Wieder Corona-Solo von Schweden: Jetzt soll die 1G-Regel die vierte Welle stoppen

Seit dem 1. Dezember gilt in Schweden die 1G-Regel. Nur noch Geimpfte sollen Indoor-Veranstaltungen mit mehr als 100 Gästen besuchen. Die vierte Welle ist immer noch auf einem niedrigen Niveau. Wegen 1G? Eine erste Zwischenbilanz.

Für manche ist Schweden das Corona-Bullerbü: Wenige Einschränkungen, viel Freiheit – weitestgehend jedenfalls. Doch die Bilderbuch-Romantik hat auch ihre dunklen Stellen, etwa hohe Todeszahlen in der ersten Welle. Dennoch blicken derzeit wieder viele Menschen etwas neidisch in den Norden. Während Europa von der vierten Corona-Welle schwer getroffen wird, weist Schweden die niedrigsten Inzidenzen des Kontinents auf (um 203, Stand: 17.12.21).

Schwedens Solo gegen die vierte Welle

Unerwartet streng erscheint daher auf den ersten Blick die 1G-Regel, die seit 1. Dezember in dem 10,4-Millionen-Einwohner-Land gilt. Eine Maßnahme, die die Gesundheitsbehörden einführten, bevor die vierte Welle Schweden erfasst hatte – und die mehr Menschen zum Impfen bewegen soll. Was lässt sich nach gut zwei Wochen über den Erfolg sagen?

Für bestimmte Veranstaltungen brauchen die Schweden nun einen Impfnachweis, den Coronapass. Denn das steckt hinter 1G. Genesen oder getestet ist keine Option, wenn sie etwa Theateraufführungen, Konzerte, Nachtclubs und andere Veranstaltungen besuchen wollen, bei denen mehr als 100 Personen zusammenkommen. Dann allerdings zeigt der zweite Blick, dass es so streng doch nicht zugeht: Die Einführung ist für Betreiber freiwillig. Alternativ müssen Veranstalter statt 1G darauf achten, dass die Besucher genügend Abstand halten können.

Seit dem 8. Dezember gelten auch weitere Restriktionen, um das Coronavirus einzudämmen. Die wichtigsten Empfehlungen lauten: Lassen Sie sich impfen, bleiben Sie zu Hause und lassen Sie sich testen, wenn Sie Covid-19-Symptome haben. Zudem gelten die allgemeinen Richtlinien für Ungeimpfte weiter: Sie sollen den Kontakt mit älteren Menschen und Risikogruppen meiden.

So steht Schweden in Corona-Zahlen da

Ein Blick auf die Sieben-Tage-Inzidenz zeigt: Verhindert haben diese Maßnahmen den Anstieg der Neuinfektionen nicht. Die Kurve biegt sich seit Mitte November deutlich nach oben. Doch die Zahlen liegen, auch im Verhältnis, auf einem wesentlich geringeren Niveau als in Deutschland.

Hinsichtlich der Todesfälle gilt es immer einen gewissen Zeitverzug einzuberechnen. Aktuell jedoch liegen die Zahlen hier in Schweden auf einem sehr geringen Niveau – obwohl die Neuinfektionen bereits seit vier Wochen ansteigen.

Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Zahl der Intensivpatienten. In Deutschland sind Mediziner hier sehr alarmiert. In vielen Regionen sind Krankenhausbetten knapp. Seit Ende November steigen die Fallzahlen auch in Schweden an – allerdings weit weniger stark als hierzulande. Aktuell liegen dort 53 Patienten auf Intensivstationen.

Welchen Effekt kann 1G haben?

Jede einzelne Maßnahme trägt ihren Teil dazu bei, Infektionen insgesamt zu verhindern. Um die Corona-Epidemie in Schweden zu kontrollieren, ist es epidemiologisch in jedem Fall sinnvoll, Großveranstaltungen zu regulieren. Je mehr Menschen zusammenkommen, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Infektiöse dabei sind. Geimpfte können das Virus zwar auch weitergeben, aber weniger als Ungeimpfte. Wenn ein ansteckendes Virus dann wiederum nur auf Geimpfte trifft, sind diese vor schweren Verläufen und Tod aktuell sehr gut geschützt – auch noch mit der Delta-Variante. Wie Omikron das Szenario künftig verändern wird, ist bisher unklar.

Noch vor dem Ende des Jahres wird Omikron in Dänemark und Norwegen zur dominanten Variante werden, prophezeien Experten. Im skandinavischen Nachbarland Schweden dagegen ist es aktuell noch ruhig an der Omikron-Front. 51 bestätigte Fälle verzeichneten die schwedischen Gesundheitsbehörden bisher (Stand: Freitagmittag).

Mit der 1G-Regel gelten Geimpfte allerdings im Vergleich zu Genesenen gewissermaßen als besser geschützt. Immunologisch spricht dafür wenig. Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, erklärte kürzlich im Gespräch mit FOCUS Online: Einige Zeit nach der Impfung und der Infektion glichen sich die Kurven der Antikörper an und die Menschen seien sehr ähnlich geschützt.

Klar sei Watzl zufolge, dass die Infektion ebenfalls eine gut schützende Immunität erzeuge. „Sie ist möglicherweise länger anhaltend, weil der Körper sich anders mit dem Virus und mit dem ganzen Virus auseinandergesetzt hat“, sagte der Experte zur immunologischen Erklärung. „Das Immunsystem wurde stärker stimuliert, der Infizierte hat mehr Gedächtniszellen ausgebildet und deshalb halten wahrscheinlich auch die Antikörperspiegel etwas länger.“ Dennoch würde Watzl sich aus Gründen der Sicherheit immer für eine Impfung anstelle der Infektion entscheiden.

Die schwedische Entscheidung für 1G statt 2G lässt sich also recht deutlich als Impfmotivation verstehen. Einen Aufschrei gab es deswegen nicht. Ganz im Gegensatz zu Deutschland herrscht dort offensichtlich keine aufgeheizte Stimmung aufgrund von Corona-Entscheidungen.

Wo Schweden und Deutschland sich unterscheiden

„Niemand hat groß protestiert“, berichtete der ausgewanderte Schweizer Journalist Tobias Keller der Schweizer Nachrichtenseite „Blick“. Es sei natürlich beispielsweise für Sportclubs ein größerer Aufwand, den Einlass ins Stadion zu kontrollieren. Aber der Tenor wäre, „lieber so, als dass man gar kein Publikum“ habe.

Ansonsten setze Schweden weiter mehr auf Empfehlungen, denn auf staatliche Maßnahmen. Es funktioniere, auch weil die Menschen in dem skandinavischen Land in diesem zweiten Corona-Winter sehr strikt zu sich seien, erzählt der Schweizer weiter. Die Menschen dort sähen es als Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Impfgegner habe er noch keine getroffen, die Impfbereitschaft sei ebenfalls hoch.
 

Wo Schweden und Deutschland sich ähneln

In diesem Punkt allerdings hat Schweden im Vergleich zu anderen europäischen Ländern durchaus etwas aufzuholen: Ähnlich wie in Deutschland liegt die Impfquote hier um die 70 Prozent der Gesamtbevölkerung.

Bereits Ende November hatte der Staatsepidemiologe Anders Tegnell nach Erklärungen gesucht, warum die vierte Welle bisher nicht in Schweden angekommen war. Vielleicht, weil die sogenannte Durchseuchung durch die gemäßigteren Maßnahmen in den vorherigen Wellen höher sei als in anderen Ländern Europas. Damit sei die Immunität deutlich stärker als die reine Impfquote. Messen ließe sich das aber kaum.

Einen weiteren Grund für die lange entspannte Corona-Lage sehen Experten auch in der geringen Bevölkerungsdichte. Mit knapp 25 Einwohnern pro Quadratkilometer ist Schweden das am zweitdünnsten besiedelte EU-Land. Allerdings zeigt sich in den Ballungsräumen durchaus eine hohe Inzidenz. In Stockholm liegt die 7-Tage-Inzidenz aktuell um die 245, im touristisch beliebten Dalarna um 270 (Stand: 17.12.21).

„Es gibt viele Theorien darüber“, sagte Tegnell der Zeitung „Dagens Nyheter“, „die Wahrheit ist: Wir wissen es nicht.“

Mehr dazu lesen Sie hier :Vier mögliche Gründe – Keine Maßnahmen, keine vierte Welle: Warum die Fallzahlen in Schweden so niedrig sind

Doch bereits vor drei Wochen prognostizierte der Staatsepidemiologe, dass die Zahlen noch steigen würden. Bisher kamen die Wellen mit Verzögerung immer auch in der schwedischen Corona-Welt an. Er könnte recht behalten.

Aktuell scheinen die Zahlen für den schwedischen Sonderweg zu sprechen – noch. Inwiefern sich tatsächlich auf einzelne Maßnahmen zurückführen lässt, bleibt offen. Menschen agieren unterschiedlich, Gesellschaften funktionieren in jedem Land anders. Wie sich Corona ausbreitet, ist komplex.

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