Kliniken in der Corona-Krise: Sind so überlastet, dass wir Prioritäten setzen müssen

Trotz Teil-Lockdown infizieren sich in Deutschland jeden Tag tausende Menschen mit dem Coronavirus. Die Lage auf den Intensivstationen spitzt sich zu, wie Berichte von Pflegern und Ärzten zeigen. Manche sprechen von einer „katastrophalen Personalsituation“.

Kontaktbeschränkungen, Veranstaltungsverbote, die Schließung der Gastronomie: All diese Maßnahmen sollen dabei helfen, die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Am Mittwoch verkündete Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), dass der aktuell geltende Teil-Lockdown bis zum 10. Januar verlängert wird. Der Grund: Noch immer ist die Rate an Corona-Neuinfektionen hierzulande beunruhigend hoch, schon jetzt gibt es Berichte über Engpässe auf den deutschen Intensivstationen.

So sind in Berlin bereits 24 Prozent der Intensivbetten mit Covid-19-Patienten belegt. Das geht aus dem aktuellen Lagebericht des Bundeslandes hervor (Stand: 2. Dezember). Auch in Hessen machen Corona-Infizierte 16,9 Prozent der Intensivpatienten aus. Bundesweit sind zwar noch Behandlungsplätze frei. An Fachkräften, welche die Kranken versorgen können, fehlt es jedoch: Laut Deutscher Interdisziplinärer Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) mangelt es hierzulande an 3.000 bis 4.500 Intensivpflegern.

Wie dramatisch die Situation in den Krankenhäusern wirklich ist, erklären zwei Pfleger und eine Intensivmedizinerin im Gespräch mit dem "Spiegel".

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Virus-Krise: Intensivschwester spricht von "katastrophaler Personalsituation"

20 von 60 Mitarbeitern ihrer Station seien positiv auf das Coronavirus getestet worden, berichtet eine 24-Jährige Intensivschwester aus Thüringen. Sie spricht von einer "katastrophalen Personalsituation" mit gravierenden Folgen. "Soweit ich weiß, kommen alle weiterhin zur Arbeit, darunter auch einige, die leichte Symptome haben", sagt sie. Würde sie sich mit dem Coronavirus infizieren und dem Gesundheitsamt mitteilen, dass sie sich fit genug fühle, müsse sie nicht in Quarantäne.

Und das, obwohl Pfleger den Mindestabstand zu Patienten oft nicht einhalten könnten, "wenn wir beispielsweise einen Patienten aus der Bauchlage in die Rückenlage drehen". Ähnliche Zustände beschreibt dem "Spiegel" auch eine 20-jährige Frau ebenfalls aus Thüringen, die gerade eine Ausbildung zur Gesundheitspflegerin absolviert. "An einem Morgen in der Frühstückspause kam der Chefarzt auf die Station und sagte dem Personal, dass wir weiterarbeiten dürften, wenn wir positiv getestet seien, aber keine Symptome hätten", sagt sie.

Neu ist die scheinbar absurde Regelung nicht. Bereits Mitte November verkündete Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU): "Wenn (…) wegen Isolation und Quarantänemaßnahmen so viele dann gar nicht mehr da sind, im Krankenhaus, in der Arztpraxis, in der Pflegeeinrichtung, dass die Versorgung zusammenbricht, muss man schauen, was ist neben der bestmöglichen Lösung die zweitbeste." Dann könne es nicht nur notwendig werden, dass Kontaktpersonen mit täglichen Tests und FFP2-Masken weiter arbeiten.

Auch positiv getestete Pfleger sollten Spahn zufolge unter "ganz besonderen Schutzvorkehrungen" weiterhin Patienten betreuen.

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Intensivpflegerin fassungslos: "Sind so überlastet, dass wir Prioritäten setzen müssen"

Dass diese "Schutzvorkehrungen" offenbar nicht immer eingehalten werden, bemängelt die 24-Jährige Krankenschwester, mit der der "Spiegel" sprach. "Ich verstehe nicht, warum meine positiv getesteten Kolleginnen und Kollegen auf der Intensivstation nicht einmal FFP2-Masken tragen müssen. Ich fühle mich unwohl, weil ich nicht abschätzen kann, wie ansteckend sie sind", sagt sie. Während des ersten Lockdowns habe es ein festes Team gegeben, das sich um Patienten auf der Corona-Station gekümmert habe. Rolf Vennenbernd/dpa

"Doch mittlerweile ist die Bereitschaft, ständig auf der Station eingeteilt zu sein, gesunken. Deshalb werden wir dort jetzt fast alle abwechselnd hingeschickt", zitiert der "Spiegel" die 24-Jährige. Erst kurz vor Schichtbeginn werde ihr mitgeteilt, auf welcher Station sie am jeweiligen Tag arbeite. Wie stressig es auf der Covid-Station zugeht, skizziert die junge Schwester anhand eines Beispiels:  "Gestern haben wir einen Patienten fünf Stunden lang mit Vollschutz versorgt, sein Beatmungsschlauch war abgeknickt und wir mussten ihn neu intubieren. Danach war ich klatschnass geschwitzt unter meinem Kittel."

Die Pflege der Covid-Patienten koste Zeit, genauso wie das An- und Ausziehen der Schutzkleidung. "Wir sind so überlastet, dass wir Prioritäten setzen müssen: Wir machen Abstriche unter anderem bei der Körperpflege, weil die nicht lebensnotwendig ist", sagt die 24-Jährige. Das bestätigt auch Sandra Emily Stoll, Oberärztin an der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin der Uniklinik Köln.

Intensivmediziner: "Wir sind in einer absoluten Ausnahmesituation"

Sie sagt: Schon vor Corona habe es einen Personalmangel gegeben, inzwischen sei ein Pfleger für drei Patienten zuständig. "Das ist in vielerlei Hinsicht eine ganz schlechte Situation. Die Schwestern müssen zum Beispiel auf wichtige Handgriffe bei der Versorgung verzichten, denn die medizinische Pflege steht dann vor der körperlichen", warnt sie.

Noch könne man die Corona-Lage zwar bewältigen, sagen Experten – jedoch nur unter großem Stress für alle Beteiligten, also Ärzte, Pflege- und Reinigungskräfte. Es dürfe kein Dauerzustand werden, dass sie womöglich für den ganzen Winter unter so großer Anspannung stünden.

Intensivmediziner apellieren daher eindringlich an die Bevölkerung, Schutzmaßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus einzuhalten. "Wir sind in einer absoluten Ausnahmesituation, die wir in der Geschichte der Intensivmedizin so noch nie erlebt haben", sagte Gernot Marx von der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin. Jede Gruppe, die sich aktuell nicht treffe, trage vielleicht dazu bei, dass ein paar mehr Menschen überlebten.

  
 
 

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