Was Deutschland von Mali lernen kann

Fatmata Traoré wartet seit gut vier Stunden bei mehr als 30 Grad im Schatten auf eine Impfung für ihre Zwillinge. Mit Dutzenden anderen Müttern und Kleinkindern sitzt sie im staubigen Hof eines Gesundheitszentrums in der Stadt Mopti in Mali. Sie wartet gerne: „Früher sind hier viele Kinder gestorben“, sagt die Ende 30-Jährige. Wann immer es eine Epidemie gegeben habe, hätten viele Mütter ihre Kinder begraben müssen, erinnert sie sich. „Jetzt sind alle Kinder geimpft.“

Impfungen verhindern nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) jährlich zwei bis drei Millionen Todesfälle. Doch in Deutschland und anderen reichen Ländern wird die Skepsis gegenüber Vakzinen immer lauter. Die WHO zählt die mangelnde Impfbereitschaft bereits zu den größten Gesundheitsrisiken der Welt. Die Fallzahlen vermeidbarer Krankheiten wie Masern steigen rasant an.

Bei der Akzeptanz von Impfungen könnte Deutschland wohl etwas von ärmeren Staaten wie Mali lernen. Dort nehmen Menschen Impfungen als Segen wahr, denn viele erinnern sich noch an Zeiten, in denen Kinder an vermeidbaren Krankheiten wie Masern, Pocken oder Tetanus gestorben sind. „Hier hat deswegen keiner Angst vor Impfungen“, erklärt die Ärztin Anne Kodio, die das Gesundheitszentrum in Mopti leitet.

2,5 Millionen weniger Todesfälle durch Masern seit 1980

Der Erfolg von Impfungen ist beeindruckend: Nach der weltweiten Einführung der Masern-Impfung etwa ist die Zahl der Erkrankungen drastisch gesunken. Noch 1980 starben der WHO zufolge rund 2,6 Millionen Menschen an der Viruskrankheit, 2017 waren es noch knapp 110.000. Doch die Zahl der Masernerkrankungen in Europa hat sich zuletzt vervielfacht – von 5273 im Jahr 2016 auf 23.927 im Folgejahr. Die Rückkehr solcher vermeidbarer Krankheiten in Europa sei „ein Weckruf“ und verlange „rasches Handeln“, fordert die WHO.

Die zunehmende Impfmüdigkeit in reicheren Ländern hat Experten zufolge verschiedene Gründe: Manchmal sind Eltern einfach nachlässig und vergessen vorgesehene Impfungen. Andere zweifeln am Sinn der vielen Impfungen. Manche lehnen Vakzine auch rundheraus ab, weil sie ein hohes Risiko für Nebenwirkungen befürchten, auch wenn es dafür keine soliden wissenschaftlichen Belege gibt.

„Die Impfgegner sind eine sehr kleine, aber auch sehr aktive Gruppe“, erklärt Medizinerin Sabine Wicker vom Universitätsklinikum Frankfurt. Die allermeisten Deutschen seien „Impfbefürworter“, so Wicker. Sie ist Mitglied der Ständigen Impfkommission (Stiko), die die Impfempfehlungen für die Bundesrepublik entwickelt. Wenn Menschen krank seien, gingen sie zum Arzt und akzeptierten Therapien, weil sie gesund werden wollten, erklärt Wicker. Bei Impfungen hingegen müsse eine gesunde Person von einer präventiven Maßnahme überzeugt werden.

„Es gibt keine medikamentöse Behandlung ohne das Risiko von etwaigen Nebenwirkungen“, räumt Wicker ein. Sie nutzt das Beispiel Masern, um die Risikoabwägung zu erläutern: Bei einer Erkrankung bekomme statistisch etwa jeder 1000. Patient eine Enzephalitis, also eine Entzündung im Gehirn. Es drohen bleibende Schäden oder gar der Tod. Infolge der Impfung stehe das Risiko bei etwa eins zu einer Million. Wicker bilanziert: „Nicht zu impfen ist das deutlich größere Risiko.“

Bei den meisten Impfungen steht Deutschland noch gut da: Bei Untersuchungen zum Schulbeginn 2016 waren rund 95 Prozent der Kinder gegen Masern, Mumps und Röteln geimpft, wie das Robert Koch-Institut berichtet. Der Anteil der gegen Diphtherie, Tetanus und Polio (Kinderlähmung) geimpften Kinder ist jedoch seit 2006 zurückgegangen und liegt nun unter 95 Prozent. Diese Schwelle erachtet die WHO als Untergrenze, um die Bevölkerung vor neuen Epidemien zu schützen.

In Mali haben Impfkampagnen Zehntausende Kinder vor dem Tod bewahrt

Während Impfskeptiker in Deutschland eher im Bildungsbürgertum zu finden sind, ist es in Mali genau umgekehrt: Überzeugungsarbeit müsse sie nur manchmal bei Eltern ohne jede Schulbildung leisten, um den Nutzen von Impfungen zu erklären, sagt Ärztin Kodio. Impfkampagnen haben in Mali – einem der ärmsten Länder der Welt – Experten zufolge bereits Zehntausenden Kindern das Leben gerettet. Im Jahr 2000 starb dort jedes fünfte Kind noch vor dem fünften Geburtstag, inzwischen ist es laut Weltbank nur noch jedes Zehnte. In Deutschland stirbt etwa jedes 300. Vorschulkind.

Für die 65 Jahre alte Malierin Mamou Sylla ist diese Statistik nicht abstrakt: Vier ihrer sieben Kinder sind bei der Geburt oder als Kleinkinder gestorben. Eine ihrer Töchter litt zudem an Polio und ist seither körperlich behindert. „Ich bin keine Expertin, aber was ich erleben musste, das hat mir genug beigebracht“, sagt sie. Heute hilft Sylla in ihrem Heimatort Baraouéli bei jeder Impfkampagne mit. Sie sagt: „Ich will nicht, dass andere Mütter das Gleiche erleiden müssen.“

Quelle: Den ganzen Artikel lesen