Ein Versandhandelsverbot für „kritische“ Wirkstoffe?
Abseits des offiziellen Arzneimittelversandhandels existieren auch unseriöse bis kriminelle Online-Angebote. Nach den Vorstellungen der Landesapothekerkammer Hessen sollte es daher für „kritische“ Wirkstoffe ein Versandhandelsverbot geben. Doch reicht das für den umfassenden Verbraucherschutz aus? Darüber diskutierten die Delegierten beim Deutschen Apothekertag.
Für seine Reise zum diesjährigen Deutschen Apothekertag (DAT) in München packte Otto Quintus Russe auch einige verschreibungspflichtige Arzneimittel ein. Präparate mit den Wirkstoffen Tramadol, Azithromycin oder Trimethoprim hatte sich das Vorstandsmitglied der Landesapothekerkammer Hessen zuvor online besorgt. Dafür musste er auf einschlägigen Internetseiten Fragebögen ausfüllen, seine Postadresse angeben und einige Tage auf die Päckchen warten. Einen tatsächlichen Bedarf hatte er nicht, Apotheker Russe wollte durch seine Testkäufe lediglich erfahren, wie einfach es ist, ohne Arzt- und Apothekerkontakt an Rx-Arzneimittel zu gelangen.
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Als Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu Beginn des DAT den Delegierten virtuell zugeschaltet wurde, nutzte Russe die Diskussionsrunde, um den Minister auf diese unseriösen bis offensichtlich kriminellen Geschäftsmodelle hinzuweisen. Immerhin war es Lauterbach selbst, der sich vor 20 Jahren als Berater seiner Parteikollegin und Amtsvorgängerin Ulla Schmidt auch für die Erlaubnis des Arzneimittelversandhandels einsetzte.
Apotheker Russe hielt dem Minister die bestellten Präparate entgegen, berichtete davon, wie einfach es war, die Fragebögen auszufüllen oder nachträglich zu korrigieren, um starke Schmerzmittel, Antibiotika oder Lifestyle-Präparate zu bestellen. Er hätte auch noch verschreibungspflichtige Schlaf- und Beruhigungsmittel bestellen können. Auch der Bezug der „Pille danach“ war problemlos möglich, ohne dass es zuvor zu einem virtuellen oder geschweige denn persönlichen Kontakt mit einem Heilberufler gekommen wäre. Die Päckchen mit den Arzneimitteln wurden ihm mitunter ohne persönliche Übergabe vor seiner Wohnungstür abgelegt.
Das Problem sei ihm bekannt, an einer Lösung werde gearbeitet – so die Reaktion von Minister Lauterbach. Doch Russe und seine Kolleginnen und Kollegen der Landesapothekerkammer Hessen wollen bei diesem Thema nicht locker lassen. In die aktuelle Hauptversammlung brachten sie daher einen entsprechenden Antrag unter der Überschrift „Wiederherstellung der Arzneimittelsicherheit bei kritischen Wirkstoffen“ ein.
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Demnach soll der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber aufgefordert werden, Fertigarzneimittel mit Arzneistoffen, die ein kritisches Risikoprofil ausweisen, aus Verbraucherschutzgründen vom Versandhandel auszunehmen. Konkret schwebt den Delegierten vor, durch Ergänzung des § 17 Abs. 2b Apothekenbetriebsordnung die Ausnahmen von Arzneimitteln im Versandhandel auszuweiten. „Aus Verbraucherschutzgründen und zum Wohle der Menschen sollten derartige Wirkstoffe nur nach direkten Arzt-Patienten-Kontakt verordnet werden dürfen“, heißt es in der Begründung.
„Das Rx-VV wäre der Königsweg gewesen“, erklärte Russe hierzu. Doch dieses wurde durch die Große Koalition in der vergangenen Legislaturperiode politisch zur Seite geräumt. Russe und die Delegierten aus Hessen sehen dennoch dringenden Handlungsbedarf, um Patienten und Verbraucher vor solchen Online-Angeboten zu schützen. Lässt sich das mit einem Versandverbot, konkret auf „kritische“ Wirkstoffe bezogen, erreichen?
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In der Diskussion über diesen Antrag zweifelten einige daran, obwohl man sich in Ziel und Sache offenbar einig ist. ABDA-Justiziar Lutz Tisch merkte beispielsweise an, dass es immer problematisch sei, Beispiele zu nennen. Dies würde den Anschein erwecken, dass man das Problem für die nicht genannte Wirkstoffgruppen ausschließen könnte. Baden-Württembergs Kammerpräsident Martin Braun fragte, ob ein entsprechendes Gesetz oder eine entsprechende Verordnung nicht zu einer Inländerdiskriminierung führen könnte. Eine andere Wortmeldung wies darauf hin, dass man sich eher mit der „Wurzel des Übels“ beschäftigen müsse, nämlich mit den Fragebögen und nicht unbedingt mit dem eigentlichen Versand der Präparate. ABDA-Justiziar Tisch wies darauf hin, dass es schon einer Selbstbedienung entsprechen könnte, wenn die Hürden bei den Online-Angeboten für den Bezug von Rx-Arzneimittel sehr niedrig sind.
Ein Vorschlag aus den Reihen der Delegierten: Man solle den Dialog mit der Ärzteschaft suchen, um effektiv gegen Geschäftsmodelle vorgehen zu können, die den heilberuflichen Patientenkontakt trivialisieren und die Arzneimitteltherapiesicherheit gefährden. Der Antrag wurde schließlich in einen ABDA-Ausschuss verwiesen.
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