Wie der Klimawandel krank macht

Ein Kind, das heute zur Welt kommt, könnte am 71. Geburtstag eine Welt erleben, die im Schnitt vier Grad wärmer geworden ist. Möglicherweise hat es Zeiten erlebt, in denen das Essen knapp wurde, weil die steigenden Temperaturen die Erträge von Mais, Soja und Reis gesenkt haben.

Sein Leben lang hat es Luft eingeatmet, die durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe belastet war und hat deshalb möglicherweise Asthma entwickelt. Möglicherweise hat es mit 71 Jahren auch schon einen Herzinfarkt erlitten, denn das Risiko dafür wird durch verschmutzte Luft erhöht. Es hat mitbekommen, wie sich tropische Krankheitserreger in neue Gebiete ausgebreitet haben. In seiner späteren Lebensphase hat es vermutlich häufiger längere Dürrephasen erlebt und von schweren Überflutungen gehört oder war sogar betroffen von Waldbränden in der Nähe.

Im Alter machen ihm die Hitzewellen besonders zu schaffen, denn dass starke Hitze Senioren besonders stark zusetzt, das hat sich nicht geändert.

Es könnte anders sein

Die Welt, in der das Baby von heute in 71 Jahren leben wird, könnte so aussehen. Sie könnte sich aber auch ganz anders gestalten, wenn die Welt das in Paris vereinbarte Zwei-Grad-Ziel mit aller Kraft umsetzt: Dann hätte das Kind an seinem elften Geburtstag mitbekommen, dass Kanada keine Kohle mehr nutzt. An seinem 21. Geburtstag würden alle Autos mit Verbrennungsmotor in Frankreich verboten. Wenn es 31. wird, würde der Kohlendioxid-Ausstoß der Menschheit unterm Strich bei null liegen. Wichtige Nebeneffekte dieser und weiterer Maßnahmen gegen den Klimawandel: sauberere Luft und sauberes Trinkwasser.

Ein internationales Team von Forscherinnen und Forschern hat im medizinischen Fachblatt „The Lancet“ seinen jährlichen Bericht dazu veröffentlicht, wie der Klimawandel die Gesundheit beeinflusst. Die 2016 gegründete Gruppe besteht aus 120 Experten von 35 verschiedenen Institutionen, darunter die Weltgesundheitsorganisation WHO, die Weltbank und zahlreiche Universitäten. Die Gruppe geht zahlreiche Bereiche durch, in denen Klimawandel und Gesundheit miteinander verwoben sind. Zwei Beispiele:

1. Krankheitserreger profitieren von höheren Temperaturen

Höhere Temperaturen begünstigen die Ausbreitung diverser Krankheitserreger. Dies gilt etwa für die sogenannten Vibrionen. Diese Bakterien finden sich auch in der Ostsee und gedeihen besser in warmem Wasser. Die Zahl der Tage, an denen sich Vibrionen aufgrund der Temperatur in der Ostsee ausbreiten können, hat sich laut Bericht seit den Achtzigerjahren verdoppelt. Im Jahr 2018 waren es 107 Tage, das ist der bisherige Rekord. In Einzelfällen sind sogar Menschen schon an einer Vibrioneninfektion gestorben, die sie sich beim Baden in der Ostsee zugezogen haben.

Verändert sich das Klima, können sich Krankheitserreger und Krankheiten übertragende Stechmücken in Regionen ausbreiten, die für sie zuvor zu kalt waren. Erst vor kurzem wurde beispielsweise bekannt, dass in Deutschland wohl Hunderte Menschen das West-Nil-Fieber hatten. Zuvor war der Erreger hierzulande – abgesehen von einem Fall, bei dem sich ein Tierarzt in Bayern bei der Untersuchung eines Vogels infiziert hatte – nur in seltenen Fällen bei Urlaubern nachgewiesen worden.

Alina Herrmann vom Heidelberger Institut für Global Health, die an dem „Lancet“-Bericht beteiligt war, sagt, aktuell sei das Risiko gering, dass sich in Deutschland neue, durch Mücken übertragene Krankheiten etablieren. „Jedoch hat es in den vergangenen Jahren in Europa schon punktuelle Ausbrüche von tropischen Infektionserkrankungen, wie Dengue- oder Chikungunyafieber gegeben.“

2. Hitzewellen fordern Tausende Todesopfer

Kein Blick in die Zukunft, sondern bereits einer in die Vergangenheit: 2018 erlebte Deutschland einen extremen Hitzesommer. Solche Hitzewellen führen zu Tausenden Todesfällen. Gefährdet sind vor allem Menschen über 75 Jahre, chronisch Kranke und Säuglinge. „Es gibt in Deutschland seit 2017 offizielle Empfehlungen, Hitzeaktionspläne auf kommunaler oder Landesebene zu etablieren, die auf Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation von 2008 aufbauen. Bisher fehlt deren Umsetzung jedoch vielerorts“, sagt Forscherin Herrmann.

Was dem Klima nutzt, kann auch gesund sein

Der Bericht zeigt, welche gesundheitlichen Vorteile zu erwarten sind, wenn Staaten das in Paris vereinbarte Klimaziel einhalten. Beispielsweise ist längst bekannt, dass die Gesundheit profitiert, wenn Menschen häufiger Strecken mit dem Rad zurücklegen, statt Auto zu fahren. Auch weiß man, dass ein Ausbau der Rad-Infrastruktur dazu führt, dass sich mehr Menschen aufs Rad setzen. Mehr Fahrräder bedeuten weniger Autos – und das bedeutet auch: weniger Luftverschmutzung. Das wiederum ist gut für Lunge und Herz-Kreislauf-System.

Gesundheitswissenschaftler Florian Fischer von der Uni Bielefeld meint: „Deshalb kann der Lancet Countdown vielleicht dazu dienen, Klimaschutz immer auch als Gesundheitsschutz zu verstehen.“

Ob die Welt auf dem richtigen Weg ist – die Frage können die Forscher nicht abschließend beantworten. Viele im Bericht festgehaltenen Entwicklungen seien sehr besorgniserregend, schreiben sie. Aber es gebe auch ermutigende Beispiele, so dass verhaltener Optimismus angebracht sei.

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