Pharmakonzern geht juristisch gegen Homöopathie-Kritiker vor
„Im besten Fall verspricht Homöopathie einen Placeboeffekt und ist ein Missbrauch von knappen Mitteln, die besser für Behandlungsmethoden verwendet werden sollten, die wirken“: Mit dieser Begründung beschloss der britische Gesundheitsdienst NHS im Jahr 2017, die Kosten für Globuli nicht länger zu übernehmen. Auch in Frankreich überprüfen Behörden die Wirksamkeit von Homöopathie. Pharmaunternehmen fürchten, dass nun auch das Homöopathie-Geschäft in Deutschland leiden könnte.
Der bekannte Hersteller Hevert schrieb Ende Mai auf Facebook: „Mit Sorge sieht Hevert, dass in anderen Ländern wie England erst Lobbygruppen mit Diskreditierungen und danach die Politik mit gesetzlichen Einschränkungen gegen Homöopathie vorgehen. Damit dies nicht auch in Deutschland, dem Mutterland der Homöopathie geschieht, geht Hevert nun auch auf juristischem Weg gegen ungerechtfertigte Diskreditierungen von Homöopathie durch Lobbygruppen vor, die auch dem Unternehmen Hevert schaden können.“
Das Unternehmen hat inzwischen ernst gemacht. Hevert fordert unter anderem die bekannte Homöopathie-Kritikerin Natalie Grams auf, sich strafbewehrt zu verpflichten, nicht länger zu behaupten, die Wirksamkeit von Homöopathie gehe „nicht über den Placebo-Effekt hinaus“. Sollte sie diese Erklärung wie gefordert abgeben, droht ihr bei Verstoß eine Vertragsstrafe von 5100 Euro. Grams hat die Aufforderung in sozialen Netzwerken veröffentlicht.
Konkret geht es um ein Interview mit der „Rheinpfalz“, in dem Grams auf die Frage: „Machen wir es kurz: Wirken Homöopathika?“ antwortete: „Nicht über den Placebo-Effekt hinaus.“
Hevert weist dies als falsche Tatsachenbehauptung zurück, wie der Hersteller gegenüber dem SPIEGEL mitteilte. „Die von Frau Dr. Grams in der Rheinpfalz geäußerte Behauptung – Homöopathika wirkten nicht über den Placebo-Effekt hinaus – ignoriert sowohl wissenschaftliche Erkenntnisse aus Studien als auch staatliche Zulassungsverfahren, wie beispielsweise die Nachweispflicht der Wirksamkeit von homöopathischen Arzneimitteln in verschiedenen Indikationen beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (Bfarm).“
Zulassung von Homöopathika
Tatsächlich müssen Homöopathika zugelassen werden, wenn sie mit einer Indikation verbunden sind, also auf der Verpackung beispielsweise steht: „Die Anwendungsgebiete leiten sich von den homöopathischen Arzneimittelbildern ab. Dazu gehören: Akute Entzündungen des Hals-, Nasen- und Rachenraums“. Anders als bei anderen Arzneien reicht für den Wirksamkeitsnachweis aber ein sogenannter Binnenkonsens. Das heißt, es ist ausreichend, wenn Homöopathen die Wirksamkeit bezeugen und sich die Hersteller beispielsweise auf das Homöopathische Arzneibuch berufen.
Nur wenn es um die Behandlung schwerer Erkrankungen geht, wären Studien Voraussetzung für eine Zulassung. Bisher ist aber noch kein homöopathisches Arzneimittel zugelassen worden, bei dem sich der Antragssteller auf eine „zum Beleg der Wirksamkeit geeignete Studie berufen hätte“, schreibt das Bfarm im Jahresbericht 2017/2018.
Die Grundsätze der Homöopathie: Das Verfahren wurde vor rund 200 Jahren von Samuel Hahnemann entwickelt. Er ging davon aus, dass Krankheiten mit Wirkstoffen geheilt werden, die bei Gesunden Symptome hervorrufen, die denen des Patienten ähneln. Diese Wirkstoffe, zum Teil giftige Substanzen wie Quecksilber, werden wiederholt in Flüssigkeit verdünnt. Die Annahme der Homöopathie: Durch Schütteln vor der Verdünnung wird die Kraft des Wirkstoffs verstärkt. Homöopathische Mittel sind unter anderem als Flüssigkeit oder Salbe verfügbar oder als sogenannte Globuli – Zuckerkügelchen, auf welche die verdünnten Lösungen gesprüht wurden. Die Verdünnungen sind oft so hoch, dass sich im fertigen homöopathischen Mittel kein einziges Molekül des Wirkstoffs befindet.
Studien, die die Wirksamkeit von Globuli belegen sollen, gerieten immer wieder in die Kritik. Der Pharmakonzern Hevert wies beispielsweise vor kurzem über Facebook auf eine Untersuchung hin, die belegen soll, dass Homöopathie Schmerzen bei Gelenksblutungen mindert. Allerdings bekamen Probanden in der Studie neben Globuli und Urtinktur aus Zaubernuss auch Paracetamol und sollten ihre Beine ruhighalten und kühlen. Eine Vergleichsgruppe gab es nicht. Welche Behandlung am Ende wirkte, lässt sich so nicht eindeutig bestimmen.
Eine wissenschaftliche Frage juristisch beantworten
Dennoch: Juristisch gesehen ist der Wirksamkeitsnachweis erfüllt, selbst wenn sich Homöopathen diesen quasi selbst attestieren können. Der ebenfalls von Hevert abgemahnte Apotheker und Gesundheitswissenschaftler Gerd Glaeske hat die Unterlassungsabmahnung deshalb unterschrieben. Er hatte in einer ARD-Sendung gesagt „bei homöopathischen Mitteln fehlt bisher grundsätzlich bei allen Mitteln, die homöopathisch daherkommen, ein Wirksamkeitsnachweis“. Zugleich betonte er gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“, wissenschaftlich gesehen sei ein Zirkelschluss als Wirksamkeitsnachweis nicht akzeptabel.
Tatsächlich scheint Hevert zu versuchen, eine wissenschaftliche Frage juristisch zu beantworten. Wie weit der Hersteller dabei gehen wird, ist unklar. Bisher sei es bei den beiden Abmahnungen geblieben, teilte das Unternehmen dem SPIEGEL mit. Der Journalist Bernd Kramer, der unter anderem für die „taz“ schreibt, veröffentlichte jedoch einen Brief, in dem Hevert ihn auffordert, „Homöopathie abwertende Äußerungen in jeder Form, einschließlich von Veröffentlichungen zukünftig zu unterlassen“. Hevert selbst spricht von einem „konstruktiven Austausch“ mit dem Journalisten.
Sogar die Techniker Krankenkasse (TK), die die Kosten für Homöopathie teilweise übernimmt, sagte 2017 gegenüber dem SPIEGEL: „Wir haben keinen Wirksamkeitsnachweis für die Homöopathie vorliegen.“ Die Barmer teilte mit: „Die Homöopathie ist eine wissenschaftlich nicht anerkannte, aber beliebte und verbreitete alternativmedizinische Behandlungsmethode.“ Müssen am Ende auch die Krankenkassen mit einer Klage rechnen?
Für Homöopathie-Kritikerin Grams steht fest: Sie wird die Abmahnung nicht unterzeichnen. „Autoren oder Ärzte per Klagedrohung anzuhalten, den Stand der Wissenschaft zu verleugnen, ist eine Chuzpe, die einen mit offenem Mund dastehen lässt“, schrieb sie bei Twitter. Grams war früher selbst homöopathische Ärztin, gehört aber inzwischen zu den bekanntesten Kritikerinnen in Deutschland.
Zusammengefasst: Der Arzneimittelhersteller Hevert geht mit Unterlassungsabmahnungen gegen Homöopathie-Kritiker vor. Die bekannte Ärztin und Autorin Natalie Grams wird darin aufgefordert, nicht länger zu behaupten, die Wirksamkeit von Homöopathie gehe „nicht über den Placebo-Effekt hinaus“. Sonst drohe eine Vertragsstrafe von 5100 Euro. Grams weist die Aufforderung zurück. Sie lasse sich nicht dazu zwingen, den Stand der Wissenschaft zu verleugnen.
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