Sie brauchen jeden Tag 1.200 Schutzmasken: Wie die Heinsberger Ärzte der Corona-Krise trotzen

Vor dem gemeinsamen Gespräch mit Vertretern der Presse tun sie das gleiche wie sofort danach wieder: Die Leiter der drei Krankenhäuser im Kreis Heinsberg telefonieren, um im Schulterschluss für ihre Mitarbeiter in den Kliniken dringend benötigten Nachschub an neuem Schutzmaterial zu besorgen. Dringend gebraucht werden Schutzmasken, Kittel und Desinfektionsmaterial. „Auch unsere Mitarbeiter grasen weiter im Internet, um noch an Material zu kommen“, sagt Heinz-Gerd Schröders, Leiter des städtischen Krankenhauses in Heinsberg. Auf den bisher genutzten Bezugswegen sei schon lange nichts mehr zu bekommen.

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Bei diesem Engagement lassen Schröders und seine Kollegen Jann Habbinga vom Hermann-Josef-Krankenhaus in Erkelenz sowie Stefan Bienert vom St. Elisabeth-Krankenhaus in Geilenkirchen keine Kritik an ihrer bisherigen Lagerhaltung gelten. Auch nicht die von NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann, der angedeutet hatte, die Kliniken hätten nicht ausreichend vorgesorgt. Entsprechend geäußert haben soll sich Laumann bei seinem Besuch in Heinsberg drei Tage, nachdem dort der erste Fall bekannt geworden war.

„Mir ist inzwischen total egal, wo etwas herkommt“

Normalerweise würden in Erkelenz pro Jahr rund 500 Masken des Typs FFP2 oder FFP3 benötigt. „In den ersten drei Tagen nach Ausbruch der Krise haben wir hier jedoch schon 1500 Stück verbraucht“, betont Habbinga. Gerade einmal 260 pro Krankenhaus seien derzeit offiziell vom Land geliefert worden, alles andere organisieren die drei Krankenhausleiter selbst. Benötigt werden derzeit im Kreis Heinsberg täglich rund 1200 Masken, zusätzlich 7500 Stück Mund-Nasen-Schutz, 4000 Kittel und 150 Liter Desinfektionsmittel.

„Übers Wochenende haben wir noch genug“, sagt Habbinga. Lieferungen seien angekündigt, aber ob die ankämen, sei nicht sicher, weiß auch er von beschlagnahmter oder gestohlener Ware zu berichten. „Mir ist inzwischen total egal, wo etwas herkommt. Wir brauchen es einfach!“, betont er und fährt schon etwas ungehalten fort: „Ich verstehe langsam nicht mehr, warum wir uns hier in der am stärksten betroffenen Region alleine um Material kümmern müssen, inzwischen schon selbst mit Herstellern telefonieren. Das kann nicht unsere Aufgabe sein!“, empört er sich und fordert er ein entsprechendes zentrales Krisenmanagement auf Landesebene. Außerdem würden die Preise, die derzeit für das Material bezahlt werden muss, stetig steigen. Vom drei- bis vierfachen des sonst üblichen Preises sprechen die Krankenhausleiter.

Die Forderung ist klar: Das Personal in den Kliniken arbeitet mit viel Engagement, wünscht sich aber, dass die Menschen jetzt wirklich zu Hause bleiben, um eben nicht im Krankenhaus versorgt werden zu müssen „HS be strong“, heißt der Slogan im Kreis Heinsberg, Mit „HJK be strong 2“ muntert sich das Team des Hermann-Josef-Krankenhauses in Erkelenz auf.

Nicht weniger ärgere sie, dass die aus den Krankenhäusern im Kreis Heinsberg immer wieder Richtung Bezirksregierung und Ministerium kommunizierten Ideen für eine Verbesserung der Situation erst gar nicht gehört würden. Es gebe immer noch Krankenhäuser im Land, die ganz normal weiter operieren würden. Wenn dort die verschiebbaren Eingriffe heruntergefahren würden, könnte entsprechendes Material jetzt im Kreis Heinsberg zur Verfügung stehen. „Und wenn wir die Krise überstanden haben, könnten wir woanders helfen“, so Habbinga.

Alle drei fühlen sich in ihrem Kampf nicht ausreichend unterstützt. Schröders zitiert aus einer E-Mail der Bezirksregierung von dieser Woche, in der ihm mitgeteilt wird, dass die Bezirksregierung kein Material habe und ihn auch bei der Beschaffung nicht unterstützen könne.

„HS be strong“, heißt der Slogan im Kreis Heinsberg

Für die Arbeit von Landrat Stephan Pusch, Heidrun Schößler, der Leiterin des Kreisgesundheitsamts und dem Krisenstab unter der Führung von Philipp Schneider finden sie dagegen nur Lob. Nicht nur dort, sondern auch im Kreis der Mitarbeiter und überhaupt im Landkreis herrsche ein großes Gefühl der Solidarität untereinander. „Übermenschliches“ würden alle Mitarbeiter in den Krankenhäusern leisten. „Und früher, als man hier reagiert hat, hätte man gar nicht reagieren können“, sagt Habbinga. Als Beispiel nennt er Kindergärten und Schulen, die schon am Tag nach der ersten bekanntgewordenen Infektion geschlossen worden seien.

Und auch, wenn die Bettenkapazität im Kreis Heinsberg mit 3,4 pro 1000 Einwohner eine niedrige sei, habe man sich in allen drei Häusern der Situation sofort angepasst, pflichtet ihm Schröders bei. 16 Betten für Infektionsschutz sehe der Bettenplan Nordrhein-Westfalens für den Kreis Heinsberg vor. Vorgehalten würden derzeit in Heinsberg jedoch schon 47 sowie in Erkelenz und Geilenkirchen jeweils 30. Auch hier fordern alle drei jedoch ein zentrales Management. Für die Verteilung der Patienten mit Bedarf an Intensivpflege gebe es sie seit dieser Woche, gesteuert durch einen Arzt in einer Klinik in Köln-Merheim. Aber auch für die Patienten, die nach der Erstbehandlung verlegt werden müssten, sei eine zentrale Bettenkoordination unbedingt notwendig, um eben die Erstbehandlung in Krisenherden weiterhin garantieren zu können, so Habbinga.

Von links: Stefan Bienert, Jann Habbinga und Heinz-Gerd Schröders, die Leiter der drei Krankenhäuser im Kreis Heinsberg, agieren in engem Schulterschluss und fordern mehr überregionale Koordination

„Das ist ein Fehler im System!“, betont auch Landrat Stephan Pusch mit Blick auf die aktuelle Situation in der Versorgung mit Schutzmaterial. „Wenn wir aus der ganzen Situation eine Lehre ziehen wollen, dann ist es die, dass wir in Bezug auf Produktion und Lagerhaltung dieser Materialien uns nicht mehr von anderen Ländern abhängig machen dürfen“, sagt er. Im Kreis Heinsberg herrsche eine große Solidarität, wiederholt er den Slogan „HS be strong“, den hier inzwischen jeder kennt. „Aber wir brauchen das Land für eine zentrale Versorgung mit allem notwendigen Material und für eine zentrale Bettenzuweisung!“, betont auch er. 

In Berlin wird der Hilferuf aus Heinsberg gehört, das betonen die Behörden immer wieder. Eine erste Reaktion soll per Nothilfe durch die Bundeswehr kommen. Zur Bewältigung der Lage wollen die Streitkräfte – das bestätigten sie am Freitagabend der Deutschen Presse-Agentur – zwei Beatmungsgeräte und rund 8000 Kittel zu Verfügung stellen. Zudem sollen 3000 Atemschutzmasken der Stufe FFP2 geschickt werden – wie sie während der Behandlung und Pflege von Coronavirus-Patienten getragen werden sollen – sowie 15.000 Mund- und Nasenschutzmasken.

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