Wasser im Ohr – wie gefährlich ist das und wie geht’s raus?

Die Haut ist warm, die Haare riechen nach Chlor, die Tasche ist voll mit Sand und das Ohr gefüllt mit Wasser. So muss es nach einem gelungenen Sommertag sein. Zeit für etwas Gymnastik: Man stelle sich auf ein Bein, lehne den Kopf zur Seite und beginne, mit einem Ohr in Richtung Boden geneigt auf dem einen Bein zu hüpfen, bis Wasser aus dem Ohr läuft. Im Sommer wird das Badezimmer schon mal zur Zirkusmanege, doch das Theater hat durchaus seine Berechtigung.

„Wasser selbst ist erst mal kein Problem für das Ohr“, sagt Roland Laszig, Direktor der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde von der Uni-Klinik Freiburg. „Krank machen kann es aber, wenn es verdreckt ist.“ Dann droht eine Entzündung im äußeren Gehörgang. Übeltäter sind meist Bakterien, denen Chlor und auch Salz nichts anhaben können. Sie tummeln sich in nahezu allen Gewässern, sind in Schwimmbädern aber besonders häufig.

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Unter normalen Umständen wären die Bakterien unproblematisch für ein gesundes Ohr, das Wasser aber greift zusätzlich die Schutzfunktion des Hörorgans an. Es sammelt sich vor dem Trommelfell in einer kleinen Kuhle und erleichtert Bakterien den Zugriff. „Durch das Wasser weicht die Haut auf“, erklärt Laszig. „Die Bakterien können dann ungestört ins Gewebe eindringen.“ Zusätzlich schwächt die Flüssigkeit im Ohr eine zweite wichtige Schutzvorrichtung: das Ohrenschmalz.

Drüsen im äußeren Gehörgang sondern die zähe Flüssigkeit ab, die dann gleich mehrere Aufgaben übernimmt. Ohrenschmalz weist Wasser ab, befeuchtet die Haut und trägt Schmutz, abgestorbene Hautzellen und Fremdmaterialien aus dem Ohr. Durch seinen bitteren Geschmack schreckt es viele Bakterien und Insekten ab, außerdem enthält es ein Enzym, das Mikroorganismen abtötet.

Entzündetes Ohr: In der Vertiefung vor dem Trommelfell sammelt sich das Wasser

Von allen Menschen, die sich im Sommer in Schwimmbädern, an Badeseen und am Meer Wasser ins Ohr spülen, hat aber nur eine Minderheit Probleme mit einem entzündeten Gehörgang. Laut einer Auswertung der US-Gesundheitsbehörde leiden in den USA unter 1000 Patienten, die eine Ambulanz oder Notfallstation aufsuchen, im Schnitt acht unter einem entzündeten Ohr, also 0,8 Prozent. Wie viele der Menschen erkranken, weil sie Wasser im Ohr hatten, ist allerdings unklar. „Es fällt aber schon auf, dass im Sommer mehr solche Patienten in die Klinik kommen“, berichtet Laszig. Das bestätigen auch die Daten aus den USA.

Wie Sie das Wasser wieder aus dem Ohr rauskriegen

In jedem Fall sollte man das Wasser nach dem Baden wieder aus dem Ohr befördern. Dazu ist fast alles erlaubt: hüpfen, drehen, auf die Seite legen oder Unterdruck im äußeren Gehörgang erzeugen. Letzteres funktioniert am besten, indem man die flache Hand auf das Ohr presst und wieder loslässt. „Das Einzige, was absolut untersagt ist, ist sich irgendwelche Gegenstände oder Wattestäbchen ins Ohr zu stecken“, warnt Laszig. „Sie sind auch für die alltägliche Pflege völlig überflüssig.“

Die Stäbchen befördern das Ohrenschmalz und damit auch Bakterien und Staub tiefer ins Ohr, wo sich langfristig ein Pfropf vor dem Trommelfell bilden kann, der vom Arzt entfernt werden muss. „Das Ohrenschmalz fließt immer nach außen“, sagt Laszig. „Schiebt man es zurück, arbeitet man gegen die Natur des Körpers. Das ist so gut wie nie gesund.“ Es reiche völlig aus, den Ausgang mit der Spitze eines Handtuchs oder eines Taschentuchs sauber zu halten.

Besonders vorsichtig sein mit Badewasser sollten Personen, deren Ohren bereits beschädigt sind. „Aufpassen mit Wasser müssen vor allem Menschen mit einem undichten Trommelfell“, sagt Laszig. Bei ihnen können das Wasser und mit ihm die Bakterien auch ins Mittelohr laufen. Betroffene sollten sich daher extra schützen, etwa durch Ohrstöpsel, und vorsichtshalber zum Arzt gehen, wenn sich doch eine Entzündung anbahnt.

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Auch, wer nach dem Baden schon öfter eine Gehörgangentzündung hatte oder häufig und lang im Wasser ist, kann vorsichtshalber Ohrstöpsel tragen. Zusätzlich oder als unabhängige Vorsichtsmaßnahme lassen sich die natürlichen Schutzfunktionen des Ohrs mit sogenannten Tauchertropfen stärken. Sie bestehen in der Regel aus dem Alkohol Glycerin und Essigsäure. „Glycerin ist wasserabweisend und schützt so das Ohrenschmalz und die Haut“, erklärt Laszig. „Die Säure erzeugt ein ungemütliches Umfeld für Bakterien.“

Wer seinem Ohr sonst noch etwas Gutes tun möchte, sollte es laut dem Experten am besten in Ruhe lassen. „Das meine ich wortwörtlich“, so Laszig. Zwar ist der Zusammenhang zwischen hoher Lärmbelastung und Hörschäden noch nicht eindeutig nachgewiesen. Es spricht aber vieles dafür. „Auf einem Rockkonzert lässt sich Lärm nicht vermeiden“, sagt der Experte. „Den MP3-Player muss man aber nicht unbedingt aufdrehen.“ Und auch ein nasses Ohr muss man, entgegen einem viel zitierten Ratschlag im Internet, nicht zwingend mit einem lauten Föhn trocken blasen.

Fazit: Wasser im Ohr ist in der Regel unproblematisch, nur sollte es nicht zu lange drin bleiben. Rausschütteln, -hüpfen oder mithilfe von Unterdruck herausbefördern ist erlaubt. Den Gehörgang mit Wattestäbchen bearbeiten dagegen strengstens verboten.

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