Wurde älter, aber nicht die Mädchen, die ich ansprechend fand: Thomas erzählt aus seinem Leben als Hebephiler
Thomas G. ist hebephil – er fühlt sich sexuell angezogen von Mädchen zwischen 11 und 14 Jahren. Deshalb macht er eine Therapie: freiwillig. FOCUS Online hat mit ihm und seiner Therapeutin gesprochen. Über Kinderpornos, zerstörerische Gedanken und den schwierigen Wunsch nach einer eigenen Familie.
Glatte Haut mit erstem Schamhaar, knospende Brüste, schmale Hüften, kaum weibliche Rundungen: Das macht Thomas G. an. Der 45-Jährige findet Mädchen in der Pubertät erotisch. Er ist hebephil.
Dass er anders ist, weiß er seit er Anfang 20 ist. In seiner Kindheit hatte Thomas G. Freundinnen im gleichen Alter. „Mit der Zeit merkte ich aber, dass ich zwar älter wurde, aber nicht die Mädchen, die ich ansprechend fand“, erzählt er.
Er schaute Pornos, trank Alkohol, schämte sich
Die Gefühle verunsicherten ihn. Trotzdem führte er eine mehrjährige Beziehung zu einer jungen, gerade volljährigen Frau. Doch je älter sie wurde, desto weniger Interesse hatte er an ihr. Sie beendeten die Beziehung.
Thomas G. schämte sich. Er hasste sich selbst. Machte die Nächte durch, befriedigte sich während er sich Kinderpornos reinzog. Das machte ihn fertig. „Besonders die Sache mit den Pornos“, sagt er. Dann trank er Alkohol. Und schaute noch mehr Sexstreifen mit Kindern an. Verurteilte sich danach selbst dafür.
Beruflich lief es dagegen gut. Während der Arbeit fand er Ablenkung von den eigenen Gedanken. Vor dem, was ihn erwartete, wenn die Sehnsucht bei Anbruch der Nacht zurückkehrte. Eine Abwärtsspirale ohne Entkommen.
Pädophilie und Hebephilie
Thomas G. leidet unter Hebephilie. Betroffene Personen, wie er, fühlen sich sexuell von Kindern und Jugendlichen angesprochen, deren körperliche Entwicklung bereits Merkmale der Pubertät aufweist. Sie finden eine leichte Schambehaarung, deutliche Brustansätze und Achselhaare, die sich langsam abzeichnen, anziehend.
Pädophile dagegen erregen Kinder mit einem vorpubertären Körperbau. Im Allgemeinen sind die Objekte ihrer Begierde nicht älter als 11 Jahre alt.
„Kinder sind im allerhöchstem Maße schützenswert“
Um zu vergessen, was nicht sein darf, blieb nur die Flucht in die eigene Welt. Sexuell und beziehungsmäßig verkroch er sich in ein Schneckenhaus.
Für Thomas G. war und ist klar: Er könnte keinem Kind etwas antun. „Gerade im persönlichen Kontakt mit pubertierenden Mädchen wird mir immer wieder klar, dass es noch Kinder sind“, sagt der Hebephilie. „Für mich sind, auch wenn es sich für viele Nicht-Betroffene bestimmt unvorstellbar anhören mag, Kinder im allerhöchstem Maße schützenswert.“
Mit den Jahren kam die Einsamkeit. Keiner wusste, welche Last er trug. Niemand, mit dem er reden konnte. Zu groß war seine Angst vor sozialer Ächtung: dass die Freunde von heute die Feinde von morgen werden. Die unerfüllte Sehnsucht nach einer Partnerschaft breitete sich in ihm aus.
Nach dem Therapie-Beginn stand die Polizei vor der Tür
Thomas G. wusste, er braucht Hilfe. Er begab sich in Behandlung. Freiwillig. Ein Präventionsnetzwerk in Ulm, Gruppentherapie für Menschen mit Pädophile und Hebephilie. Vor drei Jahren war das. Kurz nach Therapiebeginn durchsuchte die Polizei sein Haus, fand Kinderpornos. Ein Verfahren folgte. Thomas G. bekam eine Geldstrafe.
Er ließ sich weiter behandeln. Zu seinem Schutz und zum Schutz aller. Denn es gibt Hebephile, denen die Pornos irgendwann nicht mehr reichen. Sie wollen mehr. Echte sexuelle Handlungen mit Kindern.
"Ein Vorurteil, das niemandem hilft, sondern nur schadet"
Elisabeth Quendler ist Koordinatorin des Präventionsnetzwerks „Kein Täter werden“ der Uniklinik Ulm. Früher war sie Kindergärtnerin. Sie hatte Kontakt zu Kindern, die Opfer von sexuellem Missbrauch geworden sind.
Heute ist sie Psychotherapeutin, hat Kontakt zu den Tätern. Oder Pädophilen beziehungsweise Hebephilen, die Täter werden könnten. Und es auf keinen Fall wollen. Menschen wie Thomas G.
Im Gespräch stellt Quendler erstmal klar: Zu Unrecht werden sexuelle Übergriffe auf Minderjährige meist mit Pädophilie gleichgesetzt. „Wenn sich jemand an einem Kind vergeht, können auch Persönlichkeitsstörungen, Konfliktunfähigkeit und bzw. oder andere Umstände schuld sein. Nicht jeder Sexualstraftäter ist pädophil oder hebephil. Auch, wenn die Medien dieses Bild oft suggerieren. Das ist eine gefährliche Vereinfachung der Situation auf Kosten der Betroffenen. Ein Vorurteil, das niemandem hilft, sondern nur schadet.“
Quendler sagt: „Ein Drittel der wegen Kindesmissbrauchs verurteilten Sexualstraftäter ist pädophil. Etwa zwei Drittel nicht.“
Warum steht ein erwachsener Mensch auf Kinder?
Schätzungen gehen davon aus, dass ein Prozent der Männer in Deutschland pädophil sind. Doch warum steht ein erwachsener Mensch auf Kinder? Einige Theorien besagen, dass bei diesen Menschen bestimmte Entwicklungsschritte in der Kindheit nicht abgeschlossen wurden.
Ein Ansatz, der sich in Elisabeth Quendlers Arbeit schon oft bestätigt hat: „Bei vielen meiner Patienten sind bestimmte Ereignisse, die im frühen Kindheitsalter geschehen sind, festgefahren und wiederholen sich immer wieder.“
Endgültig beantworten lässt sich die Frage nach den Ursachen von Pädophilie und Hebephilie nicht. Die Praxis zeigt aber, wer einmal auf Kinder steht, wird das höchstwahrscheinlich für immer tun.
Quendler sagt: „Das wäre, wie wenn ein heterosexueller Mensch plötzlich Gefühle für das eigene Geschlecht entwickeln müsste oder ein homosexueller Mann gezwungen wird, Lust für eine Frau zu empfinden.“
"Viele meiner Patienten berichten mir von schlechten Erfahrungen mit Therapeuten"
Mit der Therapie sollen sexuelle Übergriffe auf Minderjährige und der Gebrauch von Kinderpornos verhindert werden. Die Devise lautet: Eingreifen, bevor es zu spät ist.
Wer Hilfe sucht, bekommt sie hier. Ohne Vorurteile. Einzige Voraussetzung: Die Betroffenen müssen den ersten Schritt wagen und sich selbst an das Netzwerk wenden. So, wie es Thomas G. getan hat.
Diese vorurteilsfreie Behandlung ist nicht selbstverständlich. „Viele meiner Patienten berichten mir von schlechten Erfahrungen mit Therapeuten. Natürlich sind die auch nur Menschen und entsprechend nicht unvoreingenommen. Viele wollen einfach nicht mit Pädophilen oder Hebephilen zusammenarbeiten.“
Quendler sagt: „Es gibt Studien, die beweisen, dass Therapeuten die gleiche Meinung über Pädophile und Hebephile haben wie die Allgemeinbevölkerung.“
Hebephile erleben sich selbst als "unwert" oder "Monster"
Die Kindheit von Thomas G. war schwierig, geprägt von Gewalt und Angst. Emotionen, die schließlich in einem Gefühlswirrwarr endeten, der nicht mehr zu ordnen war, ihn wie eine übergroße Welle verschlang.
Thomas G.: „Ich war nicht mehr in der Lage, klar zu fühlen, Gefühle zu bestimmen oder damit umzugehen.“ Im Sommer 2015 war er am Ende. Keine Seltenheit bei Menschen, die Kinder erregend finden.
„Einige unserer Patienten haben mindestens einen Suizidversuch hinter sich, da sie sich als „unwert“, „gefährlich“ oder als „Monster“ erleben. Sie denken, sie tun sich und der Welt mit dem eigenen Tod einen Gefallen“, erzählt Elisabeth Quendler. Der 45-Jährige hat sich anders entschieden.
Enorme Angst vor der Kontaktaufnahme
Als er mit der Therapie begann, hatte er kein konkretes Bild von dem, was auf ihn zukommen würde. Nur die Hoffnung auf Menschen zu treffen, die ihm helfen – wie auch immer.
Der erste Kontakt war mit enormer Angst verbunden, die Vorstellung, anderen von seiner Neigung zu erzählen, fast unvorstellbar für ihn. „Diese große Hürde machte mir die Kontaktaufnahme lange Zeit unmöglich“, erzählt er. Aber Thomas G. hat es geschafft.
"Wichtig ist, das Selbstwertgefühl zu steigern"
Elisabeth Quendler erklärt, wie die Therapie abläuft: „Wichtig ist, das eigene Selbstwertgefühl zu steigern, zu wissen, dass man auch als Pädophiler oder Hebephiler etwas wert ist. Im Kern geht es darum, die sexuelle Präferenz anzunehmen, mit ihr leben und sie kontrollieren zu lernen“, erklärt Quendler.
Dann liegt der Fokus nicht mehr auf der Sexualität.“ Deshalb werde in der Therapie unter anderem auch an alternativen Verhaltensweisen gearbeitet, die zu langfristiger Zufriedenheit führen.
Eine Alternative zu den Pornos muss dringend her
Wer zur Selbstbefriedung immer wieder Kinderpornos nutzt, trainiert sein Gehirn automatisch darauf, beim Anblick von nackten Minderjährigen beim Sex erregt zu werden.
Der Orgasmus verstärkt das positive Gefühl zusätzlich. Eine Alternative muss her. Sonst besteht die Gefahr, nach einem schlechten Tag oder unangenehmen Erlebnis auf Pornos zurückzugreifen, um herunterzukommen, sich „besser“ zu fühlen.
Quendler sagt: „Früher wurden beispielsweise Katalogabbildungen oder damals legal verfügbare FKK-Heftchen als Masturbationsvorlage genutzt. Heute ist das Internet – ob Darknet, Youtube oder Facebook – meist Quelle solcher Abbildungen und Filme.“
"Zum ersten Mal fühle ich mich wie ein normaler Mensch"
Thomas G. ist von den Pornos weggekommen. Stattdessen trifft er sich jetzt abends mit Freunden, spielt Badminton oder hält dem Druck stand. Hauptsache nicht in die alten Verhaltensmuster zurückfallen, nicht wieder in die Abwärtsspirale geraten. „Zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich mich wie ein „normaler Mensch“, erzählt er stolz. Wenn die Lust kommt, kann er jetzt anders damit umgehen. Auch, weil er gelernt hat, seine Gefühle richtig einzuordnen.
Früher war Wut für ihn nicht als solche erkennbar, sondern nur eine unangenehme Anspannung, die er nicht verstand, nicht zuordnen konnte. Heute weiß er um das Gefühl und kann entsprechend reagieren. Natürlich ist das nur ein Teil der Therapie, ein Puzzlestück des großen Ganzen, des Lebens ohne Kinderpornos.
Wer selbst Anlass zur Vermutung hat, dass bei ihm eine Pädophilie oder Hebephilie vorliegt, kann sich hier Hilfe suchen: https://www.kein-taeter-werden.de/
"Diese Neigung wird bei mir niemals verschwinden"
„Bei mir ist die Neigung so tief verwurzelt, dass sie niemals ganz verschwinden wird“, da ist sich Thomas G. sicher. Dass seine sexuelle Präferenz mithilfe der Therapie, die er immer noch besucht, eines Tages soweit an Bedeutung verliert, dass sie nur noch einen kleinen Teil seines Lebens ausmacht, kann er sich aber gut vorstellen.
„Mein allergrößter Wunsch ist sogar eine eigene Familie zu haben“, sagt er.
Nicht unmöglich, weiß Elisabeth Quendler: „Ich erinnere mich an einen Patienten – ein Akademiker um die 60 Jahre alt – der vor der Therapie mit seiner Pädophilie zwar nicht glücklich, aber straffrei leben konnte. Heute führt er eine Beziehung mit einem gleichaltrigen Mann.“
Eine Chance auf eine Partnerschaft?
Thomas G., so stellte er in der Therapie fest, ist nicht ausschließlich hebephil. Es besteht für ihn noch die Chance, eines Tages Erotik mit einer erwachsenen Frau zu erleben, seine Sehnsucht nach einer Partnerschaft zu stillen.
Bis dahin liegt noch ein weiter Weg vor dem 45-Jährigen. Den Grundstein für sein neues Leben hat er gelegt. Nicht zuletzt, weil er den Mut hatte, sich selbst Hilfe zu holen.
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