Graue zeigt alte und neue Schwächen der Apothekenhonorierung
Mit gewohnter Präzision und vielen rhetorischen Spitzen analysierte der NARZ-Vorsitzende Dr. Jörn Graue bei der NARZ-Mitgliederversammlung die Schwächen der Gesundheitspolitik. Für das NARZ berichtete er gute Ergebnisse, weil dort auf Sicherheit gesetzt werde. Zur Finanzierung der Hochpreiser hält Graue frühere Zahlungen der Krankenkassen statt der belastenden Vorfinanzierung durch Rechenzentren oder Banken für nötig.
Bei der Mitgliederversammlung des Norddeutschen Apothekenrechenzentrums (NARZ) am 7. Oktober in Hamburg betrachtete der NARZ-Vorstandsvorsitzende Dr. Jörn Graue, der auch Vorsitzender des Hamburger Apothekervereins ist, das politische Umfeld der Apotheken – berufsintern und darüber hinaus. Für die ABDA gebe es keine Anreize zum Sparen. „Es ist schon erstaunlich, mit welcher Gelassenheit hingenommen wird, dass diese Institution Jahr für Jahr größere Beiträge einfordert und dann großzügig Leistungen regnen lässt, die keine Apotheke so recht gebrauchen kann“, erklärte Graue. Nur einige Mitgliedsorganisationen würden für geringere Beiträge kämpfen. Graue folgerte, die „verhängnisvolle Beziehung“ zwischen der ABDA und den Mitgliedsorganisationen könnte man auch „toxisch“ nennen, denn „die eine Seite erhöht sukzessive die Abhängigkeit der anderen“. Auch in der Beziehung zwischen dem Staat und den Apotheken sieht Graue Probleme. Die Regierenden würden Opfer verlangen, die viele Apotheker jahrzehntelang bringen würden, „aber wir fragen uns, wo bleibt da der Respekt dieses Staates vor uns?“ Stattdessen werde der Kassenabschlag erhöht, und die Apotheken müssten den Herstellerabschlag zwischenfinanzieren. Graue erwartet, das „Gefühl, von einer Machtbürokratie verachtet, belehrt, marginalisiert und überfordert zu werden, wird nicht einfach so verschwinden“. Stattdessen regte er Sparmaßnahmen bei den immer noch 96 Krankenkassen an und kritisierte deren „Duodezlandschaft“ mit ihrem „musealen Charakter“.
Abstieg des Honorars „mit Ansage“
Zur Situation der Apotheken betonte Graue, die Treuhand Hannover räume erstmals ein, dass Durchschnittszahlen ein verzerrtes Bild erzeugen. Mit Bezug auf die jüngsten Daten vom Zwischenahner Dialog und vom Deutschen Apothekertag erklärte Graue: „Über einem Drittel der verbliebenen Apotheken kreist der Geier, bei zehn Prozent klebt demnächst der Kuckuck an der Tür.“
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Ein Drittel der Apotheken ist in der Existenz gefährdet
Zur Ursache verwies Graue auf seine Mahnungen von 2003, als das Kombimodell ohne sichere Anpassungsklausel gestaltet wurde. Doch damals habe nur eine kleine Minderheit der Verbände gewarnt, denn man habe Vertrauen in das staatliche Patronat. „Die Herdenimmunität gegenüber dem gesunden Verstand haben wir schon damals erreicht“, erklärte Graue. Der Abstieg der Honorierung sei „einer mit Ansage gewesen“. Die Apotheken seien inzwischen so hoch verschuldet wie selten in ihrer Geschichte. Inzwischen könne sich auch die ABDA dieser Entwicklung nicht entziehen, „nachdem buchstäblich vier kleine Schlepper dem schwerfälligen Tanker eine kleine Richtungsänderung nach Luv verpasst haben“. Damit spielte Graue auf den Aktionstag von vier Apothekerverbänden am 19. Oktober 2022 an. Doch die „überlebensnotwendigen Einkommensverbesserungen“ lägen „weiter in unerreichbarer Ferne“. Dazu verwies Graue auf den „unkaputtbaren Unglauben“ an „das Märchen von den Apothekerpreisen und den hohen Gewinnen“ und die Arbeit von Bundesgesundheitsminister Lauterbach: „Kaum ein Fettnäpfchen, das er auslässt. Keines seiner Gesetze überlebt die erste Fassung.“ Die nun zuerst in der Presse vorgestellte geplante Strukturveränderung der Apotheken sei der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Graue hofft nun auf das Gespräch zwischen Lauterbach und der ABDA-Präsidentin am 13. Oktober. Doch es sei „klar wie Kloßbrühe“, dass jede vierte Apotheke „ans Abhauen denkt“.
Finanzierung für Hochpreiser stößt an Grenzen
Außer bei der Honorierung beklagte Graue Mängel bei der Selbstverwaltung, die sich kaum noch gegen „die monopolartigen Strukturen“ wehren oder durchsetzen könne. Zu den diskutierten Umverteilungen unter den Apotheken meinte Graue, solche Gedankenspiele seien zwar erlaubt, aber sie würden in der Regel zu keinem brauchbaren Ergebnis führen, „da auch große Apotheken selten bessere Ergebnisse erzielen, an denen kleinere Apotheken partizipieren könnten“. Problematisch sei vor allem die überproportionale Zunahme der Hochpreiser. Dabei verlagere sich die Last zu den Rechenzentren, die vorfristig an die Apotheken zahlen, sich ihrerseits bei Banken finanzieren und dafür Konsortialkredite in Anspruch nehmen. Dabei würden Zinsen für den ganzen Rahmen und nicht nur für die Zeit des tatsächlich in Anspruch genommenen Kredites fällig. Doch die gestiegenen Zinsen würden dies obsolet machen. Eine mancherorts diskutierte Kürzung des Apothekenzuschlags im oberen Bereich würde dieses Problem verschärfen und sei daher strikt abzulehnen. Die Bankenkonsortien hätten bereits signalisiert, dass sie diesen Weg nicht mitgehen würden.
NARZ setzt erfolgreich auf Sicherheit
Doch das NARZ habe bei der Finanzierung einen anderen Weg beschritten. Ihr sei durch die Bank die Bestnote bezeugt worden. Diese Sicherheit sei „das Pfund, mit dem wir wuchern können“, erklärte Graue. Immer günstigere Abrechnungsgebühren hätten zu einem existenzvernichtenden Wettkampf geführt. Die Rechenzentren müssten Maßnahmen ergreifen, um ihre Kostendeckung wieder zu erreichen – „oder schlimmer noch, ihre Konsolidierung herbeizuführen“, womit Graue wohl auf die jüngste Bilanz bei Noventi anspielte, ohne den Wettbewerber zu nennen. Das NARZ habe jedoch wieder ein gutes Ergebnis vorgelegt. Die Eigenkapitalquote spreche wie immer für sich. NARZ-Geschäftsführer Marc Beushausen erklärte, diese liege für die NARZ-Gruppe insgesamt bei knapp 90 Prozent. Die Gruppe habe ihre Umsätze erhöht und damit die gestiegenen Kosten im Berichtsjahr sogar überkompensiert. Für den Vorsitzenden des NARZ-Verwaltungsrates, Gerd Welge, hat die Nachfrage der Apotheker bei der Expopharm gezeigt, dass das NARZ auf dem richtigen Weg sei.
Neue Idee wegen Hochpreisern: frühere Zahlung der Kassen
Beim Umgang mit den Hochpreisern hält Graue statt der teuren Vorfinanzierung durch Rechenzentren oder Banken einen anderen Weg für nötig. Es sei unumgänglich, mit den Krankenkassen eine schnellere Zahlungsabwicklung zu vereinbaren. Sonst drohe wegen des Kontrahierungszwangs die Zahlungsunfähigkeit der Apotheken. Die Rechenzentren könnten mit einer Softwareanpassung die Liquidität der Apotheken schneller und ohne teure Zwischenfinanzierung sicherstellen, sobald die Lieferverträge eine vorzeitige Zahlung der Kassen zulassen. Als Anreiz für die Krankenkassen könnte eine schnellere Datenübermittlung dienen. Doch ein Gespräch der Spitzenverbände dazu stehe noch aus. Die Rechenzentren seien dort keine Vertragspartner. Die Erstarrung der Fronten lasse sich nur aufbrechen, wenn der Gesetzgeber einspringe, erwartet Graue. Das Haftungsrisiko durch die Einführung von Apotheken als GmbH zu begrenzen, würde hingegen den Zugang für Kapitalgesellschaften eröffnen. Das hieße, den Beelzebub mit dem Teufel auszutreiben, warnte Graue.
Auch die Diskussion zeigte, dass die Vorfinanzierung durch die Rechenzentren angesichts der Zinsentwicklung an eine Grenze gestoßen ist. Abrechnungsunternehmen sollten nicht als günstige Banken missverstanden werden, hieß es dort. Für die Finanzierung sollten sich Apotheken stattdessen direkt an ihre Hausbank wenden. Zur erhofften Regelung durch den Gesetzgeber gab Berend Groeneveld, Vorsitzender des Landesapothekerverbandes Niedersachsen, zu bedenken, dass Gesetze immer unklarer formuliert würden. Der große Interpretationsspielraum führe in der Selbstverwaltung immer öfter zu Schiedsverfahren. Dass die Krankenkassen dabei inzwischen praktisch wie Legislative, Exekutive und Judikative zusammen auftreten würden, mache dies für die Apotheken so schwer. Außerdem diskutierte die Mitgliederversammlung über ein neues Umsetzungsproblem beim E-Rezept – dazu in Kürze mehr auf DAZ.online.
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