Gericht stoppt AOK-Antibiotika-Ausschreibung
Das hatte sich die AOK Baden-Württemberg anders vorgestellt: Im vergangenen September startete sie eine Rabattvertragsausschreibung für fünf antibiotische Wirkstoffe. Das Novum: Es sollte nicht einfach der günstigste Anbieter zum Zuge kommen, sondern auch die Lieferkette sowie der Umwelt- und Arbeitsschutz sollten bei der Zuschlagserteilung berücksichtigt werden. Das gefiel nicht allen Herstellern, einige stellten Nachprüfungsanträge bei der Vergabekammer des Bundes. Sie bekamen nun Recht. Doch die AOK gibt nicht so schnell auf.
Gerade die AOKen mit ihrer Vorliebe für exklusive Rabattverträge standen immer wieder in der Kritik, wenn es um die Suche nach Schuldigen für Lieferengpässe und die Abwanderung der Arzneimittelindustrie nach Asien geht. Dabei ist klar, dass die Engpässe viele Ursachen haben. Und im vergangen Sommer überraschte die AOK Baden-Württemberg, die nach wie vor federführend die bundesweiten AOK-Rabattverträge verantwortet, mit einer neuen Art der Ausschreibung. Fünf Antibiotika schrieb sie gesondert aus. Nicht nur der Preis sollte eine Rolle spielen. „Wir lassen erweiterte Zuschlagskriterien einfließen wie etwa Länge der Lieferkette, Umweltaspekte und die Einhaltung örtlicher Vorgaben des Arbeitsschutzes“, erklärte Johannes Bauernfeind, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg, im vergangenen September.
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Doch mehrere Hersteller gingen gegen die Ausschreibung vor und erhielten vor der Vergabekammer des Bundes Recht. Deshalb, so teilt die AOK nun mit, konnten von den fünf ausgeschriebenen Antibiotika nur zwei Wirkstoffe vollständig bezuschlagt werden. „Wir werden in den noch laufenden Verfahren in die nächste Instanz gehen“, kündigt Bauernfeind an. „Es ist nicht akzeptabel, dass Hersteller Ausschreibungskriterien angreifen, die die Pharma-Lobby und Politiker mehrerer Parteien seit langer Zeit selbst gefordert hatten.“
Die Vergabekammer des Bundes hat den Herstellern insbesondere zugestanden, dass das Zuschlagskriterum der „geschlossenen Lieferkette“ nicht zulässig ist. Zuschlagskriterien verfolgten den Zweck, die Angebote aufgrund der vom Auftraggeber gewählten Kriterien zu vergleichen, um auf dieser Grundlage das für den Auftraggeber wirtschaftlichste Angebot zu ermitteln, heißt es in den Beschlüssen. Insoweit könne ein Auftraggeber unstreitig auch ökologische und soziale Aspekte bei den Zuschlagskriterien berücksichtigen. Allerdings genüge die von der AOK gewählte Umsetzung ihrer Intention nicht den vergaberechtlich gebotenen Anforderungen.
Bauernfeind: Gesetzgeber muss handeln
Bauernfeind sieht jetzt den Gesetzgeber am Zug. Er müsse die Vergabepraxis reformieren. „Versorgungssicherheit und Umweltschutz dürfen nicht auf der Strecke bleiben, die Politik darf sich nicht von Lippenbekenntnissen steuern lassen, mit denen die Industrie ihre rein finanziellen Interessen kaschiert“, fordert der AOK-Chef.
Wie die AOK in ihrer Pressemitteilung betont, müssen antibiotische Wirkstoffe unter strengeren Auflagen für den Umweltschutz hergestellt werden als bisher. Denn wenn sich multiresistente Keime über Industrieabwässer ausbreiteten, sei die Wirksamkeit von Antibiotika gefährdet. Umweltschutzorganisationen und die Weltgesundheitsorganisation WHO wiesen seit Jahren auf die Gefahr von multiresistenten Keimen hin. „Wir möchten unseren Beitrag dafür leisten, dass Infektionen auch künftig wirksam mit Antibiotika behandelt werden können“, sagt Bauernfeind.
Erweiterte Vorratshaltung für Hersteller und Großhandel nötig
Die AOK sieht aber noch Reformbedarf über das Vergaberecht hinaus. Nötig sei auch eine erweiterte Lagerhaltung bei Herstellern und Großhandel. „Wir fordern die Vorhaltung eines Quartalsbedarfs wichtiger Arzneimittel, um produktionsbedingten Verzögerungen, Unfällen in Produktionsstätten oder möglichen Exportstopps entgegenzuwirken. Zudem müssen für alle Wirkstoffe auf europäischer Ebene eine staatliche Mindestreserve vorgehalten und ein harmonisiertes Lieferengpass-Register angelegt werden“, so Bauernfeind. Das soll dazu beitragen, langfristig eine größere Unabhängigkeit Europas in der Arzneimittelversorgung zu erreichen.
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