Herz unter Wasser
Dem 44-Jährigen geht es seit einer Weile nicht mehr gut, als er ins Massachusetts General Hospital in Boston gebracht wird. Vor zehn Monaten begannen seine Schultergelenke zu schmerzen. Ein Rheumatologe untersuchte ihn und spritze ihm ein entzündungshemmendes Mittel in die Schultern.
In den folgenden Monaten fingen auch die Finger- und Kniegelenke des Patienten an, weh zu tun. Der Rheumatologe diagnostizierte eine Fibromyalgie, verschrieb ihm ein Schmerzmittel und verabreichte ihm erneut Spritzen in die Schultern.
Doch der Mann wird immer kränker. Er mag nicht mehr essen, sein Bauch schmerzt. Zudem plagt ihn ein stechender Schmerz in der Brust, der zunimmt, wenn er auf dem Rücken liegt. Er schläft schlecht, er hustet. Manchmal ist er zu erschöpft, um sein Bett zu verlassen. Insgesamt nimmt er in den zehn Monaten rund 18 Kilogramm ab, ohne es zu wollen.
Weil sie sich um ihn sorgt, bringt seine Schwester den Mann schließlich in die Notaufnahme. Dort offenbart ein Bluttest, dass die Zahl der weißen Blutkörperchen viel zu niedrig ist.
Flüssigkeit in der Lunge – und im Herzbeutel
Eine Röntgenaufnahme seines Brustkorbs zeigt ein leichtes Lungenödem, also eine Flüssigkeitsansammlung in dem Organ. Auch zwischen der Lunge und den Rippen sichten die Ärzte mehr Flüssigkeit, als dort sein sollte – Mediziner nennen dies Pleura-Erguss.
Der Patient wird ins Massachusetts General Hospital verlegt. Dort nehmen die Ärzte seine Krankengeschichte genau auf, wie das Team um Sheila Arvikar in einem Fallbericht im Fachblatt „NEJM“ protokolliert.
Der Mann leidet an einer Depression, gegen die er ein Medikament nimmt. Er stammt aus einem afrikanischen Land südlich der Sahara und ist vor 18 Jahren in die USA eingewandert. Seit 15 Jahren hat er das Land nicht mehr verlassen. Laut eigener Aussage hat er einige Jahre lang relativ viel Bier getrunken, damit aber vor etwa 20 Jahren aufgehört. Seit 15 Jahren raucht er auch nicht mehr. In seiner Familie gibt es keine Fälle von Herzkrankheiten, Tuberkulose, HIV, Autoimmunerkrankungen oder Krebs.
Tests auf Grippeviren, HIV und Borrelien
Das Herz des Mannes schlägt zu schnell. Seine Knie und Schultern sind warm und schmerzen, wenn sie gedreht werden. Seine Temperatur liegt leicht erhöht bei 37,7 Grad Celsius.
Verursacht eine Infektion die Beschwerden? Tests auf Grippeviren, HIV und Borrelien sind negativ. Allerdings schlägt ein Test auf Cytomegaloviren an – diese können insbesondere bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem schwere Krankheiten auslösen.
Weitere Untersuchungen des Herzens zeigen, dass sich auch im Herzbeutel, der das Organ umgibt, übermäßig Flüssigkeit angesammelt hat. Ein solcher Herzbeutelerguss kann lebensbedrohlich sein. Ab einer gewissen Menge sorgt die Flüssigkeit dafür, dass sich das Herz nicht mehr richtig mit Blut füllen kann. Dementsprechend kann es auch den Körper nicht mehr ausreichend mit dem lebensnotwendigen Sauerstoff versorgen.
Die Ärzte verlegen den Patienten in die Kardiologie. Am folgenden Tag steigt seine Temperatur auf 39,1 Grad Celsius. Sein Herz rast weiterhin.
Tuberkulose, Krebs, Autoimmunkrankheit?
Die Ärzte saugen aus dem Herzbeutel gut einen halben Liter blutige Flüssigkeit ab, damit das Organ wieder richtig arbeiten kann. Anschließend untersuchen sie die Flüssigkeit, um herauszufinden, was den Herzbeutelerguss ausgelöst hat. Mögliche Ursachen sind unter anderem Tuberkulose, Krebs und Autoimmunkrankheiten.
Ein Test auf Krebszellen ist negativ, auch haben die bisherigen bildgebenden Verfahren keinen Hinweis auf einen Tumor geliefert. Deshalb halten die Ärzte eine Krebserkrankung für unwahrscheinlich.
Das Fieber und der ungewollte Gewichtsverlust könnten auf eine Tuberkulose hindeuten. Doch die Testergebnisse sprechen dagegen, auch passt der Krankheitsverlauf nicht.
Die Mediziner gehen verschiedene rheumatische Erkrankungen durch. Schließlich leidet der Mann neben dem Herzproblem auch an Schmerzen in Schulter- und Kniegelenken, was zum Beispiel typisch ist für eine rheumatoide Arthritis. Jedoch scheinen auch diese möglichen Diagnosen unwahrscheinlich: Die Werte seiner weißen Blutzellen passen hier nicht ins Bild.
Eine Krankheit, die vor allem Frauen trifft
So gelangen die Ärzte schließlich zu einem weiteren Verdacht: Ist der Mann an einem sogenannten Lupus erythematosus erkrankt? Diese Autoimmunkrankheit, bei der die Körperabwehr eigenes Gewebe attackiert, trifft zu 90 Prozent Frauen und ist deshalb nicht unbedingt der erste Verdacht bei einem männlichen Patienten.
Doch der Lupus könnte sämtliche Symptome erklären: die Gelenkschmerzen, das Fieber, die verringerte Zahl weißer Blutzellen – und den Herzbeutelerguss. Denn infolge eines Lupus kann sich der Herzbeutel entzünden, was wiederum zu dem gefährlichen Erguss führt. Weitere Tests bestätigen die Diagnose.
Der Patient erhält zwei Medikamente, die der Autoimmunkrankheit entgegenwirken. Bereits einen Tag später geht es ihm sichtlich besser. Nach seiner Entlassung aus der Klinik wird er weiter in der rheumatologischen Klinik betreut. In den kommenden eineinhalb Jahren setzt er eines der Medikamente ohne ärztlichen Rat ab und senkt die Dosis des anderen. Einige Jahre lebt er gut damit, bis er erneut mit starkem Brustschmerz und Gelenkschmerzen in der Notaufnahme Hilfe sucht.
Quelle: Den ganzen Artikel lesen