Experten zerlegen Lauterbachs Corona-Aussagen – schon wieder

Am Mittwochnachmittag verkündete Karl Lauterbach in einer Pressekonferenz die Maßnahmen, welche uns durch den Corona-Herbst bringen sollen. Allerdings äußerten Experten Zweifel an so manchen seiner Aussagen. Ein Faktencheck.

„Der Herbst wird schwierig“, sagte Karl Lauterbach am Mittwoch. In einer Pressekonferenz mahnte der Bundesgesundheitsminister, die Pandemie weiterhin ernst zu nehmen. Er kündigte an, welche Maßnahmen in den kommenden Monaten gelten sollen und welche Möglichkeiten die einzelnen Bundesländer haben, um auf das Infektionsgeschehen zu reagieren.

Doch einige Aussagen, die der Gesundheitsminister tätigte, sind umstritten. In vier Punkten äußerten Wissenschaftler bereits Kritik.

1. Geimpfte haben früher Symptome als Ungeimpfte

Lauterbach nutzte die Pressekonferenz auch, um den Nutzen der Impfung zu betonen.

Aussage: „Bei demjenigen, der geimpft ist, beginnen die Symptome oft, bevor die Viruslast sehr hoch ist. Das ist bei Ungeimpften ganz anders.“

Lauterbach behauptet hier, einer der Gründe, warum die Impfungen die Pandemie begrenzten, sei die Tatsache, dass Geimpfte schon früh Symptome zeigten und sich somit früher isolierten. Also schon bevor die Viruslast und damit ihr Risiko, das Virus weiterzugeben, hoch ist.

Einschätzung: Aber stimmt das so? Die These, die Lauterbach hier vertritt, ist nicht neu – aber auch nicht unumstritten. FOCUS online sprach darüber bereits vor einigen Monaten mit Immunologe Carsten Watzl. Er erklärte: „Es fehlen mir die Daten, ob Geimpfte bei einer Infektion wirklich früher Symptome zeigen als Ungeimpfte“, dazu kenne er keine Studie.

Auch der Hintergrund sei nicht so eindeutig klar. „Ja, die Symptome einer Infektion werden überwiegend von der Immunreaktion und nicht dem Erreger selber ausgelöst. Jedoch spielt auch das angeborene Immunsystem bei den Symptomen eine große Rolle, und das wird durch die Impfung ja nicht verändert, da es kein immunologisches Gedächtnis hat“, betont er. „Lediglich die Reaktion des adaptiven Immunsystems läuft bei Geimpften schneller und damit früher ab. Ob das aber ausreicht, um merkbar früher zu Symptomen zu führen, weiß ich nicht.“

„Hier hat man bestenfalls wohl einiges durcheinander gebracht“, kommentiert Epidemiologe Klaus Stöhr auf Twitter die Aussage Lauterbachs. Und Medizinstatistiker Gerd Antes schreibt dazu: „wie immer evidenzfrei“. Und fragt: „Wie ist die Steigerung von fassungslos?“

Das Video, in dem Lauterbach diese Aussage tätigt, wurde bereits mehrfach auf Twitter geteilt, auch international spricht man über Deutschlands Gesundheitsminister.

2. Die FFP2-Maskenpflicht

Aussage: „Omikron BA.5 ist extrem ansteckend. Wenn man Maske trägt, sollte sie auch wirken. Daher die FFP2 Pflicht“, twittert Lauterbach in der Nacht zum Donnerstag mit Bezug auf seine Aussagen in der Pressekonferenz. Hierbei ging es um die FFP2-Pflicht in Fernzügen.

Einschätzung: Für die FFP2-Maskenpflicht gibt es laut Virologe Jonas Schmidt-Chanasit „keine wissenschaftliche Evidenz“. Wie er auf Twitter betont, widerspricht diese Empfehlung sogar denen der wissenschaftlichen Fachgesellschaften.

So sprach sich etwa die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) etwa schon des Öfteren gegen eine solche aus. „FFP2-Masken sind Hochleistungs-Atemschutzmasken, die für den Arbeitsplatz bestimmt sind. Nur bei korrekter Anwendung übertrifft ihre Wirksamkeit im Allgemeinen jene von chirurgischem Mund-Nasen-Schutz“, betont die DGKH. Entscheidend sei nämlich, dass die Maske angepasst ist, auf dichten Sitz überprüft wurde und dass das Tragen geschult wurde. „Für die Bevölkerung besteht weder die Möglichkeit, die passende Maske auszuwählen, noch erfolgt eine Schulung. Im Allgemeinen werden daher die Masken nicht korrekt getragen und verlieren somit die Schutzwirkung“, heißt es weiter.

„Wenn bei der FFP2-Maske über Leckage geatmet wird, dann geht die Schutzwirkung weitgehend verloren und ist deutlich schlechter, als wenn ein gut angepasster chirurgischer Mund-Nasen-Schutz getragen wird.“

3. Die Ausnahmen für „frisch Geimpfte“

Aussage: Lauterbach stellt mit dem neuen Infektionsschutzgesetz auch mögliche Ausnahmen für eine bestimmte Personengruppe in Aussicht: Für die „frisch Geimpften“ . Also für diejenigen, deren letzte Impfung höchstens drei Monate zurückliegt.

Einschätzung: Diese Regelung wurde bereits Anfang August geplant. Schon damals stieß sie auf Kritik – und an der „hat sich auch nach der heutigen Präsentation des BMG und BMJ nichts geändert“, schreibt Epidemiologe Klaus Stöhr auf Twitter. Seine Anmerkung: „Der genannte 3-Monatszeitraum im IfSG-Entwurf vernachlässigt entweder die Daten zu den Impfzielen oder den Impfnebenwirkungen.“ Das Impfziel könne es nicht sein, Infektionen generell zu verhindern, sondern die schweren Verläufe bei den Vulnerablen zu minimieren.

4. Die hohe Zahl der Corona-Toten

Zudem sprach Lauterbach von den Corona-Toten.

Aussage: Wir fangen an, uns an die hohe Zahl von Todesopfern und auch die sehr hohe Zahl von Long-Covid-Fällen zu gewöhnen. Und das dürfen wir nicht.“ Der Gesundheitsminister betont hier die hohe Anzahl an Corona-Toten. „Schon jetzt haben wir 100 Coronatote pro Tag, zu viele“ , schreibt er ergänzend auf Twitter.

Einschätzung: Lauterbachs Aussage ist grundsätzlich nicht falsch. Es sterben viele Menschen in der Folge einer Infektion mit dem Coronavirus. Er unterschlägt dabei jedoch einen wichtigen Punkt: Er unterscheidet nicht, ob die Betroffenen an oder mit Corona verstarben.

Wie Intensivmediziner Christian Karagiannidis dem „Tagesspiegel“ sagte, lohnt diese Unterscheidung nämlich. Unter den Verstorbenen seien demnach auch viele Menschen, die zwar an der Omikron-Variante erkrankt waren, aber aus anderen Gründen verstorben seien, erklärte er.

Lauterbach ist Wissenschaftler – aber eben auch Politiker

Es ist nicht das erste Mal, dass Lauterbach öffentlich heftig von anderen Wissenschaftlern kritisiert wird. Auch internationale Experten äußerten sich bereits zu seinen Tweets, in denen er häufig im Schnellschuss und nicht immer korrekt Studienergebnisse vorstellt.

Auch in Talkshows gebe sich Lauterbach seit zwei Jahren als „Studienexperte“, kritisiert Statistiker Antes. Häufig verwischten die Grenzen zwischen seiner Arbeit als Wissenschaftler, als Gesundheitsminister – oder als Talk-Show-Gast. Medizinstatistiker Gerd Antes betont unlängst im Gespräch mit FOCUS online: „Wer die Studienmenge und Komplexität durchschaut, dem war frühzeitig klar, dass seine Aussagen fundamental nicht stimmen können.“ Jeden Monat erschienen unzählige Studien, erklärt er weiter, pro Woche rund 1500 weltweit. „Und um eine solche richtig zu lesen und zu verstehen, sind sicher drei bis vier Stunden notwendig.“ Gerade bei der relevanten Maskenfrage sei ein hoher Anspruch an die Studienqualität zu stellen, was hier „aufs Gröbste verletzt“ werde.

Aus diesem Grund arbeiteten etwa Forschungsinstitute im Team. „Und deshalb braucht zum Beispiel auch die Ständige Impfkommission (Stiko) so lang, bis sie zu neuen Entscheidungen kommt“, erklärt der Wissenschaftler weiter, der selbst mehrere Jahre Teil dieses Expertengremiums war. Dass Lauterbach diese Studien nicht alle allein lesen und analysieren könne, wirft Antes ihm nicht vor. „Viel mehr aber, dass er sich dann dazu so ungefiltert äußert.“

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Was die genannten Punkte ebenfalls deutlich zeigen, ist Folgendes: Karl Lauterbach mag ja Wissenschaftler sein. Aber er ist eben auch Politiker. Was er äußert, darf demnach nicht als rein wissenschaftliche Aussage eines unabhängigen Experten interpretiert werden.

Sehen Sie im Video: Diese Ausnahmen gelten im Herbst bei der Maskenpflicht

FOCUS online/Wochit Sehen Sie im Video: Diese Ausnahmen gelten im Herbst bei der Maskenpflicht

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