Glucose-Prozess geht zum Bundesgerichtshof

Zwei Jahre Freiheitsstrafe auf Bewährung wegen fahrlässiger Tötung und unterlassener Hilfeleistung – so lautet das am Donnerstag ergangene Urteil gegen die 52-jährige Kölner Apothekerin im „Glucose-Prozess“. Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert. Und so ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Rechtsanwalt Morton Douglas, der die Apothekerin vor Gericht vertritt, hält das Urteil für rechtsfehlerhaft und hat die Revision zum Bundesgerichtshof angekündigt.  

Rund vier Jahre ist es her, dass eine junge Frau sowie ihr per Notkaiserschnitt zur Welt geholtes Baby starben. Zuvor hatte die Schwangere in einer Frauenarztpraxis eine toxische Lösung getrunken: Für einen Glucosetoleranztest war eine mit Lidocainhydrochlorid verunreinigte Glucose-Mischung eingesetzt 
worden – und diese kam aus der Kölner Apotheke, in der die vor dem Landgericht Köln angeklagte Apothekerin arbeitete. Der Fall sorgte bundesweit für Schlagzeilen und Entsetzen.

Nach 16 Verhandlungstagen fiel am gestrigen Donnerstag das Urteil. Zur Begründung hieß es, der Angeklagten sei ein fataler Fehler unterlaufen: Sie habe einen Rest des Lidocainhydrochlorids für Glucose gehalten und dieses dann in ein Gefäß mit Glucose gefüllt. „Das Zusammenschütten von Substanzen aus zwei Gefäßen“ gelte in der Pharmazie jedoch als absolutes „No Go“, sagte die Vorsitzende Richterin. Zudem: Die Angeklagte soll vom sich rapide verschlechternden Gesundheitszustand der Frau gewusst, aber die behandelnden Ärzte nicht über den Verdacht einer Lidocain-Vergiftung informiert haben.

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Bereits zwei Tage zuvor hatte eine andere Schwangere ebenfalls verunreinigte Glucose zu sich genommen. Nach einem Schluck trank sie wegen des bitteren Geschmacks jedoch nicht weiter. Auch diese Frau war mit Vergiftungserscheinungen in ein Krankenhaus gekommen, hatte sich dann aber rasch wieder erholt. Diesen Fall wertete das Gericht als fahrlässige Körperverletzung.

Ursprünglich war die Apothekerin unter anderem wegen versuchten Mordes durch Unterlassen angeklagt. An dieser Einschätzung hatte die Staatsanwaltschaft auch festgehalten und eine Haftstrafe von zweieinhalb Jahren gefordert. Die Verteidiger der Angeklagten plädierten hingegen auf Freispruch.

Schadenersatz und Bewährungsauflage

Die 52-Jährige hatte im Prozess den Tod der Frau und ihres Babys bedauert, ein schuldhaftes Verhalten jedoch von sich gewiesen. Sie hat an die Hinterbliebenen der Verstorbenen bereits insgesamt 75.000 Euro für Schadenersatz und Anwaltskosten gezahlt. Als Bewährungsauflage für die 52-Jährige setzte das Gericht zudem eine Zahlung von 20.000 Euro an die Kinderintensivstation der Kölner Uniklinik fest. 

Verteidigung: Alternative Abläufe unzureichend gewürdigt

Die Verteidigung – die unter anderem der in Apothekenkreisen wohlbekannte Freiburger Rechtsanwalt Morton Douglas übernommen hat – machte unmittelbar nach dem Urteil deutlich, dass sie dieses nicht akzeptiert. Das gilt zum einen für den Schuldausspruch wegen des Fahrlässigkeitsdelikts: Selbst die Staatsanwaltschaft sei nach der umfangreichen Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gekommen, dass die von ihr in dieser Hinsicht in der Anklage aufgestellten Hypothesen nicht haltbar seien, betont Douglas in einer Pressemitteilung. Der Staatsanwalt hatte letztlich tatsächlich beschränkt auf den Mordvorwurf eine Freiheitsstrafe beantragt. „Warum es gerade die von allen Zeugen als sorgfältig arbeitend beschriebene Angeklagte gewesen sein soll, die den Fehler im Vorfeld der Abfüllung der Glucose begangen haben soll und nicht eine der anderen infrage kommenden Personen, wurde von der Kammer nicht nachvollziehbar dargelegt“, erklärt Douglas. Schlicht aus dem Umstand, dass die Angeklagte – wie auch andere Mitarbeiterinnen – möglicherweise Glucose abgefüllt hatte, zu schließen, sie müsse es auch gewesen sein, die zuvor die Substanzen zusammengeschüttet hat, bleibe „reine Spekulation“. Der Anwalt betont, dass die Verteidigung vielfältige alternative Abläufe aufgezeigt habe, die das Gericht aber unberücksichtigt gelassen habe. Dies müsse nun im Revisionsverfahren geprüft werden.

Medialer Druck?

Dass das Gericht hier anders entschied, sei „wohl dem medialen Druck geschuldet, der auf diesem Verfahren lastet“, vermutet Douglas. Dies gelte erst recht für die Verurteilung wegen unterlassener Hilfeleistung. Diesen Tatbestand hatte das Gericht erst Stunden vor der zunächst vorgesehenen Urteilsverkündung in der Woche zuvor in den Blick genommen – dabei war bereits über drei Monate verhandelt worden.

Auf einer Linie mit dem Gericht ist die Verteidigung allerdings insoweit, als dieses dem Vorwurf eines vorsätzlichen Tötungsdeliktes nicht gefolgt ist und die Angeklagte in diesem Punkt freigesprochen hat.

Das letzte Wort in diesem Prozess steht also noch aus. 


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