Mitten in vierter Welle: Warum sinken jetzt die Corona-Zahlen?

Weniger Menschen stecken sich mit dem Coronavirus an. Inzidenzen, aktive Fälle, Positivrate sinken. Dass die Corona-Zahlen sich gerade positiv entwickeln, ist zwar keine Trendwende – aber eine Chance.

Gerade verliert die vierte Welle an Wucht. In den letzten Wochen fingen sich weniger Menschen das Coronavirus ein. Gleich mehrere Indikatoren zeigen aktuell ein positives Bild. Allerdings gibt es ein paar Schatten, die es trüben.

Warum die Zahlen sinken, hat mehrere Gründe. Welcher sich davon wie stark auswirkt, lässt sich schwer beziffern. Die Experten des Robert Koch-Instituts (RKI) schreiben dazu im wöchentlichen Lagebericht: „Die derzeitige Entwicklung könnte auf einen Rückgang des Sommerreiseverkehrs, eine Abnahme der im Rahmen des Schulanfangs diagnostizierten Infektionen sowie auf die breite Einführung der 2G- beziehungsweise 3G-Regeln zurückzuführen sein.“

Faktor Reisezeit: Immer weniger Menschen steckten sich im Ausland an. In der Woche vom 23. bis zum 29. August waren es noch fast 9000 Menschen, in der Woche vom 6. bis zum 12. September waren es knapp 3000, in der vergangenen Woche nur gut 2000. Die häufigsten genannten Länder im RKI-Bericht waren der Kosovo und die Türkei.

Unter anderem deswegen stiegen die Corona-Zahlen über den Sommer. Ein Effekt, der nun wieder abnimmt. Das Infektionsgeschehen findet zunehmend wieder innerhalb Deutschlands statt. Reiserückkehrer spielen keine große Rolle mehr.

Faktor Schulanfang: Dieser hängt teilweise mit der Urlaubszeit zusammen. Einerseits haben einige Rückkehrer die Infektion mitgebracht. Andererseits entdeckten ausgeweitete Tests (auch asymptomatische) Infektionen frühzeitig. Von Mitte August bis Anfang September haben demnach die Ausbrüche in Kitas und Schulen zugenommen. Noch ließen sich die dann folgenden Wochen nicht zuverlässig bewerten, schreiben die RKI-Experten. Der Ferieneffekt beginnt aber sich an den Schulen zu relativieren, nachdem nun überall der Unterricht wieder startete. Im Bericht heißt es, seit Anfang August 2021 nehme der Anteil der 15-20 Jährigen und der über 20-Jährigen ab, die aufgrund von Schulausbrüchen übermittelt würden.

Faktor 2G- und 3G-Regeln: Dazu, wie sich diese Maßnahmen auswirken, liefert das RKI keinerlei Informationen.

Wenn auch die Impfquote in Deutschland nicht mehr rasant steigt, so lassen sich dennoch täglich etwa 200.000 Menschen gegen das Coronavirus impfen. Das wirkt sich zusätzlich positiv auf die Zahlen aus. In sozialen Medien kursiert nun häufig die Vermutung: Die Zahlen sinken, weil die Geimpften nicht mehr getestet werden – und weniger Tests schlicht zu weniger entdeckten Neuinfektionen führen. Tatsächlich lag die Zahl der durchgeführten Tests in den vergangenen drei Wochen auf einem ähnlichen Niveau: 946.403 (KW35), 1.005.179 (KW 36), 960.979 (KW 37). Gleichzeitig sank die Positivenrate (siehe unten), es gab weniger unerkannt Infizierte.

Die konkreten Zahlen im Überblick:

Die Sieben-Tage-Inzidenz in Deutschland ist erneut gesunken. Das Robert Koch-Institut (RKI) gab den Wert der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche am Freitagmorgen mit 62,5 an. Tendenziell geht die Zahl also die dritte Woche zurück. Am Vortag hatte der Wert bei 63,1 gelegen, vor einer Woche bei 74,7. Die Gesundheitsämter in Deutschland meldeten dem RKI binnen eines Tages 9727 Corona-Neuinfektionen. Vor einer Woche hatte der Wert bei 11.022 Ansteckungen gelegen.

Wichtig: Inzwischen sinken auch bei den über 60-Jährigen die Inzidenzen. Nur in der Altersgruppe ab 80 Jahren gibt es noch keinen Rückgang, das Wachstum ist aber gestoppt.

Im Vergleich zur Vorwoche zeigt sich insgesamt ein Minus von 17,4 Prozent im 7-Tage-Schnitt. Science Media Center Germany Die Inzidenzen sinken trotz steigender Zahl durchgeführter Tests. Auch in der Altersgruppe ab 60 Jahren sinkt die Inzidenz jetzt.

Der Wochenvergleich der Deutschlandkarte zeigt ein helleres Bild und weniger rote Kreise. RKI-Lagebericht vom 23.09.2021 Die geografische Verteilung der Fälle der aktuellen Woche und der Vorwoche ist in Abbildung 3 dargestellt. Gleichzeitig ist nach wie vor ein deutlicher Ost-West-Unterschied festzustellen: Die Fallzahlen in sieben Bundesländern nahmen zwischen drei und 26 Prozent ab und in sieben Bundesländern zwischen zwei und 40 Prozent zu.

Zahl aktiver Corona-Fälle sinkt

Ein weiterer Parameter, der Hoffnung macht, ist die Zahl der aktiven Fälle. Das fünfte Mal in Folge fiel diese – zum ersten Mal seit Beginn der vierten Welle Anfang Juli. Im Vergleich zur Vorwoche zeigt sich ein Minus von 8,3 Prozent im 7-Tage-Schnitt.

Testpositivenrate ist gesunken

Noch vor gut vier Wochen sprachen die Experten des Robert Koch-Instituts von der besorgniserregenden vierten Welle. Ein Grund dafür waren die Positivenanteile. Sprich, wie viele der durchgeführten PCR-Tests ein positives Ergebnis liefern.

Diese Testpositivrate ist in der vergangenen Woche leicht gesunken. In der Woche vom 30. August bis zum 5. September zeigten 8,7 Prozent der durchgeführten Tests ein positives Ergebnis, in der Woche vom 6. bis zum 12. September waren es acht Prozent, in der vergangenen Woche 7,5 Prozent. Das bedeutet auch, dass die Dunkelziffer kleiner geworden ist. Es haben sich also weniger Menschen unbemerkt angesteckt.

Zahl der Intensivpatienten stagniert

Als relativ stabiler Pandemie-Indikator zählt die Zahl der Intensivpatienten. Denn – auch wenn sich das Geschehen dort mit einer gewissen Verzögerung zeigt – die Patientenzahl ist unabhängig davon, wie die Teststrategie ansonsten aussieht. Aktuell behandeln Intensivmediziner rund 1500 Menschen mit Covid-19 – in etwa genauso viele wie in der Woche zuvor.

Science Media Center Germany Die Zahl der Covid-19-Fälle auf den Intensivstationen sinkt wieder. Ein weiterer Rückgang ist durch die sinkenden Inzidenzen zu erwarten.  

Doch genau an dieser Stelle beginnt das große ABER. Denn von Entspannung sprechen Intensivmediziner und Pflegekräfte keineswegs. „Wir erleben aktuell eine 5-mal höhere Hospitalisierung und behandeln 5-mal mehr Intensivpatienten als vor einem Jahr, übrigens bei ähnlicher 7-Tage Inzidenz“, schreibt etwa die München Klinik auf Twitter.

Vergleichbares schildert Infektiologe Christoph Spinner vom Klinikum rechts der Isar. „Die Situation ändert sich spürbar“, berichtet der Mediziner im FOCUS-Online-Talk. Aufgrund der zahlreichen Covid-19-Patienten stünden bei ihnen die knappen Intensivkapazitäten nicht für andere Kranke zur Verfügung.

Auch die Todesfallzahlen gilt es im Auge zu behalten. Im RKI-Bericht heißt es: „Nachdem die Zahlen über einige Wochen auf niedrigem Niveau schwankten, nehmen sie seit MW 30 wieder leicht zu.“

Es ist noch keine Trendwende

Leider haben wir die vierte Welle noch nicht gebrochen, sagte Epidemiologe Ralf Reintjes FOCUS Online kürzlich. „So sehr wir alle – auch ich – es uns wünschen, dass die aktuelle Covid-19-Welle ihren Höhepunkt erreicht haben könnte und wir das Abflachen der Kurve der gemeldeten Fälle begrüßen, so müssen wir doch realistisch bleiben“, erklärt der Professor für Epidemiologie und Gesundheitsberichterstattung von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg.

Aus infektionsepidemiologischer Sicht spreche leider sehr vieles dafür, dass es sich derzeit um die „Ruhe vor dem Sturm“ handele.

Unsere Chance auf einen entspannten Winter

Ein weiterer starker Anstieg sei unter Umständen jedoch noch zu verhindern, sagte Epidemiologe Timo Ulrichs vor einer Woche – nämlich, wenn konsequent auf Abstands- und Hygienemaßnahmen geachtet werde und 2G-Regeln gelten. „Dann könnte es auch sein, dass wir damit ganz gut durch Herbst und Winter kommen", erklärte der Mediziner und Professor, der an der Berliner Akkon Hochschule lehrt und forscht.

Dass sich die Entspannung bei den Corona-Zahlen nun schon eine Woche länger fortsetzt, macht Hoffnung.

Je geringer das Infektionslevel insgesamt in der Bevölkerung ist, desto besser kommt Deutschland durchs Winterhalbjahr. Denn einig sind sich Experten darin: In den kalten Monaten werden die Fallzahlen steigen, weil das Virus sich besser verbreiten kann.

Darum liegt in der aktuellen Corona-Lage eine Chance: Deutschland gewinnt Zeit, um die Impfquote zu steigern. Ganz besonders relevant wäre das in der Gruppe der über 60-Jährigen. Von ihnen sind noch 3,4 Millionen ungeimpft, obwohl sie ein sehr viel höheres Risiko für eine schwere Erkrankung haben als Kinder und Jugendliche.

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