Babys kommen mit fehlgebildeten Händen zur Welt: Weitere Fälle aufgetaucht
Drei Neugeborene mit fehlgebildeten Händen innerhalb weniger Monate in einer Gelsenkirchener Klinik. Nun kommen weitere Fälle hinzu. Ist die Häufung zufällig oder gibt es einen Zusammenhang? Mediziner rätseln.
- In einer Gelsenkirchener Klinik wurden innerhalb weniger Monate drei Kinder mit fehlgebildeten Händen geboren
- Auch in anderen Städten gab es mehrere ähnliche Fälle
- Der Grund für die Häufung der Fehlbildungen ist unklar – das Gesundheitsministerium sprach sich für eine rasche Klärung aus
Die Kinder kamen im Sankt Marien-Hospital Buer in Gelsenkirchen zwischen Mitte Juni und Anfang September auf die Welt, wie die Klinik auf ihrer Homepage mitteilte. "Das mehrfache Auftreten jetzt mag auch eine zufällige Häufung sein. Wir finden jedoch den kurzen Zeitraum, in dem wir jetzt diese drei Fälle sehen, auffällig."
Weitere Fälle von Fehlbildungen aufgetaucht
Fehlbildungen dieser Art habe man in der Klinik viele Jahre nicht gesehen, hieß es weiter. Hebammen hatten auf die Fälle aufmerksam gemacht, mehrere Medien berichteten.
Auch im rund 25 Kilometer von Buer entfernten Datteln soll im Sommer ein Kind mit fehlgebildeter Hand zur Welt gekommen sein, wie die Online-Ausgabe der "Recklinghäuser Zeitung" berichtet. Es handele sich nach Angaben der Vestischen Kinder- und Jugendklinik in Datteln um die gleiche Fehlbildung, wie sie bereits in Gelsenkirchen aufgetreten sein soll. Wie die "WAZ" berichtet, wurde auch in Dorsten im Frühjahr ein Junge geboren, der an einer Hand keine Finger hat. Die "Bild"-Zeitung berichtet zudem von einem Fall aus Mülhausen: Dort soll im März 2017 ein Junge ohne linke Hand geboren worden sein. Eine Erklärung hätten die Ärzte nicht gehabt. Zudem sei derzeit eine Frau in Mülhausen schwanger, bei deren Kind bei einem Screening eine Fehlbildung festgestellt worden sei. Das Kind soll Ende September zur Welt kommen.
Gesundheitsministerium für rasche Klärung
Das Bundesgesundheitsministerium von Jens Spahn (CDU) hat sich zurückhaltend zu den Fällen geäußert. Zu den konkreten Fällen lägen keine Erkenntnisse vor, teilte ein Ministeriumssprecher am Samstag in Berlin mit.
"Wenn es eine auffällige Häufung von Fehlbildungen bei Neugeborenen geben sollte, muss das so schnell wie möglich geklärt werden", erklärte er. Das Ministerium begrüße, dass das betreffende Krankenhaus Kontakt zur Berliner Charité aufgenommen habe.
NRW-Ministerium will alle Kliniken abfragen
Nordrhein-Westfalens Gesundheitsministerium will sich derweil einen genaueren Überblick verschaffen. Das Ministerium werde alle Klinken in dem Bundesland abfragen, ob dort ähnliche Fehlbildungen aufgefallen seien, sagte eine Sprecherin der Düsseldorfer Behörde am Samstag auf Anfrage. Man nehme die Berichte über solche Fälle "sehr ernst".
"Darüber hinaus nehmen wir Kontakt mit den Ärztekammern, dem Bund und den anderen Bundesländern auf, um möglichen Ursachen mit aller Sorgfalt nachzugehen." Ob ein Melderegister der richtige Weg sei, gelte es gemeinsam zu prüfen, sagte die Sprecherin des Landesministeriums, das von dem CDU-Politiker Karl-Josef Laumann geführt wird.
Extremitätenfehlbildungen könnten durch Infektionen ausgelöst werden
Chefärztin Claudia Roll findet der Zeitung zufolge fünf Fälle in so kurzer Zeit verdächtig. Nun sei es laut Roll wichtig, herauszufinden, wo weitere Fälle in Nordrhein-Westfalen aufgetreten sind. Dahinter könnten der Medizinerin zufolge Medikamente, Umweltgifte oder auch Virusinfektionen stecken.
Extremitätenfehlbildungen könnten während der Schwangerschaft unter anderem durch Infektionen auftreten, seien insgesamt aber selten, schreibt das Sankt Marien-Hospital Buer. Bei allen drei Kindern in Gelsenkirchen ist jeweils eine der beiden Hände betroffen. An dieser Hand seien Handteller und Finger nur rudimentär angelegt. Der Unterarm sei normal. In der Klinik wurden 2018 nach eigenen Angaben mehr als 800 Kinder geboren. dpa/Marcel Kusch Im Sankt Marien-Hospital in Gelsenkirchen-Buer hat es eine ungewöhnliche Häufung von Neugeborenen mit Handfehlbildung gegeben.
Keine Gemeinsamkeiten feststellbar
Alle betroffenen Familien wohnten im lokalen Umfeld, hieß es weiter. Ethnische, kulturelle oder soziale Gemeinsamkeiten der Herkunftsfamilien habe man nicht feststellen können. "Eine vertiefte Ursachenforschung können wir erst bei Einwilligung der Eltern betreiben", sagte Wolfgang Heinberg, Sprecher des Krankenhausverbundes St. Augustinus, zu der das Marien-Hospital Buer gehört. Die Eltern der Kinder seien eingeladen worden, mit der Klinik Kontakt aufzunehmen. "Wir haben ihnen Begleitung und Unterstützung zugesagt. Da werden wir auch die Frage nach Untersuchungen besprechen."
Die Gelsenkirchener Klinik will die Fälle jetzt in regionalen Qualitätszirkeln der Kinder- und Jugendärzte thematisieren. Auch habe man Kontakt mit Fachleuten der Berliner Charité aufgenommen. Von dort hieß es am Freitag: "Der derzeitige Informationsstand erlaubt weder der Charité noch insbesondere der Embryonaltoxikologie eine inhaltliche Stellungnahme zu diesem Thema." Auch der Deutsche Hebammenverband lehnte am Freitag eine Stellungnahme ab.
"Die Berichte müssen wir ernst nehmen"
Nach Angaben der Klinik gibt es kein bundesweites Melderegister für Fehlbildungen. Auf Bundesländerebene werden Fehlbildungen beispielsweise in Sachsen-Anhalt erfasst. Dort gibt es das sogenannte Fehlbildungsmonitoring, eine seit 1980 bestehende Einrichtung zur Erfassung von angeborenen Fehlbildungen und Anomalien.
Die Institution ist der Medizinischen Fakultät der Universität Magdeburg angegliedert. Nach Beobachtungen der Forschungsstelle entfiel 2017 auf 1127 Geburten eine sogenannte Reduktions-Fehlbildung von Extremitäten. Im Vergleich zum Zeitraum 2005 bis 2016 sei dies eine Verringerung, hatte das Landessozialministerium im November 2018 berichtet.
Fehlbildungen bei Säuglingen müssen aufgeklärt werden
Auch der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister dringt auf Aufklärung. "Die Berichte über Fehlbildungen bei Säuglingen müssen wir ernst nehmen", erklärte Karl-Josef Laumann (CDU) laut einer Mitteilung. "Hierbei helfen allerdings keine Spekulationen. Vielmehr muss den möglichen Ursachen mit der gebotenen Sorgfalt nachgegangen werden."
Am ebenfalls im Ruhrgebiet gelegenen Essener Elisabeth-Krankenhaus, mit mehr als 2500 Geburten pro Jahr eine der größten Geburtskliniken in Nordrhein-Westfalen, gibt es nach Angaben einer Sprecherin keine Häufung von Handfehlbildungen. "Etwa ein Mal im Jahr haben wir ein Kind mit einer Handfehlbildung. Wir können damit nicht von einer Häufung solcher Fälle sprechen", sagte sie auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur.
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