Österreich zeichnet Verlauf der Corona-Ausbreitung nach – die Erkenntnisse sind sehr wichtig

Lange galt Österreich als Corona-Hotspot – allen voran wegen des besonders vom Virus betroffenen Skiorts Ischgl. Seither hat sich die Alpenrepublik von Corona erholt. Nun haben Wissenschaftler den Verlauf der Pandemie in Österreich nachgezeichnet. Die Daten könnten bei einer drohenden zweiten Corona-Welle von großem Nutzen sein – auch für andere Länder.

Durchgeführt wurde die Analyse von Wissenschaftlern der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) in Österreich. Anhand von Befragungen von positiv getesteten Personen haben sie versucht, so genau wie möglich zu dokumentieren, wo das Virus seinen Anfang genommen und wie es sich anschließend im Land ausgebreitet hat.

Forscher stellen Infektionsverlauf als Stammbaum dar

Herausgekommen sind dabei 169 verschiedene Cluster, wobei jedes Cluster für eine Häufung von Fällen innerhalb eines bestimmten Zeitraumes in einer bestimmten Region steht. Dadurch lassen sich die Infektionsgeschehen zeitlich sowie geografisch einordnen und voneinander abgrenzen.

Innerhalb eines jeden Clusters haben die Wissenschaftler dann sogenannte Transmissionsketten gebildet. Sie ähneln einem Stammbaum und zeigen, wie sich das Coronavirus in einem bestimmten Cluster, quasi über Generationen, verbreitet hat.

Die Forscher nennen ein Beispiel: In einem Cluster sei der erste Infizierte mit Symptomen einer Verkühlung aus Italien zurückgekommen. Vier Tage nach seiner Rückkehr nach Österreich sei er auf das Coronavirus getestet worden. Innerhalb von 24 Stunden habe das positive Testergebnis vorgelegen. Der Betroffene sei unmittelbar in Quarantäne gekommen. Allerdings habe er zu diesem Zeitpunkt bereits soziale Kontakte gehabt – und einige dieser Personen angesteckt.

Der Italien-Rückkehrer bildet in diesem speziellen Cluster die erste Generation und somit die Quelle des Virus, während die angesteckten Personen die zweite Generation (Folgefälle) bilden. Insgesamt ergeben sich in diesem Cluster sechs Generationen (Siehe Bild). AGES, EMS

Seniorenheime, Haushalt und Freizeitaktivitäten am stärksten von Corona betroffen

Die Wissenschaftler konnten die 169 Cluster elf Bereichen zurordnen, in denen sich das Coronavirus ausgebreitet hat. AGES

Ab der 13. Kalenderwoche (Mitte März) habe sich das Virus ausschließlich lokal, vor allem im halböffentlichen Bereich ausgebreitet. Seither sei zudem kein einziger Fall im Zusammenhang mit Einreisen aus dem Ausland aufgezeichnet worden. Besonders betroffen seien laut den Forschern neben Seniorenheimen (57 Cluster) vor allem der Haushalt (29) und Freizeitaktivitäten (15) gewesen. Letzteren würden auch Infektionsverläufe zugerechnet, die ihren Anfang in den Skiorten Ischgl und Sankt Anton am Arlberg nahmen.

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Bemerkenswert ist, dass kein einziges Cluster Schulen und Kitas abbildet. Es gebe ohnehin kaum betroffene Kinder, sagte Daniela Schmid, Infektiologin und Leiterin der Abteilung Surveillance und Infektionsepidemiologie der AGES, der österreichischen Nachrichtenagentur APA. Wenn überhaupt, würden die Kinder dem Haushalts-Cluster zugeordnet, da sie sich häufig im Haushalt angesteckt hätten.

Die Wissenschaftler ziehen aus ihren Ergebnissen mehrere Schlussfolgerungen:

  • Infizierte können das Virus übertragen, bevor sie selbst Symptome bemerken.
  • Die Übertragung erfolgt meist innerhalb weniger Tage (3 bis 5 Tage) – dieses Zeitintervall mache das Aufspüren von Kontaktpersonen zu einem Wettlauf mit der Zeit.
  • Eine Übertragung erfolgt, wenn mehrere Menschen für längere Zeit (insgesamt etwa 15 Minuten) am selben Ort sind.
  • Für die meisten Cluster lassen sich sogenannte Punktexplosionen ausmachen (eine Person steht am Anfang einer Transmissionskette; hat sie länger Kontakt zu anderen Personen, kommt es zu weiteren Übertragungen).
  • Quarantäne-Maßnahmen und Beschränkungen zeigen Wirkung – Rechtzeitig erkannt, endet die Übertragung.
  • Es gibt zurzeit keine Transmissionsketten, die eine Übertragung durch öffentlichen Verkehr oder den Besuch eines Geschäfts belegen. imago images/Eibner Europa In Österreich sind zahlreiche Geschäfte bereits seit Mitte April wieder geöffnet.

Maßnahmen punktuell einsetzen – Lockdown unter Umständen überflüssig

Mithilfe der Daten können bei einer drohenden zweiten Corona-Welle Hotspots schneller identifiziert und Containment-Maßnahmen (z.B. Quarantäne, Abstandsregeln, mechanische Barrieren) gezielter eingesetzt werden, um so die Infektionskette schneller zu unterbrechen.

Die Erkenntnisse könnten auch für andere Länder einen Ansatz für weitere Untersuchungen bieten. So könnten etwa auch in Deutschland, sofern sich Infektionsverläufe bis hin zur Quelle identifizieren lassen, Maßnahmen künftig punktuell eingesetzt werden. Unter Umständen ließe sich sogar ein genereller Lockdown im Fall der Fälle verhindern. Vor allem aber würde man Zeit im Kampf gegen das Virus gewinnen.

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