Experte gibt Tipps für Angehörige: Wie Sie gut mit Demenzkranken umgehen können
Wenn die Schuhe in den Kühlschrank geräumt werden oder die pensionierte Mutter nachts plötzlich in voller Montur im Flur steht, weil sie zur Arbeit aufbrechen möchte – Angehörige von dementen Menschen werden einige solcher Anekdoten erzählen können. Im Alltag aber können solche Situationen zu Konflikten führen. Der Demenzexperte Michael Schmieder gibt in seinem Buch "Dement, aber nicht vergessen" Ratschläge für den Umgang mit Demenzkranken. Er leitete das Heim Sonnweid in Zürich, das als eine der besten Demenz-Einrichtung weltweit galt. Wir haben die wichtigsten Tipps des Experten zusammengefasst.
Ein guter Umgang mit Demenzkranken ist wichtig, denn die Zahl der Demenzkranken in Deutschland nimmt der Deutschen Alzheimer Gesellschaft (DAlzG) zufolge kontinuierlich zu. Derzeit leben in Deutschland etwa 1,8 Millionen Menschen mit einer Demenz-Erkrankung, die meisten von ihnen sind von Alzheimer betroffen. Alzheimer ist nach dem deutschen Neurologen Alois Alzheimer benannt, der die Krankheit 1906 erstmals wissenschaftlich beschrieben hat. Alzheimer führt zu einem Abbau der Nervenzellen im Gehirn. Die Folge: Gedächtnis- und Orientierungsstörungen, Veränderungen der Persönlichkeit, Störungen im Denk- und Urteilsvermögen sowie Sprachstörungen. Erkrankte können ihren Alltag immer weniger gut alleine bewältigen und benötigen Unterstützung.
Wie diese Art der Hilfe gelingen kann und wann eine demenzielle Erkrankung beginnt:
Demenz
Oskar war 11, als sein Vater Alzheimer bekam: "Es ist echt schwer, durchgehend so auf ihn einzugehen"
Nur vergesslich oder erste Anzeichen einer Demenz
Wenn der Vater ständig sein Handy sucht, den Namen einer Bekannten vergisst oder den Termin beim Hausarzt vergessen hat, machen sich viele Kinder sorgen, ob ihr Elternteil mit dem Alter nur etwas vergesslich geworden ist oder es erste Anzeichen einer Demenz seien könnten. Vergesslichkeit alleine sei noch kein Grund zur Sorge – höchstens ein Ärgernis, schreibt Demenzexperte Michael Schmieder. Erste Anzeichen können es aber sein, wenn sich der Vater gar nicht mehr erinnert, den Hausarzttermin überhaupt ausgemacht zu haben, nachts zur Arbeit aufbrechen will, obwohl er schon länger in Rente ist oder sich auf bekannten Wegen nicht mehr sicher ist, wo es lang geht. Wer vermutet, dass Vater oder Mutter dement seien könnte, sollte eine Art Tagebuch mit den Ausfällen und Vergesslichkeiten führen und sich mit anderen austauschen, um so herauszufinden, ob es nur Schusseligkeiten sind oder einer Erkrankung dahinter steckt.
Für viele Menschen ist es auch schwierig, wenn der Partner oder die Partnerin dement zu sein scheint. Der Experte rät, sich Vorwürfe zu sparen und geduldig zu bleiben. "Reden Sie darüber in einem guten Moment miteinander. Fragen Sie, ob Sie sich auch Angehörigen und Freunden anvertrauen sollten", rät Michael Schmieder. Es sei gut, den oder die Betroffene zu bitten, die Vergesslichkeiten notieren zu dürfen – so lässt sich eine Tendenz erkennen und man kann ein Gespräch beim Hausarzt oder der Hausärztin vorschlagen. Man sollte Partner oder Partnerin darauf vorbereiten, dass ihnen ein Test bevorsteht, um eine demenzielle Erkrankung zu erkennen und auch Besuche bei Fachärzt:innen anstehen.
Weltalzheimertag
Seit 1994 findet am 21. September der Weltalzheimertag statt. In der Woche der Demenz finden viele Aktionen rund um Demenzkranke und ihre Angehörigen statt.
Weitere Informationen zu Demenz und Hilfsangebote finden Sie hier.
Hilfe annehmen und suchen
Demenz betrifft nicht nur die Erkrankten, sondern auch ihre Angehörigen – dazu komme die geringe Anerkennung der Fürsorge, was schnell dazu führe, dass pflegende Angehörige ungeduldig werden oder sie die Situation auch aggressiv mache, schreibt Michael Schmieder. Ein Beispiel: "Wenn Sie mit der Intimhygiene Ihrer Frau überfordert sind – Körperpflege ist nur auf den ersten Blick eine einfache Aufgabe. Es ist normal, dabei an physische oder psychische Grenzen zu stoßen. Der Rollenwechsel vom Partner zum Pflegenden ist schwierig."
Wichtig sei es deshalb, sich rechtzeitig Unterstützung zu suchen. Ein Pflegedienst, der mehrmals am Tag helfe, könne die Lebensqualität aller Beteiligten steigern. Auch ein Essensdienst könne sinnvoll sein. Viele Angehörige möchten, dass ihre erkrankten Verwandten möglichst lange zu Hause bleiben und nicht in einem Heim gepflegt werden. "Wenn Ihre Belastung so stark ist, dass Sie sich wünschen Ihre Partnerin oder Ihr Partner, Ihre Mutter oder Ihr Vater sollte sterben, ist es höchste Zeit für den Eintritt ins Heim", sagt der Experte.
Der Kranke hat immer recht
"Das Leben eines Menschen mit Demenz findet immer im Hier und Jetzt statt, es gibt kein Morgen und kein Gestern, nur dieses kompromisslose Jetzt: Jetzt hat alles zu geschehen. Jetzt essen, liegen, aufstehen, zur Toilette, nach draußen gehen, drinnen sein. Alle Bedürfnisse müssen sofort befriedigt werden", so beschreibt es Michael Schmieder. Dies mache die Betreuung von Demenzkranken sehr anspruchsvoll. Pflegende sollten sich immer wieder klarmachen, dass alle Wünsche, Fehlleistungen und Zumutungen nie aus böser Absicht der Erkrankten geschehen, sondern ein Teil dieser Krankheit sind. Sein Grundsatz im Umgang mit Dementen: "Der Kranke hat immer recht." Denn: Der demente Vater oder die demente Mutter sind davon überzeugt, dass ihre Sicht auf die Dinge die einzig richtige sei und lassen sich nicht belehren. Wer sich das in Erinnerung rufe und nach diesem Grundsatz handle, erspare sich viele unnötige Konflikte, die zu nichts führen.
Was heißt das in der Praxis? Machen Demente einen Fehler, wie Schuhe in den Kühlschrank zu räumen, kann man sie einfach stillschweigend in den Flur stellen. Die demente Person kann die Schuhe nicht als deplatziert im Kühlschrank erkennen, weil der Orientierungssinn verloren gegangen ist. Eine weitere Situation: "Oder die Nachtruhe zu wahren, indem man dem arbeitswütigen Partner vorschlägt, den Wecker auf acht Uhr zu stellen. Nach dem Frühstück sei ja noch Zeit genug, zur Arbeit zu gehen." Stress zu mildern und Ängste zu nehmen sollte laut Michael Schmieder in solchen Situationen im Fokus stehen.
Wenn die Hilfe vom Demenzkranken nicht angenommen wird
Wir alle überspielen in der ein oder anderen Situation, dass wir etwas nicht gut können. Bei dementen Menschen schwinden die kognitiven Fähigkeiten – ein sehr gut nachvollziehbarer Wunsch, das manchmal verstecken zu wollen. Oft würden sich dahinter auch konkrete Wünsche verbergen, wie wieder einmal für die ganze Familie zu kochen, erklärt Schmieder. "Eigene Möglichkeiten zu überschätzen, kann tröstlich sein, wenn der Mensch spürt, dass ihm in so vielen Bereichen des Alltags die Felle wegschwimmen." Der Rat des Experten: Dementen nicht widersprechen, wenn einmal Wunsch und Wirklichkeit vermischt werden. Angehörige sollten sich auf die Träume des Dementen einlassen.
Wenn die Demenz Aggressionen hervorruft
Angehörige beobachten an Demenzerkrankten häufig, dass sie aggressiv werden und sie wissen nicht warum. Der Demenzexperte berichtet aus seiner Erfahrung, was dahinterstecken kann:
- Zu viele Reize prasseln auf den Erkrankten/die Erkrankte ein
- Geräusche von Radio, Fernseher oder Menschen können nicht zugeordnet werden
- Einsamkeit
- Angst
- Schmerzen
Wenn es zu peinlichen Situationen in der Öffentlichkeit kommt
Ungewohnte Umgebungen oder eine Veränderung der Umgebung kann dazu führen, dass Demenzkranke überfordert sind. Mitunter führt das zu peinlichen Situationen in der Öffentlichkeit – wer nur noch im Hier und Jetzt lebe, sage einer Person auch mal direkt ins Gesicht, dass er sie nicht leiden könne, schreibt Michael Schmieder. Konventionen und gutes Benehmen spielen für Erkrankte keine Rolle mehr. Er empfiehlt bei solchen Momenten besser nichts zu sagen. Es sei besser, als etwas Falsches zu sagen. Denn: Demente Menschen würden zwar die Konventionen vergessen, aber bemerken die Reaktionen ihres Umfeldes, was für Stress und Scham sorgen kann.
Angehörige sollten stattdessen besser abwägen, welche Ausflüge noch Sinn hätten. Feste und Feiern würden bei Erkrankten, die sich dem Jubel und Trubel nicht mehr gewachsen fühlen, nur Stress auslösen. Es sei besser, ruhigere Anlässe zu nutzen, um Erkrankten die Welt zu erhalten. Das können Spaziergänge im Wald statt ein Einkaufsbummel in der trubeligen Innenstadt sein. "Und die schönste Geselligkeit, die ich nicht müde werde, allen Angehörigen ans Herz zu legen: Singen Sie zusammen! Egal ob Weihnachtslied oder Schnulze, Musik weckt selbst dann noch die Lebensgeister, wenn das Bewusstsein endgültig entschlafen zu sein scheint", schreibt Michael Schmieder.
Was man über Alzheimer-Demenz wissen sollte
Wenn die demente Mutter ins Krankenhaus muss
Bei der Aufnahme muss das Personal im Krankenhaus unbedingt von der demenziellen Erkrankung unterrichtet werden, damit sie um die Bedürfnisse wissen. Ist ein Eingriff geplant wie eine Operation, ist es am besten, wenn die Klinik eine geriatrische Station hat. Die Geriatrie ist die Altersheilkunde und hier sind Demenzkranke in der Regel am besten aufgehoben. Einige Krankenhäuser haben auch Stationen für Demenzkranke. Ein Krankenhausaufenthalt ob geplant oder ein Notfall sei für Demenzkranke purer Stress, sagt Michael Schmieder. Deshalb sollten Angehörige so lange wie möglich, an der Seite der Erkrankten im Krankenhaus bleiben.
Es ist wichtig, dass die demente Mutter oder der demente Vater möglichst häufig in der Klinik besucht werden – der Experte rät, sich mit anderen Angehörigen und Freunden abzuwechseln. Stellt ein Arzt oder eine Ärztin die Notwendigkeit fest, werden die Kosten für Bett und Verpflegung einer Begleitperson übernommen.
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