Und dann steckt oftmals der Wurm drin. Es folgt ein Patzer nach dem anderen. Einfach nicht mein Tag oder Einbildung?

Geschke: Man hat das Gefühl, dass der Wurm drinsteckt. Den Eindruck, dass alles schiefläuft. Und wenn der erstmal da ist, schreibt man der negativen Haltung alles zu. Man legt Filter über das Bewusstsein. Und dann kommt nur noch durch, was negativ ist. Das Positive wird nicht mehr registriert. Obwohl womöglich viele positive Ereignisse passieren.

Und dann kommt ein Dankbarkeitstagebuch zum Einsatz.

Das wäre in diesem Beispiel eine schöne Maßnahme. Man könnte abends überprüfen, ob der Tag wirklich so schlecht war. Manchmal kommt es vor, dass man sich vom Schicksal furchtbar ungerecht behandelt fühlt. Ein Realitätscheck im Dankbarkeitstagebuch kann helfen. Heutzutage ist das besonders wichtig. Dadurch, dass man sich ständig vergleicht, zum Beispiel über Social Media. Jede:r stellt nur das Beste von sich nach vorne. Man bekommt dadurch schnell den Eindruck, dass man selbst im Nachteil ist, fühlt sich nicht so toll wie die anderen. Und dadurch entsteht Unzufriedenheit. Für genau diese Menschen ist es wichtig, zu überprüfen und zu relativieren. Dann stellt man schnell fest: So schlecht geht es mir eigentlich gar nicht. Das funktioniert unter einer bestimmten Voraussetzung.

Welcher?

Die Voraussetzung ist, dass man über das Bewusstwerden der positiven Anteile im Leben die Bilanz wieder zurechtrücken kann. Manchmal kann das so einfach nicht passieren. Nämlich, wenn es ernsthafte Probleme gibt. Im schlimmsten Fall sind es Traumata, Schicksalsschläge, Depressionen. Und dann hilft es nicht vorrangig, sich dem Positiven zuzuwenden. Dann läuft das Ganze Gefahr, dass die leidvollen Anteile im Leben nicht gewürdigt werden. Oder nicht ernstgenommen werden. Und das ist wichtig.

Menschen mit psychischen Erkrankungen sollten lieber die Finger vom Dankbarkeitstagebuch lassen?

Wenn jemand psychisch erkrankt ist oder ernsthafte Probleme hat, hilft es nicht. Dann braucht es einer professionellen Begleitung, zum Beispiel einer Psychotherapie. Aber es ist eine schöne Methodik, den Blick leicht unzufriedener Menschen wieder ins Positive zu lenken. Es hilft, sich und die Außenwelt besser wahrzunehmen. Man sollte allerdings auch aufpassen, dass man sich nicht unter Druck setzt. Es kann leicht passieren, dass man sich durch das Dankbarkeitstagebuch zwingt, dankbar zu sein. Es ist ok, wenn das mal nicht so ist.

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Dankbarkeitstagebuch: Welche Fragen sollte ich mir konkret stellen?

Es gibt mittlerweile professionell ausgearbeitete Konzepte. Zum Beispiel das 6-Minuten-Tagebuch. Wenn man jedoch einfach erstmal loslegen möchte, kann man sich abends vor dem Schlafengehen hinsetzen und den Tag nochmal Revue passieren lassen. Man könnte sich konkret drei Situationen bewusst machen, für die man dankbar ist. Das können dann auch einfache Zusammenhänge sein. Vielleicht: dass jemand einen angelächelt hat; dass etwas geklappt hat; dass man einen Termin noch bekommen hat, obwohl alles dagegensprach. Solche einfachen Dinge können es sein, die einem dann ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Oder die ein positives Gefühl geben.

Was ist mit Tagebüchern, in denen Menschen ihren Frust niederschreiben?

Es kann empfehlenswert sein, muss aber nicht. Man externalisiert, was einen innerlich bewegt. Bedeutet: Man schreibt unschöne Dinge, die einem widerfahren sind auf, nimmt es aus sich heraus. Es quält dann bestenfalls nicht mehr innerlich. Es steht dann Schwarz auf Weiß auf einem Papier. Das ist ein Erleichterungsprozess. Und wenn man das so versteht, kann das negative Tagebuch dienlich sein.

Wie ist das bei Ihnen? Führen Sie ein Dankbarkeitstagebuch?

Vermutlich hatte ich öfter nicht die Zeit und manchmal nicht die Disziplin, regelmäßig abends etwas niederzuschreiben. Deshalb habe ich mir angewöhnt, vor dem Einschlafen gedanklich den Tag noch einmal Revue passieren zu lassen und die angenehmen Anteile hervorzuheben. Das hilft mir persönlich schon enorm, um mit einem guten Gefühl einzuschlafen.

Sie haben suizidale Gedanken?

Hilfe bietet die Telefonseelsorge. Sie ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr unter 0 800 / 111 0 111 und 0 800 / 111 0 222 erreichbar. Auch eine Beratung über E-Mail ist möglich. Eine Liste mit bundesweiten Hilfsstellen findet sich auf der Seite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention.

Verwendete Quelle: Robert Koch-Institut

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