Eckart von Hirschhausen: "Wer erklärt und zuhört ist momentan oft der Doofe"

Eckart von Hirschhausen, Sie sind selbst Arzt. Haben Sie den Ärzte-Appell des stern schon unterzeichnet?

In meinen Bühnenprogrammen, in meinem Buch „Wunder wirken Wunder“ und in vielen Interviews habe ich immer wieder auf die Missstände hingewiesen. Den Appell habe ich nicht unterschrieben, weil ich den Kollegen den Vortritt lasse, die tagtäglich darunter leiden. Aber wie in der Maischberger-Sendung deutlich wurde, stehe ich voll hinter dem Anliegen, die Humanmedizin wieder humaner zu machen. Es leiden die Patienten, die Ärzte und Pflegekräfte und das Gesundheitswesen ist seit Einführung der Fallpauschalen noch teurer geworden – das wissen eigentlich alle, aber endlich regt sich öffentlicher Protest.

Sind die Zustände in den Kliniken wirklich so schlimm, wie beschrieben wird?

Wenn junge Assistenzärzte in vertraulichen Gesprächen erzählen, wie sie aufgefordert werden, leere Operationskapazitäten zu „füllen“, ist das eine Perversion der ärztlichen Ethik. Das Ziel von Krankenhäusern ist ja nicht, ausgelastet zu sein, sondern dann da zu sein, wenn ein Patient sie braucht. Im hippokratischen Eid heißt es: Man soll sich bemühen, mehr zu nutzen als zu schaden. Und für viele der Operationen, die tagtäglich laufen, gibt es keine saubere wissenschaftliche Begründung. Und Patienten werden darüber auch nicht richtig aufgeklärt, dass sie oft mehrere Optionen haben, zum Beispiel auch die Option noch abzuwarten und zu beobachten. Wir tun zu viel und reden zu wenig. 

Wer sind die Leidtragenden?

Natürlich die Patienten, die teilweise unnötig operiert werden, denn jede OP bringt ja auch ein gewisses Risiko mit sich. Das ist ziemlich offensichtlich, aber wen wir nicht vergessen dürfen, sind die Pflegekräfte. Diese größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen braucht dringend mehr Aufmerksamkeit, Wertschätzung und Perspektive. Auch die pflegenden Angehörigen leisten für diese Gesellschaft unermesslich viel. „Pflegenotstand“ ist mehr als ein betriebs- und volkswirtschaftliches Phänomen. In Wahrheit geht es um unseren Begriff vom guten Leben und den Kern unserer Humanität. Keiner hat sich selber geboren. Und niemand möchte alleine sterben. Ich habe gerade drei Tage in einem Hospiz eine Reportage für die ARD gedreht und da spürte ich, wie dort ein Ort der Würde und der Zuwendung geschaffen wurde und wie Menschen aufblühen können, wenn ihre Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen. („Hirschhausen im Hospiz“ läuft am kommenden Montag, 16.9.19, 20.15 Uhr, ARD; Anmerk. d. Red.)

Was müsste sich ändern?

Nichtstun müsste sich wieder lohnen. Klingt wie die Parodie auf einen FDP-Slogan, aber im Ernst. Es müsste doch nicht jede Prozedur bezahlt werden, egal ob sie indiziert ist oder nicht, sondern am Wert für den Patienten müsste die Entscheidung gekoppelt sein. Dazu braucht es vor allem Aufklärung und Kommunikation. Der Kern des ärztlichen Handelns ist das Gespräch, was weder gescheit unterrichtet noch später honoriert wird. Wer erklärt und zuhört ist momentan oft der Doofe. Mein radikaler Vorschlag: Eingriffe dürfen erst dann abgerechnet werden, wenn ein Patient vorher nach allen Regeln der Kunst und auf dem aktuellen Stand der Nutzen-Risikobewertung, sprich der Evidenzbasierten Medizin, eingewilligt hat. Dafür braucht es Schulungen, dafür braucht es gute Erklärvideos und Internetseiten, dafür braucht es Feedback und Forschung – aber all das gibt es bereits in einem Pilotprojekt des Innovationsfonds zur „Gemeinsamen Entscheidungsfindung“, an dem ich beteiligt bin. Studien zeigen, dass durch gute Gespräche und Aufklärung 10 Prozent der Überversorgung verhindert werden kann. Und das ist in einem Gesundheitswesen, in dem jeden Tag eine Milliarde Euro unterwegs sind, eine Menge Geld, die dann für Prävention, Gesundheitskompetenz in Schulen, für öffentliche Schwimmbäder und Fahrradwege investiert werden könnte. Ja – ich weiß, das sind verschiedene Behörden und Budgets – aber lassen Sie mich doch mal von was Sinnvollem träumen. 

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