Gestagen-haltige Kontrazeptiva und das Brustkrebsrisiko
Durch die Einnahme kombinierter Kontrazeptiva steigt die Wahrscheinlichkeit, an einem Mammakarzinom zu erkranken, leicht. Doch wie sieht das Brustkrebsrisiko bei reinen Gestagen-Präparaten aus? Ein Forschungsteam analysierte den Zusammenhang zwischen Estrogen-freier Verhütung und dem Risiko eines malignen Brusttumors nun in einer Fall-Kontroll-Studie – eingebettet in eine Metaanalyse.
Die „Pille“ hat seit ihrer Einführung vor mehr als 60 Jahren die Welt verändert und ermöglichte es Frauen, ihre Familienplanung selbstbestimmt zu gestalten. Für kontroverse Diskussionen sorgen aber immer wieder die Nebenwirkungen der Präparate. Mitte der Neunziger zeigte die „Collaborative Group Hormonal Factors in Breast Cancer“, dass orale Kontrazeptiva mit einem leicht erhöhten Brustkrebsrisiko in Verbindung stehen [1]. Damals wurden vor allem kombinierte Präparate mit Estrogen- und Gestagen-Komponente verordnet. Heutzutage bevorzugen Frauen zunehmend rein Gestagen-haltige Mittel, da diese beispielsweise in Bezug auf Thrombosen ein günstigeres Risikoprofil aufweisen. Inwieweit aber die Monopräparate das Risiko für Brustkrebs beeinflussen, ist weniger gut untersucht.
Mehr zum Thema
Risiko bei langjähriger Anwendung auch nach Absetzen erhöht
Brustkrebs durch hormonelle Verhütung?
Hormonelle Kontrazeptiva und Brustkrebs
„Die Pille ist sicher, sie ist es nicht …“
Antibaby-Pille
Wie lange senkt die Pille das Krebsrisiko?
Epidemiologen der Universität von Oxford analysierten deshalb im Rahmen einer eingebetteten Fall-Kontroll-Studie die Brustkrebsfälle im „Clinical Practice Research Datalink“, einer Datenbank mit Zugang zu über 11 Millionen elektronischen Patientenakten [2]. Im Zeitraum von 1996 bis 2017 zählte das Verzeichnis knapp 9.500 Brustkrebsfälle bei Frauen zwischen 20 und 49, denen die Forscher doppelt so viele Kontrollen zuordneten. 44 Prozent der Frauen mit Brustkrebs und 39 Prozent der Kontrollen hatten im Beobachtungszeitraum vor der Diagnose (im Durchschnitt 7,3 Jahre) hormonelle Kontrazeptiva verschrieben bekommen, in zwei Drittel der Fälle immer das gleiche Kontrazeptivum. Während in der jüngeren Alterskohorte bis 29 mehrheitlich (77 Prozent) Kombinationspräparate verordnet wurden, bevorzugte die Mehrheit der 40- bis 49-Jährigen (38 Prozent) orale Gestagen-Monopräparate.
Mammakarzinom-Risiko unabhängig vom Verhütungsmittel
Was sich zahlenmäßig schon abzeichnet, wird durch die statistische Auswertung gesichert: Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau an Brustkrebs erkrankt, erhöhte sich um 33 Prozent (p < 0,001), wenn sie mindestens einmal ein Kontrazeptivum verschrieben bekommen hat. Die Art der hormonellen Empfängnisverhütung beeinflusste das Risiko hingegen nur kaum. Es war sowohl bei kombinierten Kontrazeptiva (um 23 Prozent), reinen Gestagen-Präparaten (um 26 Prozent), injizierbaren Gestagenen (um 25 Prozent) oder Gestagen-haltigen Intrauterin-Systemen (um 32 Prozent) signifikant erhöht. Das Risiko, das von Gestagen-Implantaten (um 22 Prozent) ausging, stieg zwar numerisch an, erreichte aber keine Signifikanz, da sie zahlenmäßig nur gering vertreten waren.
Um noch belastbarere Ergebnisse für die rein Gestagen-haltigen Kontrazeptiva zu erzielen, fassten die Autoren ihre Daten mit bereits publizierten Daten zu einer Metaanalyse zusammen. Die Ergebnisse bestätigten ihre Befunde und offenbarten das signifikant erhöhte Brustkrebsrisiko der oralen (um 29 Prozent) und injizierbaren Gestagene (um 18 Prozent), sowie der Gestagen-Implantate (um 28 Prozent) und -Intrauterinsysteme (um 21 Prozent). Gleichzeitig war das Brustkrebsrisiko der Kontrazeptiva-Einnahme (egal welches) aber nicht dauerhaft erhöht und sank ein bis vier Jahre nach der letzten Verschreibung auf 16 Prozent und verschwand sogar nach zehn Jahren komplett.
Die Blaue Hand – Teil 4
Die „Pille“ und das Thromboserisiko – alles klar, oder?
Neues Estrogen zur Zulassung empfohlen
Können orale hormonelle Kontrazeptiva sicherer werden?
Besser natürlich verhüten?
Zu viele risikoreiche „Pillen“ – AOK hofft auf neues Gestagen-Monopräparat
Dieses Risiko müsse gegen den Nutzen der Präparate, die sichere Empfängnisverhütung, abgewogen werden, so die Autoren. Um die Zahlen in Kontext zu setzen, verweisen sie auf das sehr geringe absolute Brustkrebsrisiko, gerade in jungen Jahren. Nach den Berechnungen der Epidemiologen steigerte die Einnahme eines oralen Kontrazeptivums (egal welches) für fünf Jahre das absolute 15-Jahres-Brustkrebsrisiko einer 16- bis 20-Jährigen von 0,084 Prozent auf 0,093 Prozent, das einer 25- bis 29-Jährigen von 0,5 Prozent auf 0,57 Prozent und das einer 35- bis 39-Jährigen von 2,0 Prozent auf 2,2 Prozent.
Literatur
[1] Collaborative Group on Hormonal Factors in Breast Cancer. Breast cancer and hormonal contracep- tives: Collaborative reanalysis of individual data on 53 297 women with breast cancer and 100 239 women without breast cancer from 54 epidemiological studies. Lancet 1996;347:1713–1727, doi: 10.1016/s0140-6736(96)90806-5
[2] Fitzpatrick D et al. Combined and progestagen-only hormonal contraceptives and breast cancer risk: A UK nested case–control study and meta-analysis. PLoS Med 2023;20:e1004188, doi: 10.1371/journal.pmed.1004188
Quelle: Den ganzen Artikel lesen