"Manchmal bin ich nachts von den Schreien der dementen Bewohner aufgewacht"
In Spanien muss man ein sehr gutes Abitur haben, um Pflege studieren zu dürfen, die Wertschätzung ist meiner Meinung nach höher als in Deutschland. Doch für junge Menschen ist es fast unmöglich, eine feste Stelle zu finden. Viele meiner Mitstudenten sind deshalb ins Ausland gegangen, vor allem nach England, aber auch nach Deutschland. So kam ich gemeinsam mit ein paar Freunden und Freundinnen aus Cadiz, wo ich vier Jahre studiert hatte, nach Hamburg.
Das erste Jahr war sehr schwer. Die Agentur, über die ich gekommen war, hatte mir eine Stelle in einem Altenheim vermittelt, etwas außerhalb der Stadt. Wir waren vier Spanierinnen und wohnten in dem Heim. Unsere Zimmer waren genau so eingerichtet wie die der Bewohner. Die Betten, die Bettwäsche, das Bad, alles gleich. Manchmal bin ich nachts von den Schreien der dementen Bewohner aufgewacht, deren Station direkt unter uns lag. Morgens konnte ich mit dem Aufzug quasi zur Arbeit fahren. Unsere private Wäsche durften wir nicht dort waschen, es hieß, wir könnten das doch im Waschsalon in Hamburg machen. Zeitlich war das aber gar nicht zu schaffen. Wir haben uns dann einen Schlüssel zum Waschraum "organisiert" und heimlich während der Nachtschichten gewaschen.
stern-Aktion – für eine Pflege in Würde!
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In der Früh- und Spätschicht waren nur eine ausgebildete Pflegekraft und eine Helferin zuständig für 35 alte Menschen. Das ist Wahnsinn. Wir haben sie gewaschen, angezogen, gelagert, mobilisiert, Medikamente gegeben, aber auch den Kaffee gereicht, die Spülmaschine ein- und ausgeräumt. Für Übungen, damit die Menschen wieder selbstständiger werden oder gar Reden, blieb nicht viel Zeit.
Einmal erlitten im Spätdienst drei Bewohner innerhalb von nur einer Stunde einen Verdacht auf Herzinfarkt. Wir haben die Notärzte angerufen, die Betroffenen unterstützt, mussten nebenbei aber noch 32 andere Menschen versorgen. Die Diabetiker etwa brauchen rechtzeitig Insulin und ich war als examinierte Pflegerin die einzige, die das machen durfte.Normalerweise wechseln wir in der Spätschichte bei den inkontinenten Bewohnern dreimal die Windeln, um 16 Uhr, um 18 Uhr, um 21 Uhr. Damit sie nicht wundliegen. In Diensten wie diesen schaffst du höchstens zwei Runden.
Auch die Dienstpläne waren hart. Wir hatten maximal 5-7 freie Tage pro Monat und erhielten für Nachtschichten nicht den angemessenen Zeitausgleich. Netto habe ich dort 1400 Euro verdient, das waren mehrere Hundert Euro weniger als deutsche Kräfte. Die Begründung war, dass wir noch eingearbeitet werden.
Ich hoffe, dass alle Kollegen, die in einer ähnlichen Situation sind, ein starkes Team haben, so wie ich es damals hatte. Denn nur so kann man es schaffen. Ich habe ins Krankenhaus gewechselt, zunächst auf eine onkologische Palliativstation und dann in ein onkologisches Zentrum. Die Personalsituation ist hier viel besser.
Über die Aktion:
Es geht um Ihre Kinder, Eltern und Großeltern, um unser aller Zukunft. Wir brauchen gute Pflege. Früher oder später. Deutschland altert schnell, und immer mehr Menschen sind im Alltag auf professionelle Pflege angewiesen. Doch in den Krankenhäusern, Heimen und bei den ambulanten Diensten herrscht ein enormer Pflegenotstand. Überall fehlen Pflegekräfte, weil die Arbeitsbedingungen schwer zumutbar sind und das Gehalt zu niedrig. Wir alle sind davon akut bedroht: Pflegekräftemangel führt zu schwereren Krankheitsverläufen, mehr Komplikationen und Todesfällen. Unsere Politiker:innen finden seit zwei Jahrzehnten keine wirksame Gegenmaßnahme. Es braucht einen ganz großen Wurf, um den Pflegekollaps noch aufzuhalten. Unser Umgang mit dem Thema Pflege entscheidet darüber, wie menschlich unsere Gesellschaft im 21. Jahrhundert bleibt.
Hier können Sie die Pflege-Petition ab dem 14.1.2020, 9 Uhr, online mitzeichnen.
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