Kommen Lungenentzündungen aus China auch nach Deutschland? Das sagt der Virologe
Es sind heftige Bilder, die gerade in Chinas Medien kursieren: Überfüllte Wartezimmer, zu wenig Platz in den Kinderkrankenhäusern. Das Land verzeichnet gerade einen heftigen Anstieg an Lungenentzündungen bei Kindern. Virologe Alexander Kekulé erklärt, ob wir auch in Deutschland wachsam sein müssen.
FOCUS online: Müssen wir uns Sorgen machen? Glauben Sie, diese undiagnostizierten Lungenentzündungen werden auch nach Deutschland kommen?
Alexander Kekulé: Nein, hierzulande besteht nach meiner derzeitigen Beurteilung keine Gefahr. Selbst wenn ein an der Lungenentzündung erkranktes Kind aus China hierherkäme, würde sich die Krankheit sehr wahrscheinlich nicht ausbreiten. Die Immunitätslage der Bevölkerung ist bei uns eine andere und unsere kinderärztliche Versorgung ist wesentlich besser als in China. Und bisher gibt es keine Hinweise darauf, dass die Lungenentzündungen durch einen neuartigen Krankheitserreger ausgelöst wurden.
Über den Experten
Alexander S. Kekulé ist Virologe, Epidemiologe und ehemalige Berater der Bundesregierung. Für FOCUS online schreibt er regelmäßig zu aktuellen Fragen der Wissenschaft.
Stehen wir womöglich vor einer neuen Pandemie?
Kekulé: Die Sorge vor einer neuen Pandemie ist natürlich der Grund, warum Wissenschaftler Alarm geschlagen haben und die WHO genauere Informationen von Peking fordert. Leider ist die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit China seit der Covid-Pandemie und im Zusammenhang mit den geopolitischen und wirtschaftlichen Konflikten gerade auf einem Tiefpunkt. Falls dort ein Ausbruch außer Kontrolle geriete, würden wir es vermutlich erst spät erfahren. Nach allem, was man weiß, besteht in diesem Fall jedoch keine Pandemiegefahr.
Können Sie abschätzen, welcher Erreger diese undiagnostizierte Lungenentzündung auslösen könnte?
Kekulé: Das ist im Moment die große Frage. Bislang ist noch nicht einmal klar, ob es einen gemeinsamen Erreger gibt, der für die Häufung der Fälle verantwortlich ist. Auch die chinesischen Behörden wissen offenbar noch nicht sicher, was die Ursache der ungewöhnlichen Lungenentzündungen ist. Die bei Kindern typischen Erreger, wie RSV oder Influenza, hat man natürlich ausgeschlossen. Die Krankheit scheint auch weniger ansteckend zu sein als diese Virusinfektionen, sonst gäbe es noch wesentlich mehr Fälle. Den Berichten zufolge sind hauptsächlich Schulkinder betroffen; das passt ebenfalls nicht zu den üblichen Virusinfekten, die insbesondere bei Kleinkindern häufiger schwer verlaufen.
Laut WHO kommt es seltener zu Husten. Die Lungenentzündung äußert sich nur durch hartnäckiges Fieber. Deshalb kommen die Kinder erst spät zum Arzt, wenn die Erkrankung schon eine oder sogar mehrere Wochen besteht. Aufgrund dieses klinischen Bildes wurden Mykoplasmen als Auslöser vermutet. Das sind Bakterien, die eine „atypische“ Lungenentzündung mit diffusen Verschattungen im Röntgenbild hervorrufen können, die man sonst hauptsächlich von Viren kennt. Dazu passen jedoch die Röntgenbefunde der Kinder nicht, auf denen man angeblich keine verwaschenen Schatten, sondern kleine Knoten sieht.
Wieso sind insbesondere Kinder betroffen?
Kekulé: Aus meiner Sicht ist auch ein Zusammenhang mit der chinesischen Zero-Covid-Politik denkbar. In Peking, Liaoning und den anderen betroffenen Regionen Nordchinas hat es gerade einen massiven Kälteeinbruch gegeben. Nach drei Jahren Kontaktsperre sind die Kinder jetzt zum ersten Mal wieder den üblichen Ansteckungsgefahren ausgesetzt. Es ist zu vermuten, dass die Abwehr vieler Kinder durch die vorangegangene Isolation überfordert ist, man könnte das als „immunologisches Kaspar-Hauser-Syndrom“ bezeichnen. Dabei sind auch Infektionen mit mehreren Viren gleichzeitig möglich, bei denen es zu ungewöhnlichen und besonders schweren Verläufen kommt. Für die nach den Lockdowns aufgetretenen Fälle einer mysteriösen Leberentzündung bei Kindern wird eine solche Doppelinfektion als Ursache vermutet.
Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen den Fällen in China und der Schweiz?
Kekulé: In der Schweiz hat man gerade eine Häufung von Mykoplasmen-Infektionen bei Kindern beobachtet. Hier wird vermutet, dass die Kontaktbeschränkungen während der Covid-Pandemie ein Nachlassen der gegen den Erreger Mycoplasma pneumoniae gerichteten Immunität bewirkt haben, so dass es jetzt zu einem Nachholeffekt kommt. Die gute Nachricht ist, dass dieses Bakterium gut auf Antibiotika anspricht. Abgesehen von den möglichen indirekten Effekten der Covid-Maßnahmen gibt es jedoch keinen Zusammenhang mit den Fällen in China.
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