Krebstherapie: Durchfallmittel treibt Tumorzellen in den Tod – Heilpraxis
Durchfall-Medikament wirkt gegen Krebszellen
Hirntumore in Form eines sogenannten Glioblastoms sind bisher nur sehr eingeschränkt therapierbar und führen häufig zum Tod der Betroffenen. Auf der Suche nach neuen Behandlungsansätzen rückt jetzt ein lange bekanntes Durchfallmittel in den Fokus des Interesses. Nicht nur gegen die Hirntumore, sondern auch gegen andere Krebserkrankungen und gegen Demenz könnte das Mittel möglicherweise eingesetzt werden.
„In der Zellkultur wirkt das gängige Durchfallmittel Loperamid gegen Glioblastomzellen“, berichtet die Goethe-Universität Frankfurt in einer Mitteilung zu den neuen Studienergebnissen. Jetzt konnte durch das Forschungsteam um Dr. Sjoerd van Wijk vom Institut für Experimentelle Tumorforschung in der Pädiatrie der Goethe-Universität Frankfurt auch der zugrundeliegende Wirkmechanismus geklärt werden. Ihre Ergebnisse haben die Forschenden in dem Fachmagazin „Autophagy“ veröffentlicht.
Stressreaktion in Tumorzellen
Bereits vor rund zwei Jahren hatte das Forschungsteam Hinweise darauf gefunden, dass das Durchfallmittel Loperamid in der Therapie von Hirntumoren eingesetzt werden könnte. Loperamid führt in bestimmten Tumorzellen zu einer Stressreaktion im sogenannten Endoplasmatischen Retikulum (ER), dem Zellorganell, das für wesentliche Schritte der Proteinsynthese im Körper verantwortlich ist, erläutern die Forschenden. Der Stress im ER löse die Autophagie aus, welche wiederum zum Absterben der Krebszellen führt.
Was ist Autophagie?
Autophagie ist ein natürlicher Prozess in unserem Körper, bei dem aus beschädigten oder überflüssigen Zellbestandteilen die wertvollen Anteile „recycelt“ werden, erklärt die Forschungsgruppe. So könne beispielsweise das Überleben der Zelle bei Nährstoffmangel gesichert werden. Bei bestimmten Tumorzellen werde über die Autophagie jedoch so viel Material abgebaut, dass sie nicht mehr überlebensfähig sind und absterben. Dies lässt sich bei Glioblastomzellen offenbar mit dem Durchfall-Medikament Loperamid unterstützen.
Spezieller Transkriptionsfaktor entscheidend
Eine wesentliche Rolle bei der Initiierung eines Autophagie-abhängigen Zelltods der Glioblastomzellen spielt laut Aussage der Forschenden der „Aktivierende Transkriptions-Faktor“ ATF4, der sowohl bei ER-Stress als auch unter Loperamid-Einfluss vermehrt gebildet werde. Er löse den Abbau der ER-Membranen und damit des gesamten Endoplasmatischen Retikulums der Zellen aus. Wurde dieser Transkriptionsfaktor blockiert, starben nach Zugabe von Loperamid deutlich weniger Zellen einer Tumorzellkultur, so Studienleiter Dr. Sjoerd van Wijk.
Nur Krebszellen starben ab
Weiterhin konnten die Forschenden unter dem Elektronenmikroskop die ER-Trümmer in Abbauzellen des Körpers nachweisen. „Der ER-Abbau, also die Retikulophagie, trägt sichtbar zum Zelltod von Glioblastom-Zellen bei“, resümiert Dr. van Wijk. Andere Zellen blieben in Kontrolluntersuchungen hingegen vom Zelltod verschont.
„Diese Autophagie ist in normalen Zellen harmlos – auch für die Einnahme als Durchfallmittel, denn Loperamid wirkt im Darm nur an besonderen Bindestellen und wird nicht wirklich aufgenommen durch Darmzellen”, betont der Studienleiter. Bei Glioblastomzellen könne das Mittel jedoch den Autophagie-abhängigen Zelltod bewirken.
Glioblastome sind sehr aggressive, bösartige Hirntumore und die häufigsten und tödlichsten primären Hirntumore bei Erwachsenen. Auch bei Kindern machen sie etwa 5 bis 15% der primären Tumoren im Zentralnervensystem aus, berichten die Forschenden. Bisher beruhe die Therapie des Glioblastoms auf einer Kombination aus Chemotherapie, Bestrahlung und operativer Entfernung der Tumormasse, allerdings sei hiermit keine vollständige Heilung möglich und nur die Überlebenszeit der Betroffenen könne verlängert werden.
Neue Behandlungsansätze dringend gesucht
Daher ist es wichtig, neue Therapieeinsätze zur Behandlung des Glioblastoms zu finden, und die Induktion des Autophagie-abhängigen Zelltods bildet hier einen vielversprechenden Ansatz. Der Loperamid-induzierte Zelltod von Glioblastomzellen biete neue Optionen für die Behandlung dieser schweren Krebserkrankung und die aktuellen „Erkenntnisse eröffnen auch neue spannende Möglichkeiten für andere Krankheiten, bei denen der ER-Abbau gestört ist, etwa Nervenzell- oder Demenz-Erkrankungen sowie weitere Tumorarten“, betont Dr. van Wijk.
Bevor Loperamid allerdings zur Behandlung von Glioblastomen oder den anderen Erkrankungen eingesetzt werden kann, sei noch einige Forschungsarbeit notwendig. Beispielsweise müsse untersucht werden, wie Loperamid ins Gehirn transportiert werden und die Blut-Hirn-Schranke durchdringen kann. Zudem ist das Forschungsteam auf der Suche nach weiteren Retikulophagie-auslösende Substanzen und nach Möglichkeiten zur Verstärkung der Loperamid-Wirkung. (fp)
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