Hodenkrebs bei Hertha-Star Boëtius: Mit zwei Fragen erkennen Sie Ihr Risiko
Bei Hertha-Star Jean-Paul Boëtius wurde ein Hodentumor entdeckt. Unter jungen Männern ist das der häufigste bösartige Tumor. Warum Hodenkrebs so früh auftritt, es keine Vorbeugung gibt, auf welche Symptome Sie achten müssen und wer besonders gefährdet ist. FOCUS online sprach mit einem Experten.
Bei Krebs denken die meisten, dass erst im etwas fortgeschrittenen Alter das Risiko zunimmt. Ganz anders ist das bei Hodenkrebs. Hier liegt das Erkrankungsalter bei 28 bis 35 Jahren, er trifft also Männer, die im Begriff sind, ihr Leben aufzubauen, Karriere zu machen, eine Familie zu gründen.
In der Altersgruppe der rund 30-Jährigen ist Hodenkrebs sogar die häufigste Krebserkrankung. Aktuell werden in Deutschland pro Jahr rund 4000 Neuerkrankungen registriert, und sie nehmen zu, vor allem in nordeuropäischen Ländern.
Die Ursache für die Zunahme von Hodenkrebs liegt Jahrzehnte zurück
Zwar steigt die Anzahl der Krebserkrankungen allgemein, was sich mit der immer höheren Lebenserwartung erklären lässt. Doch bei Hodenkrebs, als Krebs des jungen Mannes, kommt diese Begründung nicht in Frage. „Um die aktuelle Zunahme von Hodenkrebs zu erklären, müssen wir 30 Jahre zurückblicken, denn so lange dauert diese Krebsform, um sich zu entwickeln“, stellt Mark Schrader fest, Chefarzt der Urologie am Helios Klinikum Berlin-Buch und Leiter des Hodenkrebszentrums. Denn bereits vor der Geburt, noch in der Gebärmutter, wird festgelegt, ob später dieser Junge Hodenkrebs bekommen wird oder nicht.
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Mögliche Ursachen für Hodenkrebs: Östrogene aus der Nahrung, der Pille oder dem Trinkwasser
Doch es sei heute schwer, im Nachhinein herauszufinden, was damals diese fatale Veränderung auslöste, bemerkt Mark Schrader. Wissenschaftler wie er vermuten, dass Nahrungsöstrogene eine Rolle spielen könnten, die beim Embryo die Urkeimzellen verändern. Gleiches könnte eingetreten sein durch Medikamente, etwa manche Antibabypillen.
Eine andere Hypothese: Das Trinkwasser könnte teilweise stark mit weiblichen Hormonen aus Medikamenten belastet gewesen sein. Östrogenüberschuss steht also in Verbindung mit einem späteren Hodenkrebsrisiko.
Männer können nicht gegen Hodenkrebs vorbeugen
„Das Risiko, Hodenkrebs zu bekommen, wird also schon vorgeburtlich verankert“, stellt der Experte klar. Mit dem Zeitpunkt der Geburt beginnt sozusagen die Uhr zu ticken, bis sich nach rund 30 Jahren Hodenkrebs gebildet hat.
Wenn Männer erkranken, liegt das also nicht daran, dass sie zu viel geraucht haben oder zu viel Rad gefahren sind. Eine Prävention gegen Hodenkrebs ist also für den Mann nicht möglich.
Zwei deutliche Risikofaktoren für Hodenkrebs
Besonders gefährdet sind Männer, deren Vater bereits Hodenkrebs hatte. „Ihr Risiko ist siebenfach erhöht“, warnt Mark Schrader. Ist der Bruder betroffen, steigt es um das 15fache. Die familiäre Belastung gilt es also in jedem Fall abzuklären: Ist der Vater erkrankt? Ist der Bruder betroffen?
Neben dieser genetischen Komponente von Hodenkrebs ist auch Hodenhochstand ein indirekter Hinweis. Wandert der Hoden nach der Geburt nicht in den Hodensack hinunter, sondern verbleibt in der Leiste, ist das mit einem bis zu 20-fach höherem Hodenkrebs-Risiko verbunden.
„Das gilt für alle Männer, egal ob sich nach der Geburt der Hodenhochstand von selbst reguliert hat, oder der Arzt behandeln musste“, berichtet der Experte.
Hodenhochstand ist die häufigste Anomalie des Urogenitaltrakts, rund zwei Prozent der reif geborenen Jungen sind betroffen, bei den Frühgeborenen jedoch fast jeder dritte.
Symptome bei Hodenkrebs ernst nehmen
Ideal wäre es, wenn Eltern ihrem betroffenen Sohn in der Pubertät darüber informieren würden, nach dem Motto, ‚du hattest einen Hodenhochstand, sei bitte aufmerksam wegen Anzeichen für Hodenkrebs‘.
Diese sind:
- Tastbare Veränderung des Hodens, meist schmerzfrei
- Vergrößerung des Hodens
- Das Gefühl, ein Hoden sei schwerer geworden
„Immer, wenn irgendetwas anders ist als im Vergleich zum zweiten Hoden, kann das ein Anzeichen für einen Hodentumor sein“, warnt Mark Schrader und rät, dann sofort zum Arzt, am besten dem Urologen zu gehen.
Hodenkrebs lässt sich rasch diagnostizieren
Mit Ultraschall lässt sich der Krebs unkompliziert und schmerzfrei entdecken. Eine Blutuntersuchung identifiziert zusätzlich die bei Hodenkrebs typischen Tumormarker. Hat sich der Verdacht Hodenkrebs bestätigt, können MRT oder CT abklären, ob der Tumor bereits Metastasen gebildet hat, etwa im Bauchraum, Lunge, Knochen oder Gehirn.
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Therapie bei Hodenkrebs ist extrem erfolgreich
Die erste Therapieoption ist die Entfernung des erkrankten Hodens, wie es auch die neuen Leitlinien festlegen. Der Tumor wird nun genau untersucht und entschieden, ob noch weiter behandelt werden muss.
„Hier ist besonders positiv, dass seit mehr als 35 Jahren Hodenkrebs sehr gut geheilt werden kann, sogar, wenn bereits Metastasen vorliegen“, betont der Professor Chemotherapie mit einer Kombination aus Cisplatin, Etoposid und Bleomycin sorgt für eine Heilungsrate von über 95 Prozent.
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Um die Belastung durch Nebenwirkungen zu vermeiden, sollte die Therapie jedoch genau auf den Patienten abgestimmt sein, denn in der Vergangenheit bestand oft das Risiko einer Übertherapie. Wer sicher gehen möchte, sollte seinen Arzt darum bitten, einen Experten des nationalen Zweitmeinungsnetzwerk Hodentumoren zu konsultieren, rät der Experte. Jeder dritte Patient mit Hodenkrebstumor (insgesamt 1400 Hodentumor Anfragen 2018) hat im letzten Jahr diese Möglichkeit genutzt.
Vor der Hodenkrebs-Therapie kommen Spermien ins Eis
Bekanntlich ist Chemotherapie höchst wirksam, häufig aber auch mit deutlichen Nebenwirkungen verbunden. So kann die Anzahl der Spermien extrem abnehmen. Urologen raten Patienten deshalb, vor der Chemo Ejakulat einfrieren zu lassen. Kryosperma oder Kryokonservierung des Sperma kann dann später dazu genutzt werden, den Kinderwunsch zu erfüllen. Die Spermien werden bei knapp 200 Grad minus eingefroren und können bis zu 30 Jahre auf diese Weise konserviert werden.
Früher mussten die Patienten das selbst bezahlen. „Seit 2019 übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten der Kryakonservierung von Ejakulat“, nennt Mark Schrader diese positive Änderung.
Nur mit einem Hoden: Nur ein halber Mann?
Die Tatsache, dass bei Hodenkrebs meist einer der beiden Hoden entfernt wird, spielt dagegen für die Fruchtbarkeit keine Rolle, weil der andere Hoden Hormone und Spermien weiter produziert. Stimmlage, Sex und Orgasmusfähigkeit werden davon nicht betroffen. Und falls – wie in sehr seltenen Fällen – beide Hoden entfernt werden mussten und deshalb kaum noch Testosteron gebildet wird, lässt sich das Männlichkeitshormon als Arzneimittel einnehmen, als Hormonersatztherapie.
Übrigens lässt sich der fehlende Hoden durch ein kleines Silikonkissen ersetzen, das in den leeren Teil des Hodensacks implantiert wird. Die Hodenprothese ist eine kosmetische Korrektur, ersetzt jedoch nicht die Hodenfunktion.
Männer sollten regelmäßig ihre Hoden untersuchen
Doch auch wenn es bei Hodenkrebs viele neue, positive Entwicklungen gibt und die Therapie sehr erfolgreich ist: Das alles greift nur, wenn der Krebs früh entdeckt wird und dabei je früher, umso besser. Männer sollten deshalb immer mal wieder ihre Hoden selbst untersuchen. Diesen Hodencheck mit Abtasten empfehlen Urologen allen Jungen über 14 Jahren. Wie wichtig er ist zeigt die Tatsache, dass Hodenkrebs in rund 80 Prozent der Fälle vom betroffenen Mann selbst entdeckt wird, und sogar noch in einem Frühstadium.
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