Mein liebes Tagebuch

Nach den hüpfenden Kärtchen für die Gesundheitspolitik will die ABDA nun mit Liebespostkarten von den Apothekenkundinnen und -kunden die nächste Stufe ihrer gigantischen Eskalationsrakete zünden, alles mit dem Ziel, mehr Honorar für die Apotheke zu fordern. Ob diese Rakete nicht doch noch zum Rohrkrepierer wird? Derweil warten die Apotheken auf die verpennte Softwarelösung, um die 50-Cent-Almosen abrechnen zu können, die Lauterbach der Apotheke für die Engpass-Maloche zugestanden hat. Und im Nachtdienst werden unsere Kolleginnen und Kollegen weiterhin unter obszönen Anrufen leiden müssen – die ABDA sieht da null  Handlungsbedarf. Lasst uns mal erwartungsfroh auf den Apothekertag schauen, der sich zwar nicht hauptsächlich, aber so nebenbei in den Antragsdiskussionen  über Möglichkeiten zur Honorarerhöhung unterhalten will. Wie nett! 

7. August 2023

Die ABDA „eskaliert“ weiter. Nachdem sich Ende Juli die Gesundheitspolitikerinnen und -politiker über eine putzig hüpfende Karte freuen durften, mit der ihnen praktisch die apothekerliche Wir-brauchen-mehr-Geld-Forderung ins Gesicht sprang, sollen nun die lieben Patientinnen und Patienten die Apotheken emotional unterstützen und einen Liebesbeweis formulieren. Sie sollen zum Stift greifen und auf einer der 1,8 Millionen Karten, die sie in den Apotheken erhalten, den Satz vervollständigen: „Wir lieben Apotheke, weil…“. Die ABDA-Präsidentin: „Auf den Karten haben die Menschen die Gelegenheit, kurz und individuell festzuhalten, warum sie ihre Apotheke vor Ort brauchen. Wir werden die Karten einsammeln, die gesammelten Aussagen der Öffentlichkeit präsentieren und die Postkarten an die Bundesregierung weitergeben.“ Unterstützt werden die Aktionen von den Kundenzeitschriften Apotheken Umschau und MyLife. Mein liebes Tagebuch, mag sein, dass dies als eine kuschelige Aktion gedacht ist, die von Herzen kommt. Und wenn man davon ausgeht, dass man sich mit Sicherheit nur über lieb formulierte Postkarten freuen kann (die Karten mit Hass- und Neid-Meinungen werden garantiert aussortiert), dann fragt man sich dennoch: Was machen die Politikerinnen und Politiker mit diesen Karten und Liebesbeweisen? Na, das lassen wir hier mal so stehen. Mal ehrlich, irgendwie wirkt diese Eskalationsstrategie hilflos und schon fast kindisch. Auf jeden Fall sieht das alles nicht nach harter Politik aus. Es sollte doch letztlich um mehr Honorar und Anerkennung für die Apotheken gehen! Wenn man bedenkt wie andere Berufe (z. B. Gewerkschaften von Bahn und Piloten) um mehr Honorar kämpfen…

 

Die Engpass-Pauschale, besser bekannt als das 50-Cent-Apotheken-Almosen, das Lauterbach den Apotheken pro Arzneimitteln bezahlen will für deren Maloche rund um die Lieferengpässe, kommt nicht aus den Puschen. Eigentlich steht den Apotheken die Pauschale mit dem Inkrafttreten des Lieferengpass-Gesetzes  (ALBVVG) schon seit Anfang August zu. Doch, oh Wunder, für die Verantwortlichen, u. a. den Deutschen Apothekerverband (DAV), kam das wohl zu schnell. Nun steht man unvorbereitet da, die Softwarehäuser und Rechenzentren konnten noch keine Möglichkeit ins System einbauen, wie die Rezepte bedruckt werden, um die 50 Cent abrechnen zu können. Der DAV versprach zwar vor Kurzem vollmundig, rasch eine Übergangslösung zu etablieren, aber auch die lässt sich nicht so rasch umsetzen. So hatte der Verband in Zusammenarbeit mit dem Apothekenrechenzentren und den Apothekensoftwarehäusern zwar eine Übergangslösung gefunden, die aber erst nach einer „kurzfristigen Korrektur der Software-Systeme einsatzfähig“ sei. Und auch diese kurzfristige Korrektur lässt sich nun doch nicht so kurzfristig umsetzen wie gedacht: Den pragmatischen Vorschlag akzeptierten – wie könnte es auch anders sein – der liebe GKV-Spitzenverband und einzelne Kassen nicht. Mein liebes Tagebuch, auch wenn es da letztendlich nicht um die großen Beträge geht, den Krankenkassen scheint jeder Tag recht zu sein, an dem die 50-Cent-Pauschale nicht an die Apotheken ausgezahlt werden kann. Und so werden die Rechenzentren und Softwarehäuser noch einige Wochen – hoffentlich fieberhaft – an einer akzeptablen Lösung arbeiten. Zu hören war, dass den Apotheken sowieso erst nach und nach die Softwareanpassung zur Verfügung stehen wird. Wann es soweit sein wird? Das ist weiterhin unklar, man wird sehen.

 

8. August 2023

Belästigende und obszöne Anrufe im Apotheken-Nachtdienst – drei von vier Approbierten waren bereits solchen Anrufen mindestens einmal ausgesetzt. Die Quote bei weiblichen Approbierten liegt mit 84 Prozent sogar noch höher. Das Apothekerparlament sprach sich auf dem letzten Apothekertag mit großer Mehrheit dafür aus, geeignete Maßnahmen gegen solche Anrufe einzuleiten und umzusetzen. Und die ABDA? Sie sieht keinen Handlungsbedarf. Der große ABDA-Rechtsapparat hält eine eigene Rechtsnorm, die eine solche Tat gezielt unter Strafe stellt, wie es im gepflegten Rechtsdeutsch heißt, nicht für erfolgversprechend. Und weiter kurz zusammengefasst: Es gebe bereits genug Paragraphen für eine strafrechtliche Verfolgung. Und ja, die ABDA fürchtet sogar eher einen Ansehensverlust als ein gewünschtes Ergebnis, wenn sie den Gesetzgeber bitten würde, hier einen eigenen Straftatbestand zu schaffen. Mein liebes Tagebuch, die ABDA sieht also keine weitere Notwendigkeit, sich für den Schutz der Nacht- und Notdienst-Apothekerinnen und -Apotheker vor obszönen und beleidigenden Anrufen einzusetzen mit dem Argument, es gebe schon genug gesetzliche Voraussetzungen und man wolle sich vor dem Gesetzgeber nicht blamieren. Ein starkes Stück, oder? Die Apothekerkammern Hamburg und Rheinland-Pfalz, die die entsprechenden Anträge auf dem letzten Apothekertag stellten, sind mit diesem ABDA-Beschluss so gar nicht einverstanden. Sie verweisen auch darauf, dass es nicht die Aufgabe des ABDA-Gremiums sei, vom Apothekertag beschlossene Anträge abzuändern und wie in diesem Fall den Gesetzgeber nicht zu adressieren. Außerdem heben die Kammern hervor, dass verbale sexuelle Belästigung bisher eben nicht strafbar sei. Mein liebes Tagebuch, es ist frustrierend, wie die ABDA mit diesem Apothekertags-Antrag umgeht und ihre Basis im Regen der Obszönitäten und Beleidigungen stehen lässt. Kein Einsatz für die Kolleginnen und Kollegen in den Niederungen des Apotheken-Alltags – die ABDA, wie so oft, fern von jeder Erdung.

 

Jedes halbe Jahr schließen in Deutschland über 200 Apotheken. Ende 2022 gab es noch 18068 Apotheken, Ende Juni 2023 nur noch 17.830, demnach also 238 Apotheken weniger. Das Apothekensterben hält unvermindert an, außerdem nimmt die Dynamik der Schließungen zu. Und es gibt nicht wirklich eine Antwort darauf, weder von der Politik noch von unserer Berufsvertretung. Im Gegenteil: Letztere verlangt sogar noch mehr Beiträge von ihren Mitgliedern und vergrößert ihre Mitarbeiterzahl. Und das Apothekensterben geht weiter.

 

9. August 2023

Lauterbach will eine Aufholjagd in Sachen Digitalisierung. Um sein Digitalisierungsgesetz und das Gesundheitsdatennutzengesetz voranzutreiben, besucht er sogar eine Apotheke und eine Arztpraxis und lässt sich zeigen, wie gut das E-Rezept schon ausgestellt und eingelöst wird. Und top, alles läuft reibungslos. Lauterbach freut sich wie Bolle, „es gab keine Schwierigkeiten, es gab keine Probleme“, so sein Statement. Na, mein liebes Tagebuch, wer hätte das gedacht. Und der Minister erklärt erneut: „Es ist nicht mehr vertretbar, dass wir in der heutigen Zeit immer noch die Rezepte auf Papier ausdrucken.“ Ja, wie wahr, aber an unseren Apotheken liegt’s nicht – das weiß auch Lauterbach und ringt sich zu einer kleinen Anerkennung für die Apotheken durch: Die Apotheken ziehen „im Großen und Ganzen sehr gut mit, und dafür bin ich ihnen dankbar“. Ob Lauterbachs kleines Sommertheater in der Arztpraxis und Apotheke in Berlin Charlottenburg etwas in Richtung Beschleunigung der Digitalisierung bringt, sei dahingestellt. Nach dem 1. Januar 2024 werden wir’s sehen, denn dann soll das E-Rezept verpflichtend sein.

 

Inflation, Klimakrise, Mitarbeitermangel, Lohnsteigerungen, erhöhter Kassenabschlag, die fehlende Honoraranpassung und am Ende das Apothekensterben – das sind die echten Probleme für die deutschen Apotheken. Und was tut unsere Berufsvertretung? Sie produziert Papier, Forderungskataloge und Anschreiben ans Ministerium für mehr Honorar, dazu einen halben Tag eine kleine Demo. Und nun zündet sie die weiteren Eskalationsstufen, z. B. die hüpfenden Kärtchen an die Politik, und fordert von den Patientinnen und und Patienten schriftliche Liebesbeweise ein. Erreicht man so das Ziel, ernst genommen zu werden, um in eine handfeste Honorardiskussion einzutreten? Die Zeitschrift AWA diskutiert bereits über Vorstellungen, wie eine neue Struktur fürs Apothekenhonorar aussehen könnte. Die Diskussion hat viel Resonanz ausgelöst, zumal der AWA-Beitrag vorschlägt, ein Apothekenhonorar abhängig von der Apothekengröße zu staffeln: für große Apotheken weniger, für kleine mehr Honorar. Apotheker Dr. Christian Fehske, Inhaber der Rathaus-Apotheke, sieht darin allerdings keine geeignete Lösung. Seine Kernaussage: Große Apotheken sind genauso unterfinanziert wie kleine. Im Interview erläutert er, warum auch größere Apotheken unter den zu geringen Honorareinnahmen leiden. Was er auch deutlich macht: Während jedes „normale“ Unternehmen beispielsweise massive Lohnerhöhungen auf die Preise umlegen kann, ist dies Apotheken nicht möglich. Fehske sagt, er habe keine große Hoffnung, über den Bundesgesundheitsminister etwas zu erreichen. Er würde Lauterbach gerne die Frage stellen, ob die Apotheken an der Beratung sparen sollten. Falls nein, dann müsse er die Apotheken anständig bezahlen. Unter dem Titel „Das ist offene Misshandlung unseres Berufsstandes!“ finden Sie das AWA-Interview hier.

 

10. August 2023

Die Anträge für den Deutschen Apothekertag werden vorbereitet. Ein Antrag von mehreren Kammern und Verbänden macht sich beispielsweise für eine Erweiterung der Handlungsspielräume für Apotheken stark. So fordern die Antragsteller den Gesetz- und Verordnungsgeber auf, den Apothekerinnen und Apothekern unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit des Aut-simile-Austauschs zu gewähren, bei Engpässen die Defekturherstellung sowie die Weitergabe der angefertigten Arzneien an andere Apotheken zu erleichtern und die Vorratshaltung von Importen zu gestatten, wenn ein Lieferengpass besteht oder sich abzeichnet. Retaxationen müssten dabei ausgeschlossen sein. Mein liebes Tagebuch, vor dem Hintergrund der nach wie vor bestehenden Lieferengpässe sind dies durchaus Möglichkeiten, wie sich die Apotheke hier für eine rasche Versorgung der Patientinnen und Patienten einbringen kann.

 

11. August 2023

Immerhin ein Lichtblick: Die notwendige Honoraranpassung wird Thema auf dem Apothekertag sein, wenn auch nicht als Hauptthema. Das wird, so die Programmankündigung, das Forum mit der Überschrift „Lehren aus ARMIN: Erfolgsfaktoren für pharmazeutische Dienstleistungen“ sein. Nun ja, sicher auch wichtig. Aber wie heißt es so schön: Ohne Moos nix los. Wenn das Honorar nicht mehr stimmt, dann werden auch die Bereitschaft oder die Möglichkeiten der Apotheken sinken, pharmazeutische Dienstleistungen anzubieten. Also, die Honorardiskussion wird sich in den Antragsberatungen wiederfinden müssen, mehrere Anträge werden dafür sorgen. Ein Leitantrag setzt sich z. B. für eine Steigerung der Honorierung ein (12 Euro netto pro abgegebener Rx-Packung). Anträge von Kammern und Verbänden schlagen vor, die Apotheken für das Erfüllen der Rabattverträge, bestimmte Sonderleistungen und das Einziehen der Zuzahlung von den Versicherten zu bezahlen. Mein liebes Tagebuch, was sich jetzt schon abzeichnet: Es wird vermutlich ein, nennen wir’s mal lebendiger Apothekertag werden.

Die Einteilung der Apotheken zum Notdienst ist nicht mehr zeitgemäß. Da muss etwas geschehen. Der klare Trend: weg von festen Kreisen hin zu einem gleichmäßigen Netz auf der Grundlage der Geodaten jeder Apotheke. Diese Erkenntnis ist mittlerweile auch bei den dafür zuständigen Apothekerkammern angekommen. Und einige haben sich bereits daran gemacht und eine Notdienstreform auf den Weg gebracht, z. B. die Kammern Nordrhein und Westfalen-Lippe, die es sogar geschafft haben, über die Kammergrenzen hinweg die Einteilung der notdiensthabenden Apotheken vorzunehmen. Andere Kammern arbeiten an einer solchen Reform, z. B. Baden-Württemberg. Hessen meldet nun die Reform des Notdienstes. War die Zahl der Notdienste bisher sehr ungleichmäßig verteilt, was für manche Apotheken eine echte Belastung darstellte, bringt die Reform eine deutliche Verbesserung: Die Umstellung auf eine digitale Notdienstplanung bringt es mit sich, dass die maximale Entfernung zwischen den diensthabenden Apotheken von 20 auf 25 Straßenkilometer erhöht werden kann, außer in den Großstädten. Das bedeutet laut Kammerpräsidentin Ursula Funke, dass viele Apotheken weniger Notdienste leisten müssen. Start für die neue Einteilung wird der 1. Januar 2024 sein, dann werden auch die bisherigen Notdienstkreise aufgelöst, die Einteilung läuft über eine Software. Mein liebes Tagebuch, das ist doch schon mal eine schöne Nachricht für die Kolleginnen und Kollegen in Hessen – und hoffentlich auch bald in den anderen Bundesländern, die die Reform noch vor sich haben. Und wenn die Software funktioniert, gibt’s dann die eine oder andere Nachtdienstpizza nicht aus der Pappe zwischen dem Bedienen der Kunden, sondern gemütlich vor Ort beim Italiener.


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