Virologe Drosten zur Bild-Zeitung: „Die Wissenschaft wird maßgeblich verzögert“ – Naturheilkunde & Naturheilverfahren Fachportal

Warum Medien verantwortungsvoll mit Informationen umgehen sollten

„Drosten-Studie über ansteckende Kinder grob falsch“ – so prangerte die riesige Überschrift auf der Titelseite der „Bild“-Zeitung. Was steckt dahinter und wie haltbar ist diese Aussage? Professor Dr. Christian Drosten nimmt Stellung zu der harten Kritik.

Mehrere Artikel der „Bild“-Zeitung der 22. Kalenderwoche 2020 zielen darauf ab, eine noch nicht veröffentlichte Studie des Team um den Charité-Virologen Professor Dr. Christian Drosten zu diskreditieren. Die Studie der Charité legt nahe, dass Kinder während einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 die gleiche Viruslast in sich tragen wie Erwachsene und deshalb auch ähnlich infektiös seien könnten. Die „Bild“-Zeitung hält diese Ergebnisse für fehlerhaft und startet einen öffentlichen „Angriff“ gegen Drosten.

Drosten schlägt zurück

Nun wehrt sich der renommierte Virologe in Rahmen seines NDR-Podcasts „Coronovirus-Update“. Doch was wirft „Bild“ der Studie überhaupt vor? Nach Ansicht des Boulevard-Blatts müsse die Studie zurückgezogen werden, da sie Fehler enthalte. Der bekannte englische Statistiker David Spiegelhalter hat eine Abhandlung über die Drosten-Studie geschrieben, in dem er die rein wissenschaftliche Kritik übt, dass die Datenzusammenfassung, die in der Vorabversion der Studie geliefert wurde, grob sind.

„Die Daten sind zum Teil auch bewusst ein bisschen grob gelassen, weil wir wissen, dass der Hase nicht in der Statistik begraben ist, sondern in den Daten selbst“, kontert Drosten. Die „Bild“-Zeitung kontaktierte den angesehenen Statistiker und entlockte ihm ein paar Aussagen zu der Studie. Diese riss „Bild“ aus dem Zusammenhang und machte eine weitere riesige Schlagzeile daraus: „Wir empfehlen, den Fehler einzugestehen und die Studie zurückzuziehen“, titelt das Blatt.

Spiegelhalter distanzierte sich von der Berichterstattung

Als Spiegelhalter merkte, dass es gezielt darum geht, die Studie in der Öffentlichkeit zu zerreißen, distanzierte er sich auf Twitter von der Darstellung. „Seine Kritik war eine rein akademische Kritik, wie das nun mal so ist, hat er es gut gemeint – er hat uns auch noch total nette E-Mails geschrieben, dass ihm das leid tut, wie das gelaufen ist“, erklärt Drosten.

„Bild“ holt zum zweiten „Angriff“ aus

Doch „Bild“ ließ nicht locker. Mitarbeiter der Zeitung kontaktierten Kooperationspartner von Drosten aus Italien, Belgien, Holland und England. Dann konfrontierten die Journalisten die Forschenden mit Zeitungsberichten einer belgischen Zeitung, in der stand, dass es in einer EU-Kommission, in der Drosten auch drin wäre, eine Auseinandersetzung um die besagte Studie gegeben habe.

Die EU-Kommission, die keine ist

Laut Drosten ist dies vollkommen irreführend. Denn das sei gar keine EU-Kommission, sondern das sogenannte „Steering Commitee“, welches als Steuerungsgremium eines europäischen Forschungsverbundes fungiert. Das Komitee dient als Plattform für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die einen Antrag auf Forschungsförderung bei der EU gestellt und Geld für ein Projekt erhalten haben. In dem Komitee werden Beobachtungen der Studien und der Stand der Forschung ausgetauscht.

Eine Auseinandersetzung, die keine ist

Während einer Videokonferenz kam es zu einer Diskussion über die Einschätzung der Infektiosität von Kindern. „Da gab es überhaupt keine Auseinandersetzung, sondern eine akademische Diskussion darüber, wie man hier in dieser Situation jetzt Statistik benutzt, weil wir alle dasselbe Problem haben. Wir müssen mit unglaublichem Zeitdruck Daten zusammenkratzen, die eigentlich gar nicht die Struktur und Qualität haben, dass man damit überhaupt anfangen würde, statistische Analysen zu machen“, schildert Drosten.

Nutzte die „Bild“ Falschaussagen?

„Bild“ hat offenbar einige dieser Zitate sehr frei interpretiert. „Irgendwelche Äußerungen, die dann in der Zeitung jetzt stehen, so von wegen: Christian, was du da machst, ist verfrüht oder so was, oder deine Statistik beeinflusst die Politik – das ist in dieser Weise nie in dieser Videokonferenz vorgekommen“, betont Drosten. Alle in diesem Gremium seien Top-Wissenschaftler aus verschiedenen europäischen Ländern und alle beraten jeweils die Politik ihrer Länder. „Wir wissen alle, dass das, was wir tun, die Politik beeinflusst“, so Drosten.

Die Mücke zum Elefanten machen

Drosten unterstreicht, dass alle Forschenden zur Zeit die gleichen Unsicherheiten haben und alle kommentieren gegenüber der Politik auch so, dass es im Grunde zu früh für endgültige Aussagen ist. „So wie ich das auch immer gemacht habe“, stellt Drosten klar. Das sei aber keine schöne Geschichte für eine Zeitung, die etwas Dramatisches schreiben möchte.

Missachtet „Bild“ den Pressekodex?

Der Koordinator des Forschungskonsortium Herman Goossens rief sogar offiziell gegenüber der „Bild“ seine Aussagen zurück und schrieb „hiermit rufe ich meine Aussagen zurück, ich unterstütze ihre Recherche hiermit nicht mehr“.

„So etwas darf eine Zeitung dann nicht benutzen“, berichtet Drosten und beruft sich auf den Pressekodex. Die „Bild“ druckte es trotzdem ab. „Es tut mir leid, das ist wahrscheinlich aus dem Ruder gelaufen“, schrieb Goossens dann zu Drosten.

Wenn Nebenschauplätze zur Hauptbühne werden

„Ich glaube, es ist auch klar, dass die Statistik, so wie wir sie gemacht haben bei unserer Studie wirklich grob ist, und zwar auch ein bisschen nach dem Motto: Feiner hinzuschauen lohnt sich eh nicht bei diesen Daten“, gibt Drosten zu. Dennoch sei diese statistische Nebendiskussion zum Hauptpunkt gemacht worden. „Aber man kann auf gar keinen Fall wegen statistischer Kritik an unseren Daten sagen, dass die Studie nicht stimmt“, resümiert der Coronavirus-Experte. Diese Studie stehe auch komplett ohne Statistik für sich alleine da.

Falsche Berichterstattung hält die Forschung auf

Mittlerweile hat das Team eine aufgearbeitete Vorabversion der Studie auf der Webseite der Charité online gestellt. „Ich habe diese Woche mich fast nur mit der Bild-Zeitung herumgeärgert. Es hat mich extrem viel Zeit gekostet und das verzögert die Wissenschaft inzwischen ganz maßgeblich“, äußert Drosten verärgert.

„Wir werden dennoch einen Sachstand in die Öffentlichkeit stellen, dass jeder verstehen kann, warum ich sage, dass unsere Daten, wenn man sie noch mal genau strukturiert und genauer anschaut, auch ohne statistische Analyse zeigen, dass gerade die früh symptomatischen Kinder, die in Haushaltskontaktestudien getestet wurden – dass gerade deren Viruslasten ganz genauso hoch sind wie die von den Erwachsenen in derselben Situation“, resümiert der Virologe. (vb)

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