Erkältungswelle bei Kindern besorgt Eltern – Mediziner sieht das „total positiv“
Laufende Nasen, Husten, Heiserkeit: Die Erkältungszeit ist da und das mitten im Juli. Viele Kinderärzte haben derzeit alle Hände voll zu tun. Besorgt ist Kindermediziner Jakob Maske deshalb allerdings nicht – im Gegenteil.
Volle Kinderarztpraxen, besorgte Eltern: Eine Erkältungswelle mitten im Sommer trifft derzeit offenbar viele Kinder. Husten, Schnupfen und Fieber machen die Runde und das zu einer für Erkältungskrankheiten unüblichen Zeit. "Wir haben jetzt im Juli eigentlich nie so viele kranke Kinder wie aktuell", sagt die Nürnberger Kinderärztin Sarah Merkel etwa gegenüber BR24. Der ganze Winter sei sehr ruhig gewesen.
Dominik Ewald, Vorsitzender des Bayerischen Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, stellt ebenfalls eine starke Zunahme von Infekten unter seinen Patienten fest: "In einem normalen Winter haben wir pro Tag etwa 60 bis 70, in Ausnahmefällen auch mehr Kinder mit Infekt in der Praxis. Neulich hatte ich an einem Sonntag im Bereitschaftsdienst allein 90", erklärt er Nordbayern.de.
Mehr Kontakte, mehr Erkältungssymptome
Auch Jakob Maske beobachtet einen für die Sommermonate ungewöhnlichen Anstieg von Erkältungsinfekten in seiner Praxis in Berlin-Schöneberg. Der Kinderarzt ist Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte(BVKJ). "Es ist natürlich nicht ganz verwunderlich, weil die Kinder und Jugendlichen wieder anfangen, mehr soziale Kontakte zu haben und dann gehen natürlich auch die Infekte wieder nach oben – auch Infekte, die wir normalerweise zu dieser Zeit nur sehr selten oder überhaupt nicht sehen", erklärt der Kinderarzt im Gespräch mit FOCUS Online.
Besonders ein Virus tritt derzeit nach Zahlen des RKI häufig auf: das Respiratorische Synzytial-Virus (RS-Virus). Dies sei ein normaler Erkältungserreger, "nach dem man normalerweise nicht suchen würde", ordnet Kinderarzt Maske ein. "Die Gefährdung dadurch ist nicht vergleichbar mit der durch Corona oder die Grippe."
RS-Virus kursiert unter Kindern – aber "wir sehen sehr wenig schwer kranke Kinder"
Normalerweise würden Erkältungsinfekte im Juli so gut wie gar nicht vorkommen. Die Verschiebung vom Winter in den Sommer könne auf die Corona-Maßnahmen zurückzuführen sein, so Maske. "Der Schutz durch die Corona-Maßnahmen war offenbar so stark und so gut, dass dieses Virus gar keine Chance hatte im Winter, aufzutreten." Dass jetzt vor allem RS-Viren offenbar wieder vermehrt im Umlauf sind, besorgt den Kinderarzt jedoch nicht: "Wir sehen sehr wenig schwer kranke Kinder. In der Regel sind es leichte Erkältungsinfekte."
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Generell sei es wichtig, dass Kinder jetzt wieder mehr Infekte durchmachten, betont Maske, weil dadurch das Immunsystem in eine Richtung moduliert werde, die sich positiv auswirke gegen Allergien. "Das sehen wir total positiv und so versuchen wir es den Eltern auch immer zu vermitteln: Es sind harmlose Infekte, nur die ersten sind unter Umständen mal fieberhaft, aber ansonsten sind es harmlose Infekte der oberen Luftwege, die mit schweren Erkrankungen nichts zu tun haben."
Viele Kita-Kinder kämpfen ständig mit Schnupfensymptomen
Viele berufstätige Eltern stellen die vielen Erkältungsinfekte vor organisatorische Herausforderungen. Bei jedem Husten oder Schnupfen besteht die Sorge, es könnte sich um Covid-19 handeln. In Kitas und Kindergärten sollten in den vergangenen Monaten nur Kinder betreut werden, die symptomfrei sind. Nicht wenige Einrichtungen haben Kinder mit laufenden Nasen konsequent nach Hause geschickt.
Dabei sei es normal, dass Kinder gerade im ersten Kindergartenjahr bis zu zehn bis fünfzehn Infekte im Jahr durchleben, sagt Kinderarzt Jakob Maske. "Die dauern alle drei bis vier Wochen. Wenn wir jetzt 15 mal vier rechnen, kommen wir auf sechzig Wochen in einem Jahr, das nur 53 hat. Da sieht man schon, dass diese Kinder eigentlich rund um die Uhr eine Schnoddernase haben, die eigentlich nie weggeht", erklärt der Berliner Mediziner. "Im zweiten Jahr ist es dann schon ein bisschen besser."
Bei Corona-Verdacht sollte auch weiterhin ein Test gemacht werden, sagt Maske. "Aber da reicht, wenn das Kind krank ist, eigentlich ein Schnelltest. Und wenn der negativ ist, macht man eigentlich auch nichts weiter."
Wann kranke Kinder zum Arzt müssen
Durch die Schnelltests ist die erste Diagnostik in diesem zweiten Pandemie-Sommer zumindest etwas einfacher möglich als im letzten Sommer. Damals war es ebenfalls zu einer Verschiebung der Erkältungssaison gekommen war. Heute können Eltern auch dank kostengünstiger Schnelltests schon zu Hause mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschließen, ob eine Corona-Infektion vorliegt. Jakob Maske Jakob Maske ist Kinderarzt in Schöneberg und Berliner Pressesprecher des Berufsverbandes der Kinder und Jugendärzte (BVKJ).
Fällt der Schnelltest negativ aus, müssten Kinder mit normalen Erkältungssymptomen Jakob Maske zufolge nicht unbedingt zum Arzt. Nur bei bestimmten Altersgruppen mahnt er zu Vorsicht: "Sehr kleine Kinder bis zwei, drei Monate, würden wir natürlich auch bei einem harmlosen Infekt sehen wollen. Bei älteren Kindern können Eltern auch erst einmal abwarten." Nur wenn es den Kindern schlecht gehe, wenn sie schlapp seien, nicht mehr essen und trinken würden, dann sollten die Eltern sie auch sofort vorstellen, erklärt Maske.
"Und natürlich dann, wenn Fieber länger anhält. Unsere Schmerzgrenze liegt da so bei drei bis vier Tagen. Und natürlich auch, wenn das Fieber besonders hoch ist", führt der Mediziner aus. "Nicht, weil wir Angst vor dem Fieber haben. Sondern weil das besonders hohe Fieber gelegentlich ein Hinweis darauf ist, dass es sich um eine bakterielle Entzündung handelt und nicht um eine virale. Und das muss behandelt werden."
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Dürfen die Kinder auch mit Schniefnase mit Freunden spielen?
Trotz Entwarnung in Sachen Erkältungswelle fragen sich viele Eltern: Darf ich denn mit meinem Kind auf den Spielplatz gehen, wenn die Nase läuft? Kann ich mein Kind guten Gewissens mit anderen spielen lassen, obwohl es gelegentlich hustet? Aber auch da gibt Jakob Maske grünes Licht: "Mit Kindern ohne Fieber darf man gerne rausgehen, die dürfen auch gerne in die Kita gehen."
Die RS-Viren, die jetzt vermehrt auftreten, seien nur für spezielle Gruppen von Kindern gefährlich, zum Beispiel für extrem früh Geborene. Diese könnten jedoch durch eine passive Impfung auch geschützt werden.
Mediziner: "Schulen nicht gleich wieder zu machen"
Mit Blick auf die kommenden Monate ist Kinderarzt Maske vor allem eines wichtig: "Dass wir trotz dieser vielen leichten Infekte, die jetzt da sind, gelassen bleiben und Kitas und Schulen weiter offenlassen und nicht in Panik geraten und sie gleich wieder zu machen."
Denn trotz der befürchteten starken Corona-Verbreitung unter Kindern und Jugendlichen im Herbst hält Maske die Rückkehr zum Präsenzunterricht mit Hygienemaßnahmen und Testen für alternativlos: "Kinder sind eine relativ sichere Gruppe. Sie erkranken meistens nicht, wenn sie sich mit Corona infizieren. Das gilt auch für die neuen Virusvarianten." Über das Ausmaß von Langzeitfolgen, Long Covid genannt, wisse man zwar noch nicht genug. "Wir sehen jedoch bisher bei Kindern und Jugendlichen weitaus mehr negative Folgen von Isolation und Pandemiemaßnahmen als von Corona und Long Covid."
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