Glücklich werden mit dem ABC-Prinzip: Warum ältere Menschen am zufriedensten sind
Es sind vor allem die älteren, die glücklich sind. Das hat „Glücksforscher“ Tobias Esch herausgefunden. Er erklärt aus neurobiologischer Perspektive, wie sich das Glücksempfinden im Laufe eines Lebens wandeln kann.
„Glücklich sein“ – das wollen die meisten von uns. Doch was bedeutet Glück überhaupt? Und wie kann man den Zustand des vollkommenden Glücks erreichen? Bei der Definition von Glück spalten sich sicherlich die Meinungen. Während die einen Glück als Überbegriff für Gesundheit, Sorgenlosigkeit und Wohlstand sehen, definieren die anderen Glück als anhaltendes Gefühl der Zufriedenheit. Sogar die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten definiert The Pursuit of Happiness, übersetzt „Glücksstreben“ als übergeordnetes, erstrebendes Ziel des Lebens.
Glücklich werden ist biologisch bedingt
Doch wie entsteht Glück im allgemeinen Kontext? Das neu entwickelte ABC-Modell von Tobias Esch, Institutsleiter und Professor für Integrative Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung an der Universität Witten/Herdecke, beschreibt, wie sich das Glückempfinden im Laufe unseres Lebens wandelt.
Er kommt zu der Erkenntnis: Trotz körperlicher Beschwerden und chronischer Krankheiten sind ältere Menschen in der Regel glücklicher und zufriedener als Jugendliche oder junge Erwachsene. Seine Analysen beschreiben das sogenannte „Zufriedenheitsparadox“ und zeigen, dass die Lebenszufriedenheit älterer Menschen biologisch bedingt ist, jedoch auch erlernt werden kann.
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Im renommierten Biologie-Journal „Biology“ hat Esch aktuell ein Grundsatzpapier veröffentlicht, das die Ergebnisse seiner fast 20-jährigen Forschungen zum Belohnungssystem des Gehirns sowie zum Glückserleben zusammenfasst. Esch unterscheidet drei Arten von Glück, die je nach Lebensabschnitt unterschiedlich stark ausgeprägt sind:
- A. Das „Wunsch-System“
- B. Das „Bedrohungsvermeidungs-System“
- C. Das „Nicht-Wollen“ bzw. Verbleiben im „Hier und Jetzt“
Entstanden ist das so genannte „ABC-Modell“ des Glücks, das durch zahlreiche Studien empirisch belegt werden konnte. Demnach ist Glück kein kognitives Konstrukt, sondern ein Gefühl, das nachweislich auf der physiologischen Aktivität der neurobiologischen Belohnungs- und Motivationssysteme des Gehirns beruht. Dieses System findet sich in Spuren sogar bei den einfachsten Lebewesen.
Wie sich unser Glücksempfinden im Laufe der Jahre verändert
„Das Glück ändert seine ,Farbe‘ im Laufe des Lebens“, fasst Esch die Ergebnisse seiner Forschung zusammen:
- Phase: A (Wünsche): In unserer Jugend suchen wir Vergnügen und Nervenkitzel, sind kreativ, risikofreudig und lernbegierig. Glück ist in diesem Lebensabschnitt geprägt durch Vorfreude, Lust und Ekstase.
- Phase B (Bedrohungsvermeidung): Hier erleben die meisten Menschen beanspruchenden Stress, etwa durch eine höhere finanzielle Belastung, berufliche Herausforderungen oder ihre Verantwortung als Eltern. In diesem Zeitraum sinkt meist die Zufriedenheit. Junge Erwachsene tendierten dazu, ihr Glück von der Vermeidung von Schmerz oder Bedrohung abhängig zu machen, berichtet der Glücksforscher: „Wir sind wachsam und bereit, uns den Herausforderungen und Schwierigkeiten zu stellen, um unser Leben und das unserer Familie zu schützen.“ Glück in dieser Phase sei dann eher ein Gefühl der Erleichterung, „wenn Stress und ‚Unglück‘ eine Pause einlegen.“
- Phase C (Verbleiben im Hier und Jetzt): Im Alter von ungefähr 60 Jahren aufwärts, statistisch sogar bis über das 80. Lebensjahr hinaus, brauchen die Menschen dann trotz körperlicher Beschwerden meist wenig, um zufrieden zu sein, hat Esch herausgefunden: „Der spätere Lebensabschnitt ist meist der Punkt, an dem die Euphorie und Stressvermeidung übergehen in ein tiefes, beruhigendes und dauerhaftes Gefühl von Glück und Zufriedenheit.“
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„Als würden wir im Laufe des Lebens immer besser darin werden, zufrieden und glücklich zu sein“
„Während das momentane Glück durch intensive, angenehme und euphorische, aber flüchtige Momente gekennzeichnet ist, ist die Lebenszufriedenheit tiefgreifender, beständiger und subtiler, und sie zeichnet sich etwa durch Gefühle der Akzeptanz, Zugehörigkeit, Ruhe und des Ankommens aus.
Es scheint so, als würden wir im Laufe des Lebens immer besser darin zu werden, zufrieden und glücklich zu sein“, resümiert der Mediziner, Gesundheitsforscher und Gründer der Wittener Uniambulanz. Erst wenige Jahre vor dem Tod nehme die Lebenszufriedenheit, zum Beispiel durch die Verdichtung von Krankheiten im so genannten ‚vierten Alter‘, statistisch wieder ab.
Glück ist biologisch bedingt, aber erlernbar
Die Entwicklung von Glück und Zufriedenheit während der Lebensspanne gleiche häufig einer U-Kurve, die unabhängig von guter Gesundheit zu sein scheint. Bei männlichen Teilnehmern ist die Abnahme der Lebenszufriedenheit vom frühen Erwachsenenalter bis zur Lebensmitte stärker ausgeprägt als bei weiblichen. Den grundlegenden Befund einer höheren Lebenszufriedenheit in der zweiten, vermeintlich ‚besseren‘ Lebenshälfte teilen sich Männer wie Frauen, aber der konkrete Kurvenverlauf unterscheidet sie. Dafür kann es viele Gründe geben, die noch nicht gänzlich aufgeklärt sind. Sicherlich spielen hier biologische, aber auch psychosoziale Faktoren eine Rolle.
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Neurobiologische Prozesse prägen also unsere ‚Reifung‘ über die Lebensspanne, indem sie die ‚richtigen‘ Verhaltensweisen und damit verbundene Erfahrungen chemisch und biologisch belohnen. Dennoch ist dieser Verlauf des Glücksempfindens nicht vollständig vorbestimmt, betont Esch: „Meditations- und Achtsamkeitstechniken sowie Religiosität und Glaube scheinen beispielsweise den Verlauf des Glücks über die Zeit beeinflussen zu können. Glück kann durch Übung geformt werden.“
„U-Kurve des Glücks“ fast in allen Bevölkerungen und Ländern der Welt nachweisbar
Das beschriebene ABC-Modell von Belohnung und Motivation und seine Beziehung zu Glück begann mit Beobachtungen aus der Grundlagenforschung. Es wurde etwa aus Wissen darüber abgeleitet, welche Neurotransmitter in der Evolution wann auftraten und welche Stoffwechselwege miteinander verbunden waren.
Große klinische (empirische) Längsschnittdatensätze, zum Beispiel die „Nurses Health Study“ (u.a. Harvard Medical School) oder die „Grant Study“ (Harvard Study of Adult Development) sowie die UK Million Women Study bestätigen die Annahmen des ABC-Modells. Inzwischen zeigen aktuelle Erkenntnisse, dass eine solche U-Kurve des Glücks in fast allen Bevölkerungen und Ländern der Welt zu finden ist.
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