Inzidenz schießt nach oben: Simulator zeigt, wie krass die Zahlen noch steigen können

33.949 Neuinfektionen meldet das Robert-Koch-Institut am Donnerstag – so viele wie noch nie in 24 Stunden. Auch die Sieben-Tage-Inzidenz steigt rasant. In den nächsten zwei Wochen könnten weitere Rekordwerte fallen, wie eine Modellrechnung der Uni Saarland zeigt.

Nach den weitreichenden Lockerungen hielten viele die Corona-Pandemie in Deutschland bereits für beendet. Doch mit dem Herbst kehrte Corona Schritt für Schritt zurück. Am Donnerstag ist die Zahl der täglichen Neuinfektionen mit dem Coronavirus in Deutschland sogar auf einen neuen Allzeit-Rekordwert gestiegen: Die Gesundheitsämter meldeten dem Robert Koch-Institut (RKI) 33.949 Corona-Neuinfektionen.

Der bisherige Rekord hatte bei 33.777 Fällen am 18. Dezember 2020 gelegen. Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz – also die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen einer Woche – liegt nach jüngsten RKI-Angaben nun bei 154,5. Am Mittwoch hatte der Wert 146,6 betragen, vor einer Woche 130,2. Der Chef des RKI, Lothar Wieler, nannte die derzeitigen Ansteckungszahlen „erschreckend“. „Wenn wir jetzt nicht gegensteuern, wird diese vierte Welle wieder viel Leid bringen“, erklärte er am Mittwoch auf einer Pressekonferenz.

Simulation zeigt: Infektionszahlen steigen weiter, wenn wir nicht handeln

Für Experten kommen die derzeitigen Entwicklungen beim Infektionsgeschehen wenig überraschend. Sie prognostizieren schon länger einen schwierigen Winter. Bereits im Sommer hatte der Berliner Virologe Christian Drosten von der Charité in Berlin etwa vor zu viel Sorglosigkeit gewarnt. Damals sagte Drosten, dass er zunehmend besorgt über den Impffortschritt sei. „Hier kommen wir nicht schnell genug voran, obwohl genug Impfstoff zur Verfügung steht. Viele Menschen wähnen sich angesichts einer niedrigen Inzidenz in Deutschland in einem falschen Sicherheitsgefühl.“

Wie hart die kommenden Monate wirklich werden, ist schwer vorauszusagen, da verschiedene Faktoren wie das Verhalten der Menschen und politische Maßnahmen das Infektionsgeschehen stark beeinflussen. Allerdings könnten in den nächsten zwei Wochen weitere Rekordwerte fallen. Das jedenfalls zeigt eine Modellrechnung der Uni Saarland.

Das passiert, wenn wir Corona weiter laufen lassen

Ein Team aus Virologen, Apothekern und Intensivmedizinern hat einen Covid-Simulator entwickelt, der den weiteren Verlauf der Zahl der Neuinfektionen (inklusive Krankenhausbelegung, intensivmedizinische Behandlung, Beatmung, Todesraten) und verschiedene mögliche Szenarien (zum Beispiel die Einführung oder Aufhebung von Kontaktverboten) simulieren kann. Das Modell wird jeden Mittwoch mit neuen Daten angepasst.

Lassen wir Corona mit den aktuell geltenden Regelungen weiterlaufen und verändert sich das Verhalten der Menschen nicht, liegt die Inzidenz in zwei Wochen demnach bereits bei 299,7 – und damit weiterhin deutlich oberhalb des Niveaus des Vorjahres. So meldete das RKI zum 18. November 2020 eine Sieben-Tage-Inzidenz von 139.

 

Wovon es abhängt, wie stark die Zahlen noch steigen

Bei der Zahl der täglichen Corona-Neuinfektionen würde Deutschland in zwei Wochen auf fast 40.000 Fälle kommen. Voraussetzung ist auch hier, dass alles so weiter läuft wie bisher. Die Experten rechnen dann mit 228 Toten am Tag.

 

Thorsten Lehr, der Professor für Klinische Pharmazie an der Universität des Saarlandes ist und den Covid-Simulator maßgeblich mitbetreut, betont aber, dass diese Prognose voraussetze, dass die Reproduktionszahl (R-Wert) in den kommenden Wochen konstant bleibt. „Wenn sich deutlich mehr Menschen impfen, mehr Abstand gehalten wird, Menschen keine Großveranstaltungen mehr besuchen oder die Politik neue Maßnahmen anordnet, würde das Infektionsgeschehen natürlich deutlich eingedämmt“, so Lehr zu FOCUS Online. „Daher habe ich die Hoffnung, dass sich das aktuell beobachtete exponentielle Wachstum ausbremsen lässt.“

Inzidenzen sind nur bedingt mit früheren Wellen vergleichbar

Zudem sind die aktuellen Ansteckungszahlen und Inzidenzen nur bedingt mit denen in früheren Wellen vergleichbar. Da inzwischen immerhin rund 67 Prozent der Deutschen vollständig geimpft sind, kommen bei gleichen oder sogar deutlich höheren Inzidenzen gegenwärtig deutlich weniger Personen ins Krankenhaus oder auf die Intensivstation. Die Impfungen schützen also weiterhin gut vor einem schweren Verlauf.

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  • Das zeigen auch die aktuellen RKI-Daten: So lag am Donnerstag (4. November) die Zahl der in Kliniken aufgenommenen Corona-Patienten je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen – das ist der für eine mögliche Verschärfung der Corona-Beschränkungen wichtigste Parameter – bei einem Wert von 3,62 (Dienstag: 3,29). Zum Vergleich: Den bisherigen Höchstwert gab das RKI hier im vergangenen Jahr um die Weihnachtszeit mit rund 15,5 an.

    So stark könnten die Patientenzahlen in den Kliniken ansteigen

    Allerdings gibt es einige Indikatoren, die darauf hindeuten, dass auch dieser Wert ohne strengere Maßnahmen massiv ansteigen wird. Laut der Modellrechnung der Uni Saarland würden in zwei Wochen, also am 18. November 2020, 13.640 Menschen wegen einer Corona-Infektion in einem Krankenhaus liegen. Im Vergleich zum Vorjahr sind das rund 780 mehr Fälle. Auf den Intensivstationen würden 4162 Menschen mit Corona liegen (Vorjahr laut Simulator-Daten 3569), beatmet werden müssten deutschlandweit 2492 Menschen (Vorjahr laut Simulator-Daten 2022).

     

    Daher dürfte es bei einem weiter rasant zunehmenden Infektionsgeschehen in den Krankenhäusern eng werden. „Bei Inzidenzen von über 200 muss man bei der momentanen Impfquote mit einer Belastung der Intensivstationen rechnen, bei der möglicherweise Verlegungen oder Absagen von verschiebbaren Operationen nötig sind“, sagte der Mathematiker Andreas Schuppert von der RWTH Aachen der „Süddeutschen Zeitung“. Schuppert hatte bereits im Herbst 2020 vorgerechnet, wie sich die Lage auf den Intensivstationen zuspitzen würde. 

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    Besonders hohe Inzidenzen sind dort also immer noch ein enormes Problem. Auch weil die Patienten im Vergleich zur ersten und zweiten Welle im vergangenen Jahr deutlich jünger geworden sind, wie Christian Karagiannidis, leitender Oberarzt an der Lungenklinik Köln-Merheim, die derzeitige Lage auf den Intensivstationen beschreibt. „Dadurch haben sie bessere Überlebenschancen, aber bleiben natürlich auch deutlich länger auf der Intensivstation.“

    Personalmangel belastet Krankenhäuser zusätzlich

    Doch nicht nur wegen besonders hoher Inzidenzen und der längeren durchschnittlichen Belegung von Betten blicken die Krankenhäuser sorgenvoll auf den zweiten Corona-Winter. Verschärft wird die Lage derzeit auch, da die Intensivstationen längst nicht mehr so viel leisten können wie vor einem Jahr. Ihnen macht der Personalmangel zu schaffen, der sich in der Pandemie noch einmal verschärft hat. Viele Pflegekräfte sind nach eineinhalb Jahren Dauerbelastung müde und erschöpft.

    In fast drei Viertel der Krankenhäuser mit Intensivbetten stehen aktuell weniger Intensivpflegekräfte zur Verfügung als noch Ende 2020. Das jedenfalls zeigt eine aktuelle Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts im Auftrag der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) unter 233 Krankenhäusern. Fast neun von zehn Krankenhäusern konnten daher seit Jahresanfang einen Teil ihrer Intensivbetten nicht belegen.

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